Manche Menschen spielen sich ihr Leben lang etwas vor (1)

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Herbst,3.123 nach dem Erwachen der Götter

Die Sonnenstrahlen fielen Tabon durch die zum Schlaf geschlossenen Lider und spielten ihm die Fantasie der trotzigen Welt auf die sachte Haut, projizierten ihm wilde Schlachten, endlose Tänze und bildschöne Frauen in einem Spiel aus Schatten und Licht vor das liebende Auge. Seine Träume flüsterten ihm die Worte der Einsamkeit und des Todes ein, als wüssten sie, was in der anderen, in der wachen Welt vor sich ging. Sie spielten mit ihm, schickten ihn in die größten Ängste und ließen ihn doch nicht entkommen, sollte er sich zur Flucht aufraffen. Seine Ohren rauschten und sein Körper zuckte, wand sich unter dem pulsierenden Schmerz, dem sein Kopf ihm zufügte.

Er roch den stinkenden Tod und das Blut, dass in seinen Adern floss und gedieh. Er schmeckte das Verderben, den Verlust und ein unbändiges Verlangen sein Inneres auszuhöhlen, um sich von dem Grausal zu befreien, dass ihm sein Zustand bot. Der Schweiß kroch ihm aus jeder Pore und setzte sich auf seiner heißen Haut ab, die ihn vor der Kälte der Außenwelt, der Wachwelt schützte. Sein Inneres verbrannte unter dem Feuer, dass in seinem Leib tobte und schloss ihn in sich ein. Er wisperte, schrie und brüllte gegen sich an, doch die dunklen Faden seiner Unbändigkeit ließen nicht von ihm ab. Er wand sich unter den Griffen an seinen Armen und Beinen, den Gurten um seinen Bauch und den steifen Nägeln in seinen Fingern.

Eisige Kälte überflutete ihn, als sich ein Schwall gefrorenes Wasser über seinem unbedeckten Kopf ergoss und ihn aus seinem Gefängnis befreite. Ein Schrei entfuhr ihm, als er ruckartig aus seiner zweiten Welt gerissen wurde und seine Lider sich vor den grellen Lichtstrahlen zusammen krampften. Tabon wollte seinen Arm hochreißen, sich vor der glänzenden Sonne am Himmel schützen, der er eisern in die brennenden Augen starrte, doch seine Hand schlug gegen einen rostigen Metallverschlag, der sich in seine Gelenke bohrte. Er riss seinen Kopf herum, der gebettet auf seinen schweißnassen Haaren durch die Luft gedroschen wurde. Wasser lief ihm aus dem röchelnden Mund und ergoss sich neben ihn. Spuckend kam er langsam zu Atem, drehte und wand sich unter den Schlingen um seine Mitte, seine Arme und Beine, die ihn an den bebenden Holzboden ketteten. Ein Schatten fuhr über sein Gesicht, raue Finger strichen über seine derbe Haut, als wollten sie ihn liebkosen.

„Ich werde dich nie mehr gehen lassen." Die dunkle Männerstimme machte eine Pause, in der seine Finger über Tabons spröde Lippen fuhren. „Dieses Mal wirst du feiner Kerl meinen Händen nicht so schnell entwischen!" Der Mann lachte und klopfte ihm leicht gegen die Wange, wie es Großmütter bei ihren Enkeln zu pflegen taten. Es hatte jedoch etwas so Absurdes und Perverses an sich, dass es nicht anzusehen war. Seine übel riechenden Körperausdünstungen zogen Tabon in die Nase. Er rümpfte sie angewidert und spie erneut aus, um den grausamen Belag von Schlaf auf seiner Zunge zu lösen. Seine getrübten Augen gewöhnten sich allmählich an die gellende Sonne, die hoch über ihm an dem vorbeiziehenden Himmelszelt stand. Einige vermoderte Metallstangen verwehrten ihm die volle Sicht auf den wolkenbedeckten Himmel, der sich allmählich schwarz zu färben schien. Ein Gewitter würde aufziehen.

„Herrin, er ist endlich erwacht!" Die Schritte des Mannes hinter ihm hielten inne und wildes Hufgetrappel barst sich den Weg in Tabons Ohr, das fast vollständig taub zu sein schien, von dem unbändigen Krach des sich fortbewegenden Wagens, auf dem er sich zu befinden glaubte. Der Weg neben ihm dunkelte sich rasch ab, als sich schwarz glänzendes Fell in sein Sichtfeld schob. Ein eleganter brauner Schuh folgte der Schulter des imposanten Gequits, der unnachgiebig in die Seite des Tieres stocherte, um es zu einem anhaltenden Tempo zu bewegen. Eine schimmernde Machete mit Diamantenbesatz auf der zackigen Klinge schob sich durch die Stäbe des Käfigs, sich seinem Kinn nähernd. Die stumpfe und doch spitze Rückseite der gezackten Klinge heftete sich an seinen durch Reise zart gewachsenen Bart, strich über die kurzen Härchen und umschlang die Haut unter seinem Kiefer. Drehte sich wie eine Schraube hinein und setzte feines Blut frei, dass sich mit dem verbleibenden Wasser auf seinem ausgehöhlten Brustkorb mischte, sich langsam in seinen verbliebenen nassen Klamotten absetzend. Er betrachtete die funkelnde weiße Klinge, das mit Kirsch-Topasen besetzte Rot um die Ränder und das runde Zeichen des Ying und Yang, welches in der Mitte des vorderen Teils prangte. Das Heft schimmerte in einem feurigen Rot und bot einen so ausgeschmückten Handschutz, dass man keinen Gedanken an die Sicherheit der Finger im Kampf verschwenden musste. Das Ende des Heftes umfasste einen funkelnden Obsidian. Sie war so sehr geschärftund poliert, dass er sein Spiegelbild in dem weißen Material erblicken konnte.

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