Alles kommt irgendwie irgendwann zu dir zurück (1)

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Die Regentropfen liefen ihr die Haare hinunter und ihre Klamotten stießen die plärrende Nässe inzwischen ab, derartig vollgesogen waren sie. Melia streckte die Hand aus, um das Regenwasser mit ihrer zur Schale geformten Hand aufzufangen. Es war inzwischen Abend und die Sonne ging vor ihr nieder. Einzelne feine Lichtstrahlen konnten sich noch einen Weg durch den kalten Regen und die hohen Bäume bahnen. Wohingegen die sonst weißen Wolken nun in einem nie endenden Grauton über ihr hinweg glitten und immer wieder neue Schauer kalten Wassers auf sie hinabstürzen ließen. Nur ein kleiner Regenbogen schlich sich zwischen die Eintönigkeit. Strahlend hell fuhr er hoch über ihrem Kopf durch den Himmel und nahm ihr etwas der trüben Laune, die sich bei all der Kälte in ihr ansammelte.

Sie blickte auf ihre zitternde Handfläche, die inzwischen leicht mit Wasser gefüllt war. Bis jetzt hatte sie immer noch keinen Tropfen zu Trinken von Ave erhalten, geschweige denn ein Stück des wohlduftenden gebratenen Hasen bekommen, den ihre Männer penetrant vor ihrer Nase zubereiteten. Zu Melias Enttäuschung hatten sie die Gedärme ins Feuer geschmissen, sodass sie sich nicht einmal an den Abfällen vergnügen durfte. Melias Magen knurrte laut. Sie führte ihre Hand an ihren Mund, doch sie zitterte vor Kälte so sehr, dass die Hälfte auf ihr statt in ihr landete. Sie seufzte laut. Was würde sie nicht alles dafür geben wenigstens die Gedärme des Hasen essen zu dürfen.

Sie fuhr sich mit ihrer zitternden Hand durch die nassen Haare. Die Männer hatten ihr immer wieder den Braten vor die Nase gehalten, sich an ihrem sehnlichen Ausdruck erfreut und über sie gelacht, als wäre sie ein Tier, dass zu ihrer Vergnügung lebte. Sie befand sich nicht mehr in Gefangenschaft, sie wurde gefoltert.

Mit Bedacht schlürfte sie das etwas salzig schmeckende Wasser aus ihrer Hand, nachdem sie diese erneut Richtung Himmel gestreckt hatte, doch anstatt ihren Durst zu befriedigen, schien es ihn immer weiter anzufachen. Sie streckte die Zunge aus und spukte ihren Speichel neben den Käfig. Wie konnte es sein, dass das Regenwasser so verdorben war? Melia zog den Mund kraus und lehnte sich wieder an die eiskalten Stangen des Käfigs. Kurz schloss sie die Augen in dem Versuch, sich selbst zu erwärmen.

Ein leises rascheln ertönte über ihrem Kopf. Nur noch ein paar Wassertropfen fanden den Weg auf ihr Gesicht und etwas Hartes schlug gegen die Metallstangen. Sie öffnete die Augen und erblickte einen Raben, der sich über ihr niedergelassen hatte. Seine steifen schwarz-blau schimmernden Augen fixierten sie von oben herab. Immer wieder drehte er den Kopf und betrachtete sie von allen Seiten. Er hüpfte von einer Stange auf die Nächste und hielt sich mit seinen riesigen Krallen an den nassen Gitterstäben fest.

Melia fixierte ihn und verhielt sich ganz ruhig. Sie hatte genau eine Chance ihn zu erwischen und diese würde sie auf keinen Fall vergeuden. Wenn dieser Rabe ihr Überleben sicherte, dann würde sie sich keinen Fehler erlauben können. Langsam streckte sie ihre zitternde Hand empor und war fast an den schimmernden Flügeln des Tieres angekommen, als er sich geschickt regte, seinen Kopf senkte und mit seinem Schnabel nach ihren Fingern biss. Melia zischte kurz auf und zuckte leicht zurück als er sie erwischte, doch sie wusste, dass der Schmerz gleich nachlassen würde. Ihr Finger pochte leicht, doch sie streckte sich weiter nach dem Vogel.

„Du kleines Miststück! Komm her, ich werde dich doch irgendwann kriegen, da kannst du auch jetzt sterben." Ihre Finger berührten leicht seine Flügel, doch bevor sie zupacken konnte, war er bereits eine Stange weiter gesprungen. Melia schloss kurz die Augen und atmete tief durch. Sie hatte ihn gleich, sie musste nur Ruhe wahren.

„Komm her du dreckiges Vieh. Du findest heute, hier und jetzt deinen Tod. Versuch dich nicht deiner Bestimmung zu entziehen." Ihre Stimme umsäuselte ihn honigsüß, auch wenn ihre Worte sein Untergang waren, denn je länger er sich von ihr betäuben ließ, desto mehr Zeit hatte Melia ihn zu erwischen. Sie zitterte erneut heftig Würde er sich nicht bald fangen lassen, dann wäre ihre Kraft am Ende. Da senkte er seinen Kopf interessiert und blickte sie an. Gedanklich fauchte sie zu ihm hoch, doch ihr aufgesetztes Lächeln kratzte nur bedingt an seiner trüben Dunkelheit. Ihre Finger glitten an seine Flügel und ihre Hand packte blitzschnell zu. Sie umschloss seinen gefiederten Kopf und riss ihn zu sich herunter. Das Tier schrie lautstark und schlug mit seinen Flügeln um sich, ließ seine Krallen in ihrem Fleisch versinken, doch sie trug ihn mit eisernen Fingern in ihrer Hand. Mit der anderen näherte sie sich seinem Körper und umschloss seine weichen Flügel. Mit einem Ruck hatte sie ihre Hände in die jeweils entgegengesetzte Richtung gedreht. Laut knackten seine Knochen, als sie ihm das Genick brach. Melias Augen glänzten auf, als sie die feinen Augen des Tieres betrachtete. Mit Genugtuung beobachtete sie, wie sich langsam der Lebenswille aus ihnen hinaus schlich und das Feuer in ihm erlosch. Bald waren seine Augen nur noch leblose kleine Kristalle und sein Körper mageres Fleisch.

Sie legte das Tier ausgebreitet vor sich in die Wasserlache des Bodens, die Flügel streckte sie zur Seite weg und den Kopf nach oben. Es rieselten nur noch ein paar einzelne Regentropfen auf ihr nasses Haupt nieder. Die Dämmerung war bereits so weit vorangeschritten, dass sie den schwarzen Vogel kaum noch wahrnahm. Nacheinander rupfte sie ihm seine Federn aus, beginnend bei den Flügeln. Es war ein ansehnliches Tier, doch sie würde es roh essen müssen. Sie wusste, wie man Feuer machen konnte, ohne viel Material zur Verfügung zu haben, aber zu ihrem Pech hatte es in den letzten Tagen so stark geregnet, dass das Wasser nicht mehr in dem übersättigten Boden versickern konnte, es drohte sogar in ihren Käfig laufen zu wollen.

Die Federn platzierte sie mühselig in ihren Klamotten, in der Hoffnung, dass sie die Schnitte in der Kleidung etwas verdeckten und ihr Wärme spendeten. Glücklicherweise hatte sie relativ lange Fingernägel, die durch den Regen auch noch frei von jeglichem Dreck waren. Sie rammte sie in die Mitte des Tieres und riss die kahle Haut auf. Mit beiden Händen bildete sie ein kleines Loch, in welches sie abwechselnd die Finger steckte, um sich etwas aufzuwärmen.

Als jegliche Hitze den Körper verlassen hatte holte sie die blutigen Gedärme aus dem Körper heraus und saugte das Blut auf, welches sich in dem entstandenen Loch gesammelt hatte. Das rote Gold schmeckte grauenhaft, vor allem da es kalt war. Sie vermisste den Geschmack von Elbenblut, welcher viel reiner war als der eines Tieres. Sie schmierte sich den von Blut bedeckten Mund an ihrem Arm ab und fing an einzelne Fleischstückchen mit ihren kalten Fingern herauszureißen, um sie sich hastig in den Mund zu stecken. Ihre Zunge wölbte sich um das magere Fleisch und ihre Zähne zermalmten die sehnigen Stücke. Das Blut träufelte ihr von den Fingern und rann ihr in hunderten von Tropfen aus dem Mund in ihren Ausschnitt. Ihr Verstand ließ sich davon nicht ablenken, bis ihr die Idee kam, dass das Blut auf ihrer Haut und zwischen den Federn trocknen könnte, um ihr etwas mehr Isolation zu geben. Sie wusste nicht, ob ihr Vorgehen etwas brachte, doch sollte es sinnvoll sein, dann wäre sie dankbar dafür.

Immer wieder griff sie in den Körper und höhlte ihn unaufhörlich aus, quetschte das rinnende Blut aus dem Fleisch und goss es sich in die Klamotten.

Sie hatte sich im Laufe des Tages gründlich betrachtet und musste mit Ärgernis feststellen, dass ihre schmal geschnittenen Klamotten kaum noch den Leib berührten, als wären sie zwei Nummern zu groß. Ihr geliebter Anzug war in Fetzen geschnitten und klebte wie eine zweite Haut Fadenweise an ihrem blassen Körper. Weder hatte sie Erinnerungen daran, wie die Risse dort hinein gekommen sind, noch wusste sie, wie sie die Schäden beheben konnte.

Melias Blick schweifte durch die sich breit machende Dunkelheit. Beobachtete, wie sie ihre Schwingen über die Erde wölbte und das Grauen über sie brachte. Die feinen Feuer des Lagers brannten sich durch die harte Schwärze, nur ihr junges Licht schlich sich über das Wasser der Wiese zu ihr heran, sodass Melia ihre Finger betrachten konnte. Der Schein tanzte anmutig über ihre verhärtete Haut, schlich sich in ihre Ritzen und Falten, zog sich bis zu ihren Gelenken hoch. Mit zischenden Augen betrachtete sie das Feuerspiel auf ihrer Hand.

Wie lange müsste sie noch warten, bis der Schreiber der Nachricht kam? Wie lange musste sie noch in dieser Kälte wahren, bis man sie vor dem Ungeheuer der Nacht rettete?

Die Nässe des vergangenen Regens zog sich in die Luft, sodass sie die Feuchtigkeit riechen konnte. Melia grub ihre Finger wieder in den leblosen Körper und riss die letzten Muskelfetzen aus der Leiche, um sie sich behutsam auf die ausgestreckte Zunge zu legen und sich in die Mundhöhle zu schieben. Fest malmte ihr Kiefer auf den kleinen Stücken. Es knirschte Laut, als sie einen der Knochen zerbiss, um an die Knorpel der Gelenke zu gelangen.

Ihr Blick wandte sich nach oben, als ein leises Plätschern sie aus ihren Gedanken riss.

„Na du kleines Miststück? Was hast du dort?"

                             ~*~

Ich hoffe, dass das Kapitel nicht all zu grauenvoll für euch war! 

KönigstochterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt