Das Herz hat Gründe die der Verstand nicht kennt (3)

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Sie hustete ein paar Mal unbeholfen, bevor sie gebrochen ein Wort aus sich heraus presste:

„Wald..."

Tabon schaute sie mit verweintem Gesicht an und küsste sie sachte auf die Stirn. Er drückte sie sanft gegen seine Brust und flüsterte ihr ins Ohr.

„So sei dein letzter Wunsch."

Ein Brennen zog sich in ihm hoch. Melias Kraft schwand schneller, als erwartet. Ihr Tod war nicht ferner als seine Sehnsucht nach Erlösung von den Qualen, die er mit ansehen musste.

Tief sog er die heiße Luft des Zimmers ein und erhob sich, um Melia rauszubringen. Sie klammerte sich verloren an seinen Körper, vergrub ihre Finger vor Schmerzen in sein Hemd und zerriss es in kleine Fetzen, die einsam auf den Boden schwebten. Tabon hatte seine Augen auf ihr Gesicht gerichtet. Seine Füße rannten so schnell wie er nur irgendwie konnte, stampften auf die Treppenstufen, zerstachen alles, was ihnen in den Weg kam. Er nahm nur flüchtig war, wie er durch den Wirtsraum rannte und Ohna erschrocken aufsprang. Sie eilte ihm bis zur Tür hinterher, um geschockt stehen zu bleiben, als sie einen Blick auf Melias Gesicht erhaschte. Tabon stolperte die Treppenstufen hinunter und rannte zum Waldrand. Melia zuckte leicht und drehte ihren Kopf nach oben. Sie streckt ihre Hände aus und griff kraftlos nach dem Himmel. Ein klagender Schrei entfuhr ihren Lippen.

Der Tod schwebte in der Luft, mischte sich in den feinen Nebel der Morgenstunden und schlich sich in Tabons Nase. Er keuchte laut auf, als die Kälte des Endes ihn stechend überkam.

Seine Schritte wurden langsamer, als er den kalten Schatten der Bäume erreichte. Er setzte seine Füße mühselig weiter nach vorne in den Wald hinein. Sein Kopf hatte vollkommen ausgesetzt. Die Kindesgelehrte hatte gelogen. Immer wieder schwirrte der Gedanke in seinem Kopf herum. Melia durfte jetzt noch nicht sterben, er brauchte noch mehr Zeit um sich von ihr zu verabschieden. Fieberhaft dachte er nach, als sie ihn aus glasigen Augen und mit offenem Mund anstarrte. Ein stummer Schrei nach Hilfe.

Sie hatte in den Wald gewollt. Was hatte sie vorgehabt? Er drehte sich verloren im Kreis. Was sollte er hier? Seine Atmung wurde immer schneller, je weniger er ihr schwaches Herz an seinem schlagen spürte. Verzweiflung überkam ihn, wie er es noch nie gespürt hatte. Immer wieder suchten seine Augen die Umgebung nach dem Grund ab, warum Melia hier her wollte. Doch nicht mehr als die warme Kühle des Waldes und seiner unzähligen kahlen Gewächse bekam er zu sehen. Kurz verlor er seine Zuversicht, bis er verstand, was sie wollte. Sie wollte sich heilen, wie sie es bei ihrem Blätterdach getan hatte.

Er griff nach ihrem Arm, der damals im Feuer gelegen hatte. Nichts mehr war davon zu erkennen, dass er einmal abgestorben an ihrem Körper gehangen hatte. Was wenn sie es noch einmal so machte? Er schaute sie an und rüttelte an ihrer Schulter.

„Du willst es noch einmal machen! Du willst dich selbst heilen!" Hoffnung schoss ihm in Gesicht und ein Lächeln strich sich zwischen die Sorgenfalten, die sich in seine Haut gruben, doch sie starrte ihn nur an, unfähig sich auch nur ein Stück mit ihrem verkrampften Körper zu regen. Die hellen Lichter, die er damals im Blättergeflecht gesehen hatte, schossen ihm in die Gedanken, als sie ihn aus goldenen Augen angeblickt hatte. Sie musste es nochmal tun! Tabon lief immer tiefer in den Wald und schrie um sich herum. Schrie Melia an, hoffte, dass sie ihn hörte. Wenn sie einmal so ein Wunder vollbracht hatte, dann konnte sie es auch noch einmal tun.

„Unsere Geschichte ist noch nicht vorbei! Du darfst noch nicht aufgeben!", rief er ihr zu, doch sie schrie nur noch einmal gellend auf, bevor sie ihm erschöpft ins Gesicht blickte. Ihre Arme erlaschten und fielen an ihr hinunter, hingen von ihr herab, als ob sie angenäht wären. Laut schreiend suchte er halt an dem kahlen Stamm eines Baumes neben ihm. Seine Finger fuhren zitternd über den Toten Körper, strichen über die lasche Haut. Die Tränen rannen ihm brennend aus den Augen und verdeckten seine Sicht.

KönigstochterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt