Wo die Liebe hinfällt, dort bleibt sie liegen (2)

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„Ist das - Ein Baby?" Der Kerker schien durch seine Worte noch stiller zu werden. Tabon presste sich gegen die Metallstäbe. Eisern drückten sie sich gegen seine warm pulsierende Haut. Die gebannte Stille nahm den Raum ein, als hätte sie den Kampf gegen die ewig anwährende Lautstärke nach langer Zeit gewonnen.

„Was hat ein Baby in einem Kerker zu suchen?" Tabon unterbrach die sich träge hinziehende Stille und schrie die beiden Männer an. Der Kleinere verharrte noch kurz in seiner Position, auf das Kind niederblickend, als würde er seinen Auftrag, das Bündel hier zu lassen, überdenken. Doch, bevor er eine Entscheidung treffen konnte, rief die andere Wache ihn zurecht. Er richtete sich auf, wandte den Blick ab und machte Anstalten, sich wieder dem Ausgang zuzuwenden.

„Ein Kind gehört nicht in diese Gemäuer. Es wird erfrieren." Tabons Finger verkrampften sich um die Stangen. Er lehnte sich mit seinem gesamten Gewicht dagegen, ließ sich nach hinten fallen und rüttelte, so fest er konnte, immer und immer wieder. Ein Kind gehörte nicht in eine kalte, durchnässte Gefängniszelle, ohne Mutter und Vater. Die Kälte würde es erfrieren lassen, die Nässe machte es krank und die Einsamkeit würde es verrückt machen. Ohne Pflege würde es schneller sterben, als Tabon etwas dagegen unternehmen könnte. Die Wache an der Tür drehte sich zu ihm um. Seine Augen trafen auf Tabon. Sie funkelten vor Boshaftigkeit, ohne jegliche Regung, ohne jegliches Mitleid.

„Sei still Gefangener. Setz dich hin, oder wir tun es für dich." Seine Stimme war dunkel und strahlte die Härte an sich aus. Eine hellblonde Strähne tänzelte aus seinem Helm heraus, als er sich umdrehte und die Tür hinter sich ins Schloss zog. Tabon starrte auf die Gitterstäbe, hinter welchen die Umhänge der Wachen wehend verschwanden. Schwere Füße schritten den Gang wieder herab. Lange hörte Tabon noch ihren Schritten zu. Einer nach dem anderen. Immer und immer fort. Der Kerker füllte sich wieder mit Stimmen, mit Husten, mit Würgen, mit dem elenden Kratzen der verlorenen Seelen an den steinernen Wänden. Tabon blendete sie alle aus. Nichts wollte er wissen von dem Unglück, von der Hoffnungslosigkeit, von dem Ende, wenn das Glück, die Hoffnung und der Anfang vor seinen Augen lag. Wie konnte man nur ein derart leeres Herz haben, ein unschuldiges Kind mutterseelenallein im Kerker versauern zu lassen?

Ein weiterer Schrei drang durch den überfüllten Kerker und ließ ihn erneut verstummen. Tabon wandte seinen Kopf von der Tür zum Bündel ihm gegenüber. Das kleine Stoffgewühl regte sich. Das Kind strampelte, bis sich oben in den Decken eine kleine Öffnung aufgab, durch welches es seinen Kopf herausstreckte. Rote Locken tanzten aus dem Loch heraus, bevor sich zwei Augen herausstahlen, die so grün glänzten wie die Natur vielfältig an Farben war. Tabon löste sich wie in Trance von den Metallstäben und kniete sich auf Augenhöhe des Kindes hin. Zwei kleine, unberührte, Schmutz ferne Hände drückten die Öffnung weiter auf. Ein Kindergesicht lugte hervor und musterte ihn aufmerksam.

„Hey Kleine." Er streckte vorsichtig die Hand durch die Eisenstäbe. Das Mädchen zog ängstlich den Stoff in ihren Fingern über ihre Nase, sodass nur noch die feinen Augen heraus schauten. Tabon sah ihrer kleinen Geste zu und musste anfangen zu lächeln. So viel Unschuld in diesen schuldigen Gemäuern. Irritiert von seiner Reaktion senkte sie die Decke wieder. Das Mädchen zog die Augen zusammen, hob die Augenbrauen und ließ ein strahlendes Lächeln unter einem lauten kindischen Lachen über ihr Gesicht fahren. Erschrocken über sich selbst, schloss sie wieder den Mund. Starrte ihn an und zog die Augenbrauen zusammen, als würde sie nachdenken. Bis sie vollkommen unberührt von der Kälte in einem dicken Kinderanzug aus ihrem Bündel heraus krabbelte und über das verrostete Bettgestell auf die Kante zu kroch. Tabon verfiel in Panik

„Nein, nein, Kleine! Bleib da oben, du tust dir noch weh!" Doch, sobald Tabon die Wörter über die Lippen glitten, hatte sie die Kante erreicht und ließ sich mit dem Po zuerst auf den nassen Boden fallen. Vor Schreck hatte Tabon die Augen geschlossen und lugte ängstlich zwischen seinen Wimpern hervor, doch das kleine Mädchen krabbelte grinsend auf ihn zu. Erleichterung überflutete ihn, während er sich ebenfalls auf den Boden fallen ließ. Ihre kleinen Hände tapsten durch die Algen und den durchnässten Dreck. Leise Patschtöne hallten durch den verstummten Kerker.

KönigstochterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt