Kapitel 28

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"Ist das alles, was du hast, Levi?!", fragte der Braunhaarige schelmisch grinsend und ballte Fäuste. Es waren nun etwas mehr als drei Monate vergangen, seitdem Eren erwacht war. In dieser Zeit bestand sein Tagesablauf größtenteils aus Training. Man möge es gar nicht glauben, aber sein Körper hatte reichlich an Muskelmasse dazugewonnen und seine Haare waren wieder länger geworden. Es gab beinahe nichts mehr, was noch an den kleinen 16-Jährigen Jungen erinnerte, der von Zuhause abgehauen war, um seinen Vater zu beeindrucken.

"Das glaubst du doch wohl selbst nicht, Junge!", rief Levi bedrohlich grinsend zurück und sprintete mit einer hohen Geschwindigkeit auf den Braunhaarigen zu. Er hob sein Bein und zielte damit auf Erens Bauchregion, dieser konnte aber durch seine überempfindlichen Reflexe sofort ausweichen und benutzte die Kraft Levis gegen ihn. Er hob das Bein und schleuderte ihn somit in die andere Ecke des Raumes. Einzelne Wandstücke bröckelten herunter. Während Eren immer noch munter war, und seinen Erfolg genoss, richtete Levi sich wieder auf und wischte sich mit seinem Handrücken das Blut seiner aufgeplatzten Lippe weg.
Er keuchte kurz verspannt auf, ehe er wieder näher an Eren trat und seine Finger knacken ließ und sich wieder auf Position begab. "Du magst zwar besser geworden sein, aber mich bekommst du noch lange nicht so leicht aus dem Ring, Eren!", entfuhr es dem Schwarzhaarigen mit einem süffisanten Grinsen. "Ha, anders kenne ich aus auch nicht von dir!", sagte Eren zurück und startete diesmal den Angrif. Schon preschte er los.

Er entschied sich einen Angriff von oben zu machen und sprang an die Decke. "Ein Angriff von oben, nicht schlecht", sagte Levi leise zu sich selbst, was Eren natürlich mitbekam und direkt von oben auf ihn eindreschte. Aber womit er nicht gerechnet hatte war, dass Levi dies vohergesehen hatte und zur Seite gesprungen war, an der Wand lehnte und den Jungen mit einer hochgezogenen Augenbraue ansah. "Mist, leider warst du diesmal schneller!", fluchte Eren vor sich hin und kam auf den Schwarzhaarigen zu. "Tja, dann weißt du ja, woran wir die nächste Zeit trainieren werden", sagte Levi und nahm sich die Flasche vom Tisch, der am Rande des Trainingsraumes stand. Eren seufzte kaputt und machte es ihm gleich.

Nun lehnten die beiden an der Tischkante und tranken ihre Erfrischung aus der Flasche. Sie hatten die letzten Stunden ohne Pause ungehemmt Angriffe aufeinander gestartet, was sehr an ihren Kräften nagte. Besonders bei Eren, da er das Ausmaß und die Stärke seiner Angriffe noch nicht ganz kontrollieren konnte. "Du wirst immer stärker, Eren", meinte leise Levi und unterbrach die beruhigende Stille im Raum. "Mh?", Eren drehte den Kopf zu ihm, welcher kurz schmunzeln musste, als er sah, dass Eren etwas am Mund hatte. Er konnte sich nicht davor abhalten, es zu entfernen und wischte den Blutfleck mit seinem Daumen weg. "Ach ja?", fragte er dann und sah dem Schwarzhaarigen in die Augen, die ihn wie so oft in letzte Zeit aus der Bahn warfen. Sie strahlten in letzter Zeit eine so starke Presenz und Leben aus, dass er sich oftmals gänzlich in diesen grau-blauen Seelenspiegeln verlor. "Ja... Am Anfang war es ja noch leicht, deine Angriffe zu parrieren...aber jetzt? Jetzt fällt es mir immer schwerer. Hätte ich gerade nicht schnell genug reagiert, dann könnte ich jetzt sicher nicht so locker neben dir stehen, Eren. Es verblüfft mich immer wieder, wie du dich in den letzten Monaten so verändert hast. Kaum zu glauben, dass es bis jetzt keine großen Probleme gab", erzählte er und stellte die Flasche wieder ab.

Eren zuckte mit den Schultern und machte es ihm gleich. Er entfernte sich das Haarband aus seinen Haaren und fuhr mit der Hand durch Jene. Es war etwas verschwitzt und roch auch etwas unangenehm, aber keiner der beiden schien es zu stören. Levis Haar blieb von den ganzen Kämpfen auch nicht verschont und lag etwas zerzaust auf seinem Kopf. "Sag mal, willst du die nicht mal wieder schneiden?", fragte der Schwarzhaarige und betrachtete die Schulterlangen Haare Erens. Dieser wiegte den Kopf. "Ich finde es eigentlich ganz gut so. Außerdem sieht das doch gar nicht so schlecht aus, oder etwa nicht?" Levi zuckte mit den Schultern. "Schlecht sieht es gewiss nicht aus. Ich meine nur, es könnte dich bei einem Kampf behindern. Nicht, dass du daran scheiterst", meinte er. "Dazu habe ich ja das Haarband, was mir Mikasa geschenkt hat. Es ist echt nützlich"

"Ist jetzt auch egal. Komm, wir machen uns jetzt frisch und dann gehen wir zu Hanji. Ich will mit dir in den Wald" Eren schaute bei den Worten Levis auf. "I-In den Wald?", fragte er ungläubig. Eren hatte in den letzten Monaten nicht ein Fuß hinter die Schlossmauern gesetzt und vermisste es sehr, den Wind auf seiner Haut zu spüren. Aber andererseits sah er es auch als Schutz. Nicht nur für andere, sondern mehr für sich selbst. Dann konnte er, wenn er aus der Kontrolle geraten sollte, direkt aufgehalten werden. Von Levi, versteht sich.
"Ja, in den Wald. Ich konnte meine Mutter überreden, es mir zu erlauben. Hanji kommt natürlich mit. Und wir dürfen nicht weiter als einen Kilometer von dem Schloss weg." Eren nickte dankbar vehement mit dem Kopf. Er konnte es schon kaum erwarten, endlich mal wieder an die frische Luft zu gelangen und die Flügel auszubreiten. "Toll! Ich freue mich schon! Ich kann es kaum erwarte, Levi! Das wird bestimmt super." Auf Erens Worte wiegte Levi schmunzelnd den Kopf. Er hatte Erens kindliche Seite immer gemocht. Aber er musste früh erwachsen werden. Anstatt, dass er wie Eren die meiste Zeit im Schloss verbrachte, musste er öfter raus, da er die 'Götter und ihre Untergebenen' im Auge behalten sollte, da es verdächtig ruhig war.

Die beiden verließen den etwas demolierten Trainingsraum und machten sich auf den Weg in Levis Gemächer. Eren wollte kein eigenes. Als die Königin ihn eins anbot, hatte er dankend abgelehnt, da er meinte, er fühlte sich bei Levi sicherer. Dagegen hatte er natürlich nichts einzuwenden und genoss es sehr, die Zeit mit seinem Schützling zu verbringen.

Zuerst ging Levi duschen, da er nicht so lange wie Eren brauchte. In der Zwischenzeit, in der Eren sich frisch machte, war er wie immer in seine Bücher vertieft. Nur als ihm ein nassen Handtuch ins Gesicht geworfen wurde, schaute er überrumpelt auf und suchte den Schuldigen. Eren stand da mit frischen Anziehsachen und war herzlich am lachen. Dies fand Levi allerdings gar nicht lustig, da nun sein Bett ganz nass war. Dies zeigte er auch gewissenhaft mit einem beleidigten Gesicht und warf den nassen Stoff zurück. "Ach komm schon, Levi. Das war doch jetzt nicht so schlimm", meinte der Braunhaarige immer noch etwas am lachen. Levi verdrehte die Augen. "Ist ja gut! Komm, wir müssen jetzt los!", sagte er kalt und stand von seinem Bett auf, ehe die beiden sich auf den Weg Richtung Hanjis Labor machten.

"Und? Wie lief es heute für dich, Levi?", fragte Hanji neugiereig, als sie sich ihr geliebtes hölzernes Klemmbrett zur Seite legte. Gefragter schnaubte immer noch etwas geschwächt. "Lange kann ich nicht mehr mithalten. Ich finde es immer noch erstaunlich, wie schnell sich seine Kraft entwickelt. Hätte ich heute nicht schnell genug reagiert, dann könnte man mich vergessen", erzählte er sich den Nacken reibend. Hanji brummte nachdenklich. Sie rückte sich ihre Brille zurecht und schrieb sich etwas auf. Da Levi mit Eren permanent am trainieren war, war es wichtig auch seine Ergebnisse zu vermerken. Denn manchmal waren sie erstaunlich schwächer, als die von Eren, und dann aber wieder etwas höher. Den Grund wussten die beiden nicht. Es könnte daran liegen, dass sich Erens Kräfte je nach Gemütslage änderten. Dass war aber nur eine Annahme. "Stimmt schon, deine Werte waren diesmal fast gleich auf, mit denen von Eren. Du hattest echt Glück gehabt, dass es nicht anders war. Nicht mehr lange, und du kannst nicht mehr so intensiv mit Eren tranieren", murmelte sie in Gedanken. Eren saß still daneben und machte sich seine eigenen Gedanken dazu. Er wollte nicht, dass er Levi irgendwie Schaden zufügte. Aber bis jetzt ergab sich noch keine andere Möglichkeit, dass er  trainieren konnte, ohne jemand anderen zu gefährden. So lange er sie nicht vollends kontrollieren konnte, war er für alle eine Gefahr. Und das wusste jeder...

Biss zum Morgenrot [Ereri/Riren]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt