Kapitel 32

354 25 4
                                    

Noch immer saßen die beiden fest umschlungen auf dem Boden des Thronsaals. Es gab in diesem Moment nichts, was diese unverwundbare und angenehme Stille brach. Der Schwarzhaarige hatte die eine Hand fest in den braunen Haaren des Jungen vergraben, während er mit der anderen über dessen Rücken strich. Er konnte verstehen, wie Eren sich momentan fühlte. Er wusste wie es war, geliebte Menschen zu verlieren. Und das sollte keiner durchmachen müssen. Wie Eren war er in dem Moment mit Verwirrung und purer Wut erfüllt, doch schaffte er es erfolgreich zu verstecken, wie so oft. Er war verwirrt, weil er nicht wusste wie es zu all dem gekommen war. Er war wütend auf den Vampiren, der Erens Familie sowas Schreckliches angetan hatte. Er konnte Eren sehr gut verstehen. Seine Gefühle und Gedanken fuhren Achterbahn, das konnte Levi durch die angespannte Haltung und den Schein in seinen Augen vernehmen. Und es tat weh. Wie gern er jetzt mit ihm den Platz tauschen wollen würde, nur um Eren den Schmerz zu ersparen, der ihn jetzt so plagte.
Aber Levi konnte auch sehen, wie angestrengt Eren versuchte, all dies runterzuschlucken. Er war nicht anders.

Nach noch weitern Momenten der Stille löste sich der Braunhaarige von Levi. Nur ein kurzer Blick in dessen Augen machte dem Schwarzhaarigen klar, dass Eren nun anders war. Er schien plötzlich viel gefasster und nicht mehr so zerbrechlich wie Porzelan. Konnte er so schnell all dies unterdrücken und ignorieren? Levi verstand es nicht.

"Können wir dahin?", kam es aus Erens Mund ohne jegliche Emotion. Nicht nur Levi schien von seinem Haben überrascht zu sein, denn auch die Königin schien damit nicht gerechnet zu haben. "Du willst zu deinem Elternhaus? Aber wieso, Eren?", fragte darauf Levi und versuchte in die Augen Erens zu sehen, da er wissen wollte, ob irgendein Teil von Widerspruch oder Zweifel darin zu sehen war. Doch da war nichts. Nur pure Entschlossenheit und Kälte.
Ein bestätigendes Nicken Erens ließ Levi schlucken. Er sah zu seiner Mutter, die auch zu überlegen schien. "Ich weiß nicht, Eren. Wenn besagter Vampir immer noch dort ist... Wir wissen nicht, wie es sein wird. Und wir können auch nicht sicher sein, ob es eine gute Idee wäre, dich zum Ort des Geschehens zu bringen. Wir können nicht riskieren, dass etwas geschehen könnte. Bitte verstehe das.", erklang es von der Königin. In den letzten Monaten ist es der Königin so ergangen, als wäre Eren ihr zweiter Sohn. Deswegen ging es an ihr auch nicht spurlos vorbei, was sich nun ereignet hatte.

Durch eine leichte Gesichtsregung konnte man vernehmen, dass Eren damit in keinem Fall einverstanden war. Wie ein Reflex flog sein Blick zu Levi und spannte seine Hände automatisch zu Fäusten. Levi entging dieser flehende Blick Erens nicht, der es ihn auch nicht leichter machte. Er seuftze nachdenklich. "Ich bin ehrlich... Mir gefällt diese Idee auch nicht. Wir können nicht sicher sein, ob alles nach Plan verläuft, so wie du es dir vorstellst." Eren zog argwöhnisch die Augenbrauen zusammen. Ernsthaft? Nichtmal er würde zustimmen? Damit hatte Eren offengehaltener Weise nicht gerechnet. Gefasst stand er auf und schaute zielorientiert gen Boden. "Ich... Ich will aber unbedingt dorthin! Ich will sehen, wie es aussah. Wie es passiert war. Ich will sehen...was ich zurückgelassen habe. Ich will sehen, wer das getan hat. Bitte versteht doch...Ich will es nur einmal sehen. Und ich hatte auch nicht vor alleine zu gehen. Levi kommt mit, wenn nötig noch jemand anderen! Und wenn ich die Kontrolle verlieren sollte, dann... dann kann Levi mich auf der Stelle töten!", sagte er ungeheuer gefasst. Auf die Worte Erens riss der Schwarzhaarige entsetzt und geschockt die Augen auf. Er konnte diesen Worten keinen Glauben schenken. Er sollte Eren töten? Er sollte die wohl nun wichtigste Person in seinem Leben umbringen? Nein, das konnte er nicht.
Sogleich stand Levi auf und ging zu Eren, umfaste seine Schultern und zwang den Braunhaarigen ihn in seine Augen zu sehen. "Eren! Was sagst du denn da?! Wie kommst du nur darauf?! Ich werde dich doch nicht töten, niemals! Das kannst du vergessen! Schlag dir diese Dummheit aus dem Kopf!", sagte er erbost, aber trotz eines sanften Untertons in der Stimme.

"Aber...", fing der Braunhaarige an und schaute Levi gefasst und angesäuert an. "...war es nicht der Plan, dass, wenn ich die Kontrolle verlieren sollte und ich nicht aufgehalten werden könne, von dir getötet werden sollte, da du am besten an meine Kräfte rankommst? Also was dann, Levi?! Was passiert dann, wenn es soweit ist? Du kannst mich schlecht einfach rumwüten lassen! Und glaub mir, ich habe es mir nicht ausgesucht, so zu sein! Ich wurde einfach in dieses Gewässer geschmissen, ohne Rettungsring, der mich vor dem Ertrinken hätte schützen können... Weißt du.. Ich bin es einfach leid! Ich bin es leid, dass um mich die ganze Zeit so ein Trubel geschieht! Dass ich nichts gesagt oder erklärt bekomme! Dass alles 'geheim' sein soll! Dass ich einfach so tun soll, dass alles doch nicht so schlimm ist..! Das alles ist eine Lüge! Diese Welt ist eine Lüge! Du bist eine Lüge, Levi! Du hast dich Anfangs einen Dreck um mich geschert, hast mich geschlagen, getreten und beschimpft. Und jetzt? Jetzt tust du so, als wäre ich dir der liebste Mensch auf der Welt. Was soll das sein?! Sei doch mal ehrlich, Levi! Du bist ein Monster! Ein Monster, dass einen Dreck auf andere gibt und nur seinen Gelüsten nachgeht!..Ich...Ich will das alles einfach nicht mehr!" Eren stürmte nach seinen gefühlserfüllenden Worten aus dem Raum.

Es war aber nicht so, als wenn er die Kontrolle verloren hätte. Nein, Eren war sich ganz genau bewusst, was er da von sich gab und wie es wirkte. Und diese Tatsache machte es Levi gegenüber nicht leichter. Völlig überfordert und mit seinen Gefühlen alleine stand er dort, schaute Eren hinterher. Es wäre falsch, ihm hinterher zu laufen. Er wollte alleine sein.

"Hat Eren...", fing die Königin an, wurde jedoch von Levi unterbrochen. "Nein... Er war sich haargenau bewusst, was er sagte und wie es wirken würde. Das war kein Kontrollverlust. Das waren Erens innere Gefühle und... Gedanken."

-

Mit Tränen in den Augen streifte Eren durch die dichten Wälder des Düsterwaldes. Er hatte ein ganz klares Ziel vor Augen. Er wollte es unbedingt sehen. Er wollte unbedingt sehen, was geschah und wie es geschah. Da würde er auch den endgültigen Tod in Kauf nehmen. Obwohl es sehr unwahrschienlich erschien, dass ihn jemand, außer Levi, aufhalten könne. Ihm war es egal, was auf ihn zukommen sollte. Er wollte es doch nur sehen. Wie konnte es nur sein? Wie konnte es nur sein, dass die nun wohl bedeutenste Person ihm in den Rücken fallen würde?! Er hasste sich selber dafür, dass es nun so gekommen war. Er wusste es doch, dass dieses nette und zuvorkommende Getuhe von Levi nur eine Farce war. Der so kaltherzige und blutrünstige Prinz würde nie so zu einem niederen Ranges und zudem noch Schlosshundes sein. Dass konnte er sich einfach nicht erklären.

Aber er durfte jetzt nicht den Faden verlieren. Sein Ziel lag ihm klar vor Augen. Er wollte stärker werden. Er wollte stärker werden und dem Vampir, dessen Hände mit dem Blut seiner Eltern befleckt waren, all seine auf Rache fixierten Gedanken aufbringen und ihn das Leid fühlen lassen, was er durchleben musste. Was seine Eltern durchleben mussten.

-

"Was machen wir jetzt?", fragte Hanji, während die beiden in Levis Zimmer waren. Levi schüttelte den Kopf. "Wir können nichts machen. Eren hat ganz klar verdeutlich, wie er über all das hier denkt. Wie er über mich denkt. Ich will ihn zu nichts zwingen, und wenn er es nicht will... dann müssen wir das aktzeptieren... Ich kann ihn doch nicht in diese Hölle zurückziehen...", sagte er hoffnungslos. Es waren nun schon zwei Stunden her, seitdem Eren weggelaufen war. Keiner war ihm hinterher gelaufen, auf die Bitte Levis. Er wollte es so. Eren wollte es so, da hatte er nicht das Recht, etwas daran zu ändern. Dafür... war ihm der Braunhaarige zu wichtig.

"Aber...Aber wie kannst du ihn einfach ziehen lassen, Levi? Keiner ist für ihn da und kann ihn aufhalten, wenn—", Hanji wurden von Levi unterbrochen, als er mit der Faust auf den Holztisch schlug und er darauf einen großen Riss hervorbrachte. Eine erdrückende Stille lag im Raum. "Eben... Keiner kann ihn aufhalten, Hanji. Es ist nicht mein Recht, etwas dagegen zu unternehmen. Ich...Ich- Ach Scheiße! Ich will das doch auch nicht! Ich will nicht, dass Eren geht und so über mich denkt! Ich bin aber auch selber Schuld! Er denkt, dass ich ein brutales und unaufhaltsames Monster bin, das nur aus Spaß seinen hungrigen Gelüsten nachgeht und sich holt, was es will..! Aber weißt du was?" Hanji drehte ihren Kopf in die Richtung Levis. Der Schwarzhaarige war aufgestanden und zum Fenster gegangen, wo er die ins weiße Licht getauchten Wälder beobachtete. Wie automatisch legte er eine Hand auf das Glas und schaute unverhofft und geschlagen ins Finstere.

"... Vielleicht hat Eren ja immer Recht gehabt. Ich bin eben doch nur ein blutrünstiges Monster. Warum habe ich überhaupt versucht, je etwas anderes sein zu wollen..?"

Biss zum Morgenrot [Ereri/Riren]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt