In der Ganzheit liegt die Kraft (5)

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„Alles gut bei dir?" Melia drehte sich zu Yikini um, die sie besorgt anstarrte. Melia nickte mit dem Kopf. Es war, als wäre sie nie verletzt gewesen. Yikini hob den Finger und deutete in Richtung des Tresens. Melia folgte ihrem Finger. Ezikual näherte sich mit bedachten Schritten der Gruppe, Melias Glas mit Minte tragend. Erst jetzt sah sie seinen gesamten Körper. Er war vollständig in feinem dunkelblauem Stoff gekleidet, seine weißen, teils geflochtenen Haare fielen seinen Rücken zur Hälfte hinab und seine spitzen Ohren waren mit Silber geschmückt. Seine Augen schienen wie ein Diamant zu glänzen. Außen blau und innen silbern. Melia erkannte seine Merkmale sofort. Er war ein Mondelb. Sie schaute zurück in die kleine Runde und fixierte sich auf jeden Einzelnen. Bizor war demnach ein Erdelb, teil der Sonnenelben. Yikini aufgrund ihrer Haare eine Todelbin und Askala eine Wasserelbin, ebenfalls teil der Sonnenelben. Sie blickte zu der verdeckten Gestalt neben sich, die wohl den Namen Antiau tragen musste. Ihr einziger Anhaltspunkt war, dass er Heilen konnte. Die einzige Nation, welche dieses bewerkstelligen konnten, war ihre eigene. Er war ein Lebenselb. Er war einer der ihren. Doch nie hatte sie davon gehört, dass ein Mann heilen konnte. Ezikual die Minte vor ihr hin und setzte sich neben Askala, jedoch nicht in die Ecke, sondern auf einen Stuhl rechts von Melia.

„Was machst du hier in dieser Schanke?" Ezikual hatte sich auf dem Stuhl zurückgelehnt, die Arme vor seinem Bauch verschränkt und das Wort erhoben, nachdem alle still schwiegen. Ausgenommen Antiau, der immer und immer wieder an seinem Bier nippte.

„Ich werde aufs Fest gehen und brauche eine Unterkunft. Dies war die einzig vernünftige, die ich besuchen mochte." Melia versuchte ihre Sprache wieder etwas zu heben, nachdem sie sie aufgrund von Barbaren die letzten Wochen senken musste. Es würde ihr schwer fallen wie früher zu reden. Zu sehr hatte sie sich an die einfachen Worte gewöhnt.

„Du hast nicht bemerkt, in was für einem Teil des Dorfes du dich aufhältst?" Ezikual hatte eine Braue gehoben, die andere missbilligend gesenkt. Melia erstarrte. Sie wusste, dass sie nicht in dem vornehmsten Teil des Dorfes verkehrte, da sie in den höher liegenden die Gefahr einging, erkannt zu werden. Sie war absichtlich in einem schlechten Teil, doch was hatte mit ihrem Aufenthalt hier zu tun. Sie sah weder wie eine der Oberschicht aus, noch benahm sie sich so.

„Schätzchen, du sitzt mit Verstoßenen an einem Tisch." Yikini hatte die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Melias letzte Regungen erstarrten zu Eis. Sie hätte es sich denken können. Die zum Teil abgeschnittenen Ohren, die schäbige Kleidung, die Alkohol und Drogensüchtigen. All dies war nicht typisch für ihr Volk. Sie saß in einer Schenke für Verstoßene. Elben, die von ihren Königshäusern aufgrund von schlechter Taten aus der Gesellschaft der Elben ausgeschlossen wurden. Sie haben keine Privilegien, keine Rechte und dürfen umgebracht werden, wenn sich jemand danach fühlte. Keiner scherte sich mehr um sie. Sie waren der Abfall der Gesellschaft, sie standen noch weitaus weiter unten als die Barbaren. Sie waren überall unerwünscht und hielten sich überwiegend nur unter sich auf, es sei denn, ebenfalls ausgestoßene Barbaren waren in der Gegend oder gehörten zu dieser, dann waren sie wie hier auch in der Nähe von Barbaren zu finden.

„Da hat es aber eine erwischt. Du hast noch nicht viel von der Welt gesehen, nicht war?" Yikini zog scharf die Luft durch ihre Zähne, bevor sie anfing zu lachen und Askala mit einstimmte. Bizor hatte sich derweilen wie Antiau seinem Bier gewidmet und Ezikual rückte seine Kleidung zurecht, die Beine anmutig überschlagen.

„Kommst wohl aus einem reichen Elternhaus, nicht wahr? Weißt noch nicht, wie die Welt tatsächlich so abläuft. Hier draußen gibt es Hunger und Kampf, Mädchen. Das Leben ist kein Zuckerschlecken." Yikini stahl sich Melias vollen Krug mit Minte und nahm einen Schluck, immer weiter grinsend. Melias zuvor freundliches Lächeln verschwand jedoch. Sie wusste, wie die Welt funktionierte. Sie wusste sowohl von Hunger, als von Leid, als von Ungerechtigkeit. Die letzten Wochen waren nicht einfach gewesen, doch sie hatte überlebt. Sie hatte sich selbst wieder zum Leben erweckt, obwohl sie tot gewesen war. Sie hatte Gefangenschaft überstanden, sie hatte Krankheit überstanden. Sie wusste nicht, was der Gruppe bisher geschehen war, doch sie konnte sagen, dass sie selbst nicht gerade wenig über Leid wusste.

KönigstochterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt