Kapitel 39,5

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Bei Eren
Vor 4 Jahren

Schon seit einer ganzen Weile war es tief finster. Es war ungemein still. Kein Tier ließ es klängen. Das einzige Geräusch, was man vernahm, war das Blätterrascheln und Ästebrechen, welches durch Eren verursacht wurde. Er streifte durch die von Finsternis getränkten Wälder und blendete alles außerhalb seines Sichtfeldes aus. Er fühlte nichts wie Trauer, Angst, Reue oder Schuld. Er war die Ruhe selbst, die aber von Wut und Hass getränkt war. Ihm lag nur ein Ziel vor Augen: Stärke.

Mit einem letzten Sprung überflog Eren die letzten Meter zu seinem Haus. Auch hier war es still. Nichtmal das Rauschen des Baches ein paar Meter weiter war zu hören. Es herrschte eine erdrückende Stimmung in der Luft. Womöglich würde jeder andere Mensch erkennen, dass dies ein Tatort war, ohne überhaupt einen Blick ins Innere des verlassenen Hauses zu werfen. Womöglich war dies auch besser so. Nicht mal Eren konnte hier sicher sein, aber das war ihm so ziemlich egal. Egal, ob hier der Tod oder eine neue Hoffnung auf ihn warten könne.

Mit langsamen Schritten kürzte er immer wieder die Strecke zwischen ihm und dem Haus. Die einst so schöne Fassade war überwuchert von Unkraut und anderem untreuem Gewächs. Die früher mal so prächtigen Pflanzen, die seine Mutter einst voller Leidenschaft und Freude mit ihm zusammen gepflanzt hatte, waren verwelkt oder einfach tot. Dieser trostlose Anblick schmerzte Eren sehr. Hier hatte er voller Freude und ohne Sorgen ein schönes Leben gehabt. Auch wenn es nur eine weitere Lüge war. Er hatte nie in diese abgefüllte Gesellschaft gehört. Alle waren immer betrunken von etwas... War es Alkohol, war es Macht, waren es Frauen, war es Reichtum oder gar... ein Kind. Jeder hatte etwas in dieser Welt, nur er nicht. Er war von nun an alleine in dieser schrecklichen Welt.

Sein Blick ging weiter über das Äußere. Die Holztür war rücksichtslos aufgetreten worden und lag nun neben ihren eigentlichen Platz. Schon von außen konnte Eren die Verwüstung im Inneren ersehen. Mit einem weiteren Schritt wurde dies nochmals bestätigt. Die Stühle vom Esstisch waren auf dem Boden in Stücken verteilt, das Sofa völlig zerissen, die Wände mit Kratzern bestückt, die Bücher aus ihrem festgelegten Regal gerissen und... und die Tür zu dem Schlafzimmer seiner Eltern mit Blut getränkt. Wieder liefen ihm Tränen übers Gesicht und Geschluchze unterbrach die qualvolle Stille des Hauses. Er hielt sich die Hand vor den Mund, da er nicht wieder in diese tiefe und erdrückende Trauer vollenden wollte. Er musste stark bleiben. Er hatte jetzt keine Zeit zu trauern. Er musste sich nun ganz auf seine Ziele konzentrieren.

Etwas zögerlich und mit zu Fäusten geballten Händen trat er in das Zimmer. Eine getrocknete Blutlache war der Ersatz für den einst so roten Teppich, der damals durch sein Verschulden weggeräumt werden musste. Nun ging sein Blick weiter. Das Bett war von Blut benetzt und die Kissen und Decken waren im Zimmer wild zerstreut. Der Stuhl des Schreibtisches war schämenhaft offen stehen gelassen und das Papier mit Stifte lagen achtlos auf diesen. Eine der beiden musste wohl in der Hecktik nach einem als Waffe benutzbaren Gegenstand gesucht haben. Wahrscheinlich die Mutter, die von soetwas nie die Ahnung hatte.
Eren blieb in dem von Einsamkeit gefüllten Raum, bis er den Kopf schüttelte und diesen verließ.
Er wollte in sein Zimmer gehen, sein altes für Schutz sorgendes Zimmer. Er mochte es noch nie, wenn seine Eltern ohne Erlaubnis sein Zimmer betraten. Oder nichtmals klopften.

Das andere ignorierend stieg er die Treppen zu seinem Zimmer empor. Anders als im unterem Teil des Hausen sah dieser unberührt und friedlich aus. Darüber war Eren auch etwas froh, dass wenigstens ein Teil wie früher geblieben war. Mit einer Hand strich er über die von der alten Tapete bedeckten Wände, um nicht eventuell zu fallen. Auch wenn diese Vorstellung unrealistisch für ihn erschien, man konnte sich nie sicher sein. Er brauchte einen Halt.

Vor seiner Zimmertür angekommen hielt er für einen Augenblick inne. Dann musste er sich an etwas erinnern. "Eren! Mach die Tür auf, wir wollen los. Wie oft haben wir dir schon gesagt, dass du deine Tür nicht verschließen sollst? Bitte, Eren Schatz, mach deiner Mutter auf...", sagte seine Mutter und musste seufzen. "Hör mal, Eren... Es tut mir leid, ich hätte vorhin nicht so aus der Haut fahren sollen. Bitte verzei' mir...", hatte seine Mutter gesagt. Diese Erinnerung zauberte ihn ein trauriges Lächeln auf sein Gesicht. Er hob die Hand und öffnete seine hölzerne Zimmertür. Alsbald er sein Zimmer betrat überschlug ihn direkt eine andere Atmosphäre. Eine vertrautere. Er hatte sich hier immer hin geflüchtet, wenn er mal mit seinen Eltern nicht gut zu sprechen war.

Er sah sich um. Es war alles noch genauso, wie er es hinterlassen hatte. Genauso unordentlich und verstreut. Er konnte seine Mutter nie verstehen, wenn sie sagte, er solle sein Zimmer aufräumen. Er selber musste doch in diesem leben, also warum beschwerte sie sich dann? Sein Blick ging zu seinem Schreibtisch über. Dort lag auch noch das Buch, worin er über die Ackermanns gelesen und recherchiert hatte. Und daneben sein früheres Notizbuch, wo er seinen Plan vermerkt hatte. Er trat näher heran und nahm dieses in die Hände, öffnete es und blätterte durch. Da er sich damals bei der Planung so viel Mühe gegeben hatte, waren es auch dementsprechend viele beschriebene Seiten. An den Rändern der Seiten waren auch kleine und kurze Kommentare zu finden wie: "Ich werde Vater stolz machen.", "Ich bin der Stärkste.", "Ich darf nicht scheitern.", "Ich muss diesen Levi zur Strecke bringen." Dann kam es ihm in den Sinn, wie dies alles doch zum scheitern verurteil war. Er hatte damals keine Chance gegen den mächtigen und blutrünstigen Prinzen Levi gehabt. Er war zu naiv gewesen.

Dann sprang ihn ein eingeramtes Bild ins Auge. Es war eine Fotographie von ihm und seinen Eltern, als er noch klein war. Er legte das Notizbuch hin und nahm stattdessen das Bild in seine kalten Hände. Mit der einen strich er über das Glas, was das Foto vor Dreck schützte. Einer seiner Mundwinkel zuckte nach oben, als er den Gesichtsausdruck seines jüngeren Ichs erblickte. Genau in dem Moment, in dem das Bild aufgenommen wurde. Eren hatte in dem Moment nießen müssen und lenkte somit die volle Aufmerksamkeit des Betrachters auf sein kindliches, rundes Gesicht. Mit einem leichten Schmunzeln stellte er das Stück wieder auf den Tisch.

"Da bist du ja, Eren.", kam es dann auf einmal hinter ihm. Erschrocken drehte er sich um. Vor ihm stand ein großgewachsener Mann, mit kurzen, blonden Haaren und breitem Schulterbau. Er trug einen elegenten und schwarzen Anzug. Dazu weiße Handschuhe. Seine dünnen Augenbrauen hatte er amüsiert verzogen. "W-Wer sind Sie?", fragte Eren mehr als verwirrt. Warum war auf einmal ein wildfremder Mann in seinem Haus? "Stimmt, ich hätte mich vorstellen sollen. Mein Name ist Braun, Reiner Braun.", antwortete er und zupfte sich seinen Ärmel zurecht. "Und warum sind Sie hier, Mr. Braun? Ich kann mich nicht daran erinnern, dass meine Eltern jemanden kannten, der 'Braun' hieß." - "Das kann womöglich daran liegen, dass ich sie bis vor kurzem auch noch nicht kannte.", sagte er wie die Ruhe selbst und trat hervor. Eren ging wie vorgeschrieben ein paar Schritte zur Seite, was die andere Person mit einem schelmischen Grinsen konterte.

Eren konnte spüren, dass dieser Mann nichts Gutes im Sinn hatte. Er hatte so eine finstere Ausstrahlung. "Na na, Eren. Du musst nicht zurückweichen, wenn ich doch eh keine Chance hätte. Immerhin... bist du doch der Stärkste von allen, oder?", kam es wissend von ihm und nahm das Familienbild in die von Handschuhen bedeckten Hände. Eren verzog misstrauisch das Gesicht. "Woher wissen Sie davon? Ich wurde die letzten Monate in strenger Isolation gehalten. Niemand dürfte von mir wissen...", sagte er darauf bedacht. Reiner musste kurz auflachen. "Du musst wissen, Eren, dass du nicht so unbekannt bist, wie du es gerne hättest. Ein Mischling, der den Kampf gegen seine inneren Seiten verloren hatte, nur das bist du. Du magst zwar stark wirken, doch ist dein ganzes Potenzial noch lange nicht erreicht.", sagte er und machte eine Pause. "Aber meine Meister wollen dir ein Angebot machen." Da wurde Eren hellhörig. Was für ein Angebot hätten sie ihm denn anbieten können? Alles hat er verloren, also kann er es auch nicht wiederbekommen. "Wir... wissen um deine Lage bescheid und sind gewillt, dir Hilfe und Beistand sowie Kraft zu geben. Sie helfen dir deine Kraft zu verbessern, aber nur... wenn du auch deinen Teil dazu beiträgst, mein Lieber." - "Und was ist dieser Teil?", fragte er neugierig. Das könnte die Chance sein, um seine Eltern zu rechen! Da nahm er alles in Kauf. Er würde sogar morden, nur um seine Stärke zu finden.
Es ist wohl nicht erwehnenswert zu sagen, dass dies hier nicht mehr der Eren war, der einst mit Levi und Hanji durch die Wälder stürmte und lachte. Dieser Eren war nicht mehr er selbst. Er hatte nur noch die Wut, die ihn antrieb. Und niemand könnte ihn aufhalten. Nicht, wenn er so kurz davor stand sein Pläne umzusetzen.
"Du wirst für uns kämpfen uns dein Leben geben. Sowie uns treu ergeben sein."
...
"Einverstanden."

Biss zum Morgenrot [Ereri/Riren]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt