„Dein Gedächtnis hat anscheinend noch nicht derart stark gelitten, dass du dich an nichts mehr erinnern kannst. Ich denke, du bist dir auch darüber im Klaren, dass du fast verhungerst?" Sie blickte abschätzend auf seine durch das zerrissene Hemd entblößte Körpermitte, die er mit einem kurzen Heben des Kopfes betrachtete. Er sah aus wie ein Skelett, auf welchem noch etwas Haut fest klebte. Tabon seufzte. Er hatte sich das zugefügt, aber das Fleisch seiner eigenen Leute würde er nicht anrühren. Er legte seinen Kopf wieder nach hinten und schlug erneut hart auf das Holz. Instinktiv wollte er sich an die schmerzende Stelle fassen, doch die Metallschlingen stoppten seine Hände. Er biss die Zähne zusammen und nahm das Kinn wieder auf die Brust.
„Ja, das weiß ich." Er machte eine kurze Pause und lachte. „Du hast mich gefangen genommen. Ich gehe davon aus, dass ich von Wert für euch bin, wofür auch immer. Außerdem bin ich mir sicher, dass ihr für mich sorgt, denn lange halte ich nicht mehr ohne Nahrung aus." Er blickte zu ihr herüber. Das ach so feine Gesicht nahm die dunklen Schatten des Himmels in sich auf, verschlang sie, als wären sie ihr eigen. Er war immer wieder fasziniert davon, was die Todelben mit der Dunkelheit anstellen konnten, zu gerne besäße er auch ihre Kräfte. Als Kompromiss würde er auch jegliche Art von Kraft der Elben in seinem Körper besitzen. Doch er war ein Barbar, es war ihm auf ewig verwiegt ein Teil dieser Gesellschaft zu sein. Sein Lachen erstickte in seinem fahlen Oberkörper, der Mühe hatte nach Luft zu schnappen. Er musste vorsichtig vorgehen, sonst war er tatsächlich tot, bevor Melia sein rettendes Beil schwingen konnte.
„Ist die Dame so schnell erzürnt?", flüsterte Tabon neckend. Doch Ave war alles andere als erfreut über seinen Sarkasmus. Die Machete stach ihm wieder in den geschundenen Hals und fuhr ihm die Brust herab, zog weiße Striemen hinter sich her, die sich langsam rot färbten, um dem leichten Pulsieren seines Blutes zu imponieren. Richtete er seine Augen genauer auf die feinen Schnitte, dann konnte er das Blut minimal unter seiner Haut schlängeln sehen, als gäbe es kein Fett mehr unter ihr.
„Die Dame ist erzürnt, wenn sie erzürnt sein will. Schließe lieber dein vorlautes Maul, sonst existiert es bald nicht mehr." Die Dunkelheit zog sich weiter in ihr Gesicht und betonte ihre Wangenknochen, ließ fast ihr Skelett unter der Haut hervorstechen, als würde sie den Tod selbst verkörpern. Ein finsteres Lächeln schmiegte sich um ihren Mund, als sie ein feines X über seine Lippen schnitzte. Er konnte in ihren schwarzen Augen den Glanz von Vorfreude sehen, als sie die Machete hob und seinem Blut sehnsüchtig entgegen sprang. Tabon schluckte. Für gewöhnlich hätte er sich nicht einschüchtern lassen, doch er wusste, dass sie es ernst meinte. Ihre Zunge fuhr über die feinen roten Steine der Klinge, sammelte das Blut des Barbaren auf und besetzte das Metall mit leicht eingefärbtem Speichel. Ehe er sich recht versah verzog sich ihr Gesicht und ihre Hand zuckte, als wolle sie die Waffe in ihren Händen von sich schleudern.
„Das ist ja grauenhaft. Wie kann man nur so ekelhaft schmecken?" Sie erschauderte und wischte die Klinge an dem Fell ihres Tieres ab. Tabon konnte nur mit Mühe dem Drang widerstehen zu lachen. Melia hatte ihm bereits davon erzählt, wie grausam Barbarenblut schmeckte, aber im Gegensatz zu Ave gab sie sich damit zufrieden.
„Warum habt ihr mich gefangen?" Er zog seine Augenbrauen nach oben, um ihr Antlitz besser sehen zu können.
„Warum wir dich mitgenommen haben? Oder warum wir sie zurück gelassen haben?" Sie guckte ihn aus schiefen Augen an, die Hände von den Zügeln zurück gezogen und mit der Fingerkruppe an der Klinge spielend. Tabon zuckte leicht vor Kälte. Das Wasser war inzwischen soweit abgekühlt, dass es leicht begann zu frieren. Er starrte nach oben in die Wolken. Es würde eine beschwerliche Nacht werden, wenn sich die Wolken noch heute, in dieser eisigen Kälte, ergießen würden. Tabon seufzte lautstark und schmiss seinen Kopf wieder zu Ave, die ihn abwartend anstarrte.
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Königstochter
FantasyMelia ist nicht gerade die Prinzessin, die den Vorstellungen entspricht. Im Gegenteil ist sie alles, was eine Prinzessin und Elbin nicht in sich vereint haben sollte. Als ihr Vater sie auch noch mit dem verhassten Erzfeind verheiraten will, dreht si...