„Sie ist wach.", sprach eine tiefe männliche Stimme. Ave hatte bei der Auswahl ihrer Leute stets darauf geachtet, dass ihr keine Frau unterkam. Die Männer zogen mit ihr oft durch die Wälder, ihre Frauen mussten aber zuhause bleiben, Kinder waren ebenfalls nicht erwünscht, es sei denn, sie waren äußerst begabt, dann nahm sie sie als Lehrlinge auf. Sie war eine gute, aber strenge Lehrerin. Wer ihr Pensum nicht erreichte, musste gehen. Ihr Ausbildungsprogramm war einzigartig und die besten Krieger entstanden aus ihren Lehren und die Armee war ihr dafür sehr dankbar.
„Tritt ab. Ich werde sie selbst begutachten." Ave stand auf und schob ihre Macheten zurück in die goldenen Halterungen an ihrem Rücken. Den Becher nahm sie mit, solange das Blut warm war, war es noch genießbar. Erreichte es aber den letzten Abschnitt des Todes war es ungenießbar und erhitzen konnte man es auch nicht, dass verfälschte den Geschmack.
Mit lautlosen Schritten stolzierte sie zum Zeltausgang. Ihre pechschwarzen Augen musterten die gleichfarbige Zeltwand und blieben immer wieder an den andersfarbigen Stellen hängen. Jede einzelne Verfärbung hatte eine eigene Geschichte und jede Einzelne hatte sie in ihrem Gedächtnis gespeichert. Dieses Zelt war ihr Leben. Sie baute es aus, erneuerte es, beziehungsweise baute an, denn die Erinnerungen durften nie andere Überlappen, es sei denn sie waren zufällig entstanden, dann war es erwünscht.
Die Zeltwände bewegten sich im Wind und der Regen prasselte auf die Decke. Sie hatte das Zelt mit einer bestimmten Wachsschicht bestreichen lassen, sodass kein Regen zu ihr durchdringen konnte. Dabei war es vollkommen unerheblich, ob eine leichte Feuchte um sie herum waberte, ob es schneite oder ob es stürmte, ihr Zelt stand stets aufrecht und hielt die Ungetüme von Wind und Wetter von ihr ab.
Ihre nackten Füße huschten über den Boden, der ebenfalls mit dem Zeltstoff ausgelegt war. Nicht nur wurde sie so von oben, sondern auch noch von unterer Nässe geschützt. Ein besonderes Extra war dabei, dass der Stoff Hitze speichern konnte und selbst bei geringen Temperaturen noch eine wohlige Wärme um sich hielt.
Das Tuch vom Zelteingang streifte leicht ihr Gesicht und gab den Blick auf die verregnete Natur um ihr feines Zelt herum frei. Für gewöhnlich liebte sie derartig dunkle Tage, aber zu dieser Zeit war ein ausgesprochen ekelerregender Tag. Die Bäume knackten laut und Laub fiel ununterbrochen mit dem Starkregen auf sie herab. Der Boden triefte vor Wasser und es subschte laut, als sie den rechten Fuß in den Matsch setzte. Das Wasser umschloss kalt ihre Zehen und sie sank einige Centimeter ein, bevor sie ihren Fuß erneut hob. Sie befanden sich auf einer Lichtung, die zu Sommerzeiten eine ansehnliche Blumenweide sein musste, jedoch erstreckte sich vor Aves Augen nur ein Feld aus dreckigem Wasser, einzeln herausstechenden Grasbüscheln, die sich noch nicht dem Tod hingeben wollten, und einem Meer aus verwesten Blütenblättern, die bedächtig durch den Matsch flossen.
Die weniger luxuriösen Zelte ihrer Männer waren im Kreis um sie herum angeordnet, sodass ihres die Mitte schmückte, den Käfig neben sich platziert. Mit Absicht hatten ihre Untergebenen das Metallgerüst in eine der größten Pfützen gestellt, sodass sie ihren Spaß an dem armen Mädchen haben konnten.
Sie hatte nicht gerade Mitleid mit dem Ding, aber ansehen konnte sie dieses Elend auch nicht. Sie empfand es als Qual zu sehen, wie das Mädchen immer dürrer wurde. Ave hätte ihr gerne einen kurzen und schmerzlosen Tod als Erlösung geschenkt, doch die Hoheit wollte sie lebend.
Und dennoch schob sich ein Grinsen auf Avellyns Gesicht, als sie das blonde Mädchen erschöpft am stählernen Boden liegen sah. Seit ein paar Tagen lag sie schon in dem eisigen Käfig und schlief. Ihr Schlaf war so ruhig, dass sie anfangs Angst hatten, dass sie es nicht mehr lebend ins Schloss befördern könnten. Nur ein schwacher Atemzug in einer langen Weile hatte ihnen immer wieder versichert, dass ihr Leben noch nicht geschwunden war.
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Königstochter
FantasyMelia ist nicht gerade die Prinzessin, die den Vorstellungen entspricht. Im Gegenteil ist sie alles, was eine Prinzessin und Elbin nicht in sich vereint haben sollte. Als ihr Vater sie auch noch mit dem verhassten Erzfeind verheiraten will, dreht si...