Verkündigungsengel und Saufkumpanen

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Tauriel hatte unsere erste Probe auf Punkt Vier Uhr angesetzt. Danach wollte mein Bruder unser Krippenspiel allen Ernstes filmen und an unseren Vater schicken, damit der es auch Dis und Gandalf zeigen konnte. Nun war ich endgültig dafür, abzutauchen. Aber leider schleppte Tauriel Legolas und mich nach unten ins Wohnzimmer, wo die anderen bereits versammelt waren.

Thranduil und Selina blickten ebenfalls missmutig drein.

„Wir spielen das ganze hier vor dem Sofa", kündigte Tom an, „ich bin Kameramann."

Es war ja so klar, dass sich dieses kleine Arschloch diese Rolle schnappen würde. „Was, wenn ich Kamerafrau sein will?", rief ich genervt, doch mein Bruder achtete gar nicht auf mich.

„Ich bin Maria", meinte Tauriel, „Leri wird das Jesuskind sein. Thorin, Thranduil und Bilbo sind die heiligen drei Könige und Matteo darf Josef sein, wenn er will. Elli, Selina, Fili und Kili sind die Hirten und Legolas der Verkündigungsengel." Da zog sie ein paar pinke Feenflügel, die ich irgendwann als Kind mal zu Fasching bekommen hatte, aus einer großen Tüte.

Die Augen des Prinzes weiteten sich erschrocken, und er blickte fassungslos von den Flügeln zu Tauriel und zurück. „Sind die... etwa für mich?", stammelte er, „Die will ich nicht anziehen!"

Wenn ich nicht so genervt von dem ganzen Projekt gewesen wäre, hätte ich jetzt gelacht. Legolas, der Verkündigungsengel. Mit pinken Feenflügeln. Nicht, dass Jungs kein Pink tragen konnten (meinem Bruder zum Beispiel stand es echt gut), aber die Vorstellung, Leggy mit den Flügeln zu sehen... am besten sein Haar noch zu Rauschgoldlocken verarbeitet... Lustiger ging es kaum. Auch Selina kicherte schadenfroh, und es war klar, dass keine von uns dem armen Elbenprinz anbieten würde, die Rollen zu tauschen.

„Das klingt doch gut, lass uns gleich...", begann Bilbo, doch da brüllte Thranduil: „MEIN SOHN WIRD KEINEN VERKÜNDIGUNGSENGEL SPIELEN! UND ER WIRD AUCH KEINEN PINKEN FLÜGEL TRAGEN! LEGOLAS, KOMM, WIR GEHEN. ICH BRAUCHE MINDESTENS DREI FLASCHEN ROTWEIN ZUR BERUHIGUNG!"

Das war jetzt aber schnell eskaliert. Legolas achtete gar nicht auf Tauriels empörten Protest, als er wutschnaubend seinem Vater aus dem Wohnzimmer folgte. Scheiße. Ich hatte die Wahl. Entweder einen Hirten in einem bescheuerten Krippenspiel spielen oder mich mit Legolas und Thranduil besaufen, äh, beruhigen. 

Die Entscheidung wurde mir allerdings abgenommen, weil Selina ebenfalls mit einer entschuldigenden Miene aufstand und den beiden Elben folgte. 

So erhob auch ich mich und meinte freundlich: „Das schafft ihr doch auch ohne uns. Tom kann ja der dritte König sein und Fili und Kili sind genügend Hirten. Ciao und viel Spaß."

Ich grinste in die Runde und trat nach draußen in den Flur. "Jetzt habt doch mal ein bisschen Respekt vor der Tradition!", rief mir Tauriel noch hinter her, doch da knallte ich die Wohnzimmertür hinter mir zu und atmete erleichtert auf. Sorry, es gab einfach Traditionen, die es mir so gar nicht angetan hatten. Zum Beispiel Krippenspiele. Oder gemeinsames Weihnachtsliedersingen unter dem Tannenbaum. Kotz, würg, brech. Das war einfach überhaupt nicht meins... 

Aus dem Keller tönte Selinas Lachen und ich eilte schnell nach unten, wo die drei in einem Kreis im Gästezimmer auf dem Teppich hockten. Vor ihnen stand gefühlt unser halbes Weinregal und Thranduil öffnete gerade eine Flasche Rotwein. „Schön, du schließt dich uns auch noch an", begrüßte mich Legolas grinsend, „wir werden nun alle Saufkumpanen!"

Ich lachte und ließ mich neben ihm auf den Boden sinken. Aus Platzgründen bewahrten wir hier im Wandschrank altes Geschirr auf, und dort waren so einige Bier - und Weingläser gelandet. Das war natürlich perfekt für den guten Thrandy. Dankbar nahm ich das Weinglas, das der Elbenkönig fast randvoll gefüllt hatte. Dann stießen wir an.

„Auf Weihnachten ohne Krippenspiel", sagte Thranduil feierlich, „und den vorzüglichen Weinvorrat in diesem Hause!" 


Oh du fröhliche... Weihnachten mit MittelerdeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt