In jedem entsetzlichen Unglück werden die größten Freuden geboren (2)

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„Herr, ein Elb möchte sie sprechen." Seine Stimme zitterte, als er aus seiner Starre erwachte und seinen Kopf ehrfürchtig senkte.

„Lass mich noch etwas ruhen. Schick ihn erst in ein paar Minuten rein." Caphan war plötzlich angespannt. Der Sklave diente ihm seit ein paar Jahren als Besuchempfänger. Er war verlässlich, aber vorallem mutig. Er zitterte nicht, weil alle Aufmerksamkeit auf ihm ruhte. Er zitterte aufgrund des Gasts.

Caphans Berater hatten seine wenigen Worte wohlwollend verstanden und erhoben sich, blickten jedoch noch einmal sorgend in seine Richtung, um sich dann langsamen Schrittes aus dem Arbeitszimmer zu entfernen. Die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss und ließ Caphan zusammenzucken. Die Wellen des Knalls breiteten sich in der trägen Luft des Raumes aus, trafen auf seine Haut und ließen ihn unter dem geringen Gewicht zusammenbrechen. Die Beine sackten unter ihm weg und er fiel nach hinten in seinen Sessel. Warm und wohlig umfing ihn das samtene Leder. Er war in derart großen Massen erschöpft, wie er es noch nie zuvor gewesen war. Wie hatte er überhaupt dieses Gespräch durchstehen können, ohne in sich zusammen zu sinken?

Sein träger Blick schweifte durch das hell erleuchtete Zimmer und blieb an dem flammenden Kamin gegenüber des Schreibtisches hängen. Das Feuer brannte stetig und warf tanzendes Licht durch den gesamten Raum. Auf dem Sims waren mehrere seiner prachtvollsten Trophäen platziert. Ein Schmunzeln fuhr ihm über die Lippen. Wie sehr er doch die Zeit vermisste, in der er noch freudig mit jugendlichem Sinn durch das Land gereist war und an den unterschiedlichsten Wettbewerben des Kämpfens teil nahm, bis zu dem Tag, an dem sein Vater starb und er gekrönt wurde. Das Ende seiner Jugend. Er war einmal ein guter Kämpfer gewesen, ebenso wie Melia es jetzt war, nur führte sie es mit noch mehr Eleganz und Leichtigkeit aus als er. Immer wieder schoss ihm die Frage durch den Kopf, was sie gerade tat, ob sie tatsächlich noch lebte. War sie alleine oder hatte sie Partner gefunden, in welchem Schutz sie reisen konnte?

Er erhob sich mit knackenden Knochen aus dem Sessel und streckte sachte seine eingerosteten Glieder. Mit langsamen Schritten bewegte er sich zu dem Spiegel, welcher direkt gegenüber der Tür und damit links neben dem Schreibtisch stand. Der Ramen schien fast vollkommen Braun zu sein, abgesehen von den hellen Stellen, an denen sich Schürfwunden befanden. Wo sie herkamen wusste Caphan nicht, nur, dass sie schon da waren, seit er sich erinnern konnte. Der Ramen ließ Aussicht auf ein paar elegante Verzierungen des alten Holzes, jedoch waren sie bereits so weit abgenutzt, dass man sie fast nicht mehr erfassen konnte. Die Spiegelfläche an sich war so verrucht und stumpf, dass man nur noch schlecht hindurchsehen konnte. Wenn man es sich recht überlegte, nutzte dieser Spiegel mit all seinen Schrammen nichts mehr. Er konnte seinen Dienst in keinem Fall erfüllen.

Doch Caphan hatte es nie gewagt, ihn auch nur einen Zentimeter von seinem Platz weg zu bewegen. Es war wie die entfernte Erinnerungen, die Mahnung seines Vaters, die ihn dazu brachte. Immer wenn er als Jüngling sein zerstörtes Spiegelbild angesehen hatte, schrillten die Wörter seines Vaters durch den Raum:

„Dieser Spiegel steht seit jeher an diesem Platz und wird auch für immer hier verweilen. Maße es dir nicht an ihn zu bewegen. Er wird Unglück und Leid über das Land bringen. Er mag unbedeutend und gefahrlos aussehen, geprägt durch Alter und Schwäche, doch unterschätze ihn nie."

Es war ihm nach wie vor schleierhaft, was seine Worte zu bedeuten hatten, doch er hielt sich an seine Anweisungen, während die Stimme seines Vaters, ebenso verraucht wie der Spiegel vor ihm, in ihm wiederhallte. Er war vor unzähligen Jahren an einer Lungenkrankheit gestorben und seine Mutter hatte Caphan bereits in jungen Jahren verloren. Die Frauen, die sein Vater nach ihr hatte, waren alle keinesfalls so hübsch gewesen wie sie. Sein Blick fiel auf das Spiegelbild vor sich.

Es war kein Wunder, dass Ronja meinte, er solle sich ausruhen, denn sein Äußeres schien die Grausamkeit an sich zu sein. Seine Haare hatten sich in alle Richtungen von seinem Kopf abgewendet und ließen ihn wie einen Landstreicher aussehen. Sie waren dreckig und verklumpt, als hätte er sich in Schlamm gewälzt. Sein Gesicht wurde immer älter und greiser, bodenlose Falten der Sorge zogen sich durch die füllige Haut und tiefe Augenringe durchfurchten die sonst glatte Haut. Seine Augen waren an sich nur noch ein lebloses Organ, das den Glanz allmählich verlor und die Trübheit seine strahlende Farbe umschloss.

KönigstochterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt