Auf in die Trollhöhle

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Donnerstag, der 5. Dezember 2019

„Das wird sicher wieder genial", freute ich mich und hüpfte nervös auf und ab. Es war kurz vor zwei und Selina und ich standen am Bahnhof der Kleinstadt, in der unsere Schule lag. Von den Mitties war noch nichts zu sehen, aber wir waren ja auch überpünktlich.

„Wer kommt denn noch alles außer Thranduil und Legolas und meinem Bruder und seiner... Familie?", fragte ich gespannt, hoffentlich kamen Kili und Fili mit, mit den beiden war einfach alles lustiger.

Meine Freundin antwortete:
„Kili und Fili wollen mit, Bilbo und Thorin hatten keine Lust, sie wollten lieber entspannen bei der Arschkälte. Und Dis wollte auch lieber Zuhause bleiben. Ich glaube, sie fühlt sich mit Bart nicht so wohl in Deutschland. Gandalf hasst shoppen, hat er gesagt und leistet ihnen Gesellschaft."

Die arme Dis. Wenn irgendjemand denkt, Frauen mit Bart könnten nicht gut aussehen, der hat einfach noch nie Thorins Schwester getroffen. Sie war unglaublich hübsch meiner Meinung nach, aber das Schönheitsideal, das unser Land prägt, war nicht besonders ... offen für Besonderheiten. Sie hatte schon den ein oder anderen schrägen Blick kassiert, als sie mit meinem Vater einkaufen gewesen war, wie er zu berichten wusste.

„Die Arme. Dabei ist sie soo cool. Und hübsch", meinte ich deshalb traurig.

„Das werde ich ihr ausrichten, das freut sie sicher!", ertönte ein Ruf hinter uns.

Wir drehten uns erfreut um und sahen Kili, der lächelnd auf uns zu kam. Hinter ihm folgten Fili, Legolas, Thranduil, Tom und Tauriel, die unseren alten Kinderwagen schob.

„Schön euch zu sehen!", jubelte Selina und fiel erst Kili, dann seinem Bruder um den Hals.

Legolas drückte mich ebenfalls kurz, seinem Vater konnte ich ein Händeschütteln abringen.

„Wann kommt unser Zug?", fragte Tauriel, worauf Sel und ich uns anblickten. Der Zug. Das Stichwort. „Du erklärst es ihnen", befahl ich, worauf meine Freundin seufzte, sich dann aber doch aufraffte.

„Also, der Zug. Es gibt da ein kleines Problem. Er kommt in fünf Minuten, aber davor, naja, müssen wir durch die Unterführung da hinten. Und um ehrlich zu sein, das ist der ekelhafteste Ort der ganzen Stadt."

„Leben dort Orks?", rief Tauriel alarmiert und blickte sich panisch um, „Oder Spinnen? Trolle? Sind wir in tödlicher Gefahr?"

Wenn ich nicht so große Angst vor der Unterführung gehabt hätte, hätte ich gelacht. Tauriel war so was von paranoid... aber ich wäre wahrscheinlich genauso geworden, wenn ich jahrzehntelang (oder jahrhundertelang?) bei der Wache des Düsterwaldes gearbeitet hätte.

„Das nicht", lachte meine Freundin und wurde sofort wieder ernst, „es ist nur so, sie wurde in ihren stolzen 90 Jahren nicht einmal renoviert, wird als öffentliche Toilette missbraucht und an das Betäubungsmittelschutzgesetz hält sich da unten auch keiner."

„Hä?", sprach Fili wohl allen aus der Seele, „Wo liegt das Problem?"

„Die Mädels meinen", erklärte Tom und verdrehte die Augen, „da unten stinkt es absolut widerlich nach Pisse, Gras und weiß Gott was noch. Aber so schlimm wie sie es darstellen, ist es nicht. Du kannst Lerina wieder loslassen, Tauri, ihr wird nichts passieren."

Der Elbin wurde nun wohl bewusst, dass sie etwas überreagiert hatte, denn ihre Ohren liefen rot an, während sie ihre Tochter zurück in den Kinderwagen bettete. 

"Dann lasst uns mal los in die Hölle!", lachte Kili und rannte, natürlich in Begleitung seines großen Bruders, die Treppe hinab in die Unterführung. Nach den ersten paar Stufen blieben die beiden Zwerge jedoch wie angewurzelt stehen. 

"Das stinkt ja fürchterlich!", keuchte Fili, "Noch schlimmer als damals in der Trollhöhle, weißt du noch, Kili?"

"Stimmt", schloss sich sein Bruder an, "wie könnte ich das vergesse?" 

Da musste ich den beiden leider Recht geben, nicht, dass ich jemals in einer Trollhöhle gewesen war, aber egal.

"Nase zu und durch würde ich sagen", stöhnte Tom, als er mit Tauriel vorsichtig den Kinderwagen nach unten trug. Die Elbin wurde, je weiter sie in die Tiefe ging, noch blasser als sie ohnehin schon war. 

Auch Thranduils Gesichtsfarbe nahm eine dramatische Veränderung an, als er mit langen Schritten durch die Unterführung hechtete. Sein Sohn folgte ihm mit angewiderter Miene und Selina und ich hielten uns ebenfalls die Nase zu, während wir die persönliche Trollhöhle unserer Stadt durchquerten. 

Als wir gefühlt drei Zeitalter später endlich am anderen Bahnsteig standen, atmeten wir alle erleichtert auf. 

"Halleluja", seufzte Selina, "geschafft." 

Tauriel war immer noch leichenblass, ihre Beine zitterten und nun ließ sie sich ernsthaft unter dem besorgten Blick meines Bruders auf die Sitzbank des kleinen Wartebereiches sinken. 

"Mach dir keine Sorgen", stöhnte sie, "das war gerade nur der ekelhafteste Ort, den ich je betreten habe..." 

Oh du fröhliche... Weihnachten mit MittelerdeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt