Kapitel 45

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Es waren bereits einige Minuten vergangen und sie waren noch immer auf dem Schlosshof. Genossen das kalte Licht und beobachteten die tanzenden Blätter auf dem Boden.
Die Hände ineinander haltend saßen sie wieder auf der Steintreppe und genossen ihre endliche Zweisamkeit, nachdem sie so lange sich nicht sahen. Es war eine ganz andere Atmosphäre als vor wenigen Momenten.
Diese war rein, friedlich, entspannt und einfach schön. Sie waren einfach zusammen und genossen es. Denn... wer wusste schon, wie lange dieser momentane Frieden weilen würde?

Die zwei hatten danach nicht mehr viel gesagt, das brauchten sie auch nicht. Sie kannten sich mittlerweile so gut, dass ein Blick ausreichte. Jedenfalls empfanden sie so. Und was gab es daran auszusetzen? Doch gab es noch eine Sache, die Levi nicht kalt ließ. Was war eigentlich passiert, nachdem er bewusstlos geworden war? Wie endete der Krieg? War er überhaupt vorbei? Es musste so sein, denn wie sollte alles so entspannt sein, wenn draußen das Gemetzel auf sie wartete? Levi runzelte die Stirn. Warum konnte er sich nicht einfach über seine Momentane Lage freuen, wie eine normale Person?
Er hatte seinen Kopf an Erens Schulter gelehnt und strich mit seiner Hand über die des Braunhaarigen. Er empfand es als angenehm. Genauso wie Eren selbst, der dies gerne so weiter mit sich machen ließ. Auch sein Kopf war nicht still. Er dachte darüber nach, was in den letzten Tagen und Stunden so alles passiert war.

In den vergangen sechs Wochen hatte er nachgedacht. Und das sehr viel. Er konnte eine Sache nicht verstehen und die ließ ihn auch nicht in Ruhe. Immer wieder musster er daran denken und raubte ihm somit den Seelenfrieden, den er nun eigentlich in sich spüren sollte. Doch das tat er nicht. Diese eine Sache wühlte ihn so sehr auf, dass er versuchte sich mit anderen Sachen, wie das Trainieren und dem Lesen abzulenken, was jedoch nur minder auch wirklich funktionierte. Und jetzt, wo er sein Ziel endlich erreicht hatte, verstand er es nicht und empfand pure Verwirrung.

Levi begann unbewusst Erens Hand fester zu drücken, was dieser natürlich sofort merkte und auf seine Schulter schaute, wo sich Levis Kopf befand. Er hatte sein Gesicht nachdenklich verzogen. Er schien so in Gedanken zu sein, dass er gar nichts mitbekam. Dies wiederum machte Eren etwas besorgt und stutzig. War etwas mit Levi? Woran dachte der Schwarzhaarige, was ihn so angestrengt nachdenken ließ? Eren wusste es nicht, und das machte ihn unruhig. Levi war schon immer eine Person gewesen, die immer alles still ertrug und für sich war. Er wirkte von Außen unantastbar und kalt, doch war er im Inneren mindestens genauso zerbrechlich wie jeder andere. Er baute eine Mauer, nur damit keiner seine weiche und verletzliche Seite sah.
Eren könnte zwar versuchen Levis Gedanken zu lesen, doch empfand er sowas als verwerflich. Es hatte schon einen Grund, wenn man seine Gedanken nicht aussprach. Aber dennoch, Eren war von Natur aus sehr neugierig. Man könnte ja fragen. Die Person könnte dann selbst entscheiden, ob sie antworten wolle.

"Levi? Alles in Ordnung? Du siehst so nachdenklich aus...", meinte Eren sanft und umfasste nun auch mit seiner anderen Hand die beiden Hände Levis. Angesprochener schien aus seiner Trance zu erwachen und weitete die Augen. "Äh... Ja. Alles gut.", versichter er, doch in Erens Gesicht konnte man die Zweifel genau sehen. Levi erkannte, dass Eren andere Meinung war. Er atmete nochmal ein und aus. "Ich habe mich nur gefragt, was passiert war, nachdem ich bewusstlos wurde. Wie der Krieg zu Ende ging. Das will mir einfach nicht in den Kopf.", erzählte Levi und setzte sich nun gerade hin, die Hände jedoch immer noch haltend.

Eren konnte Levi gut verstehen. Er wusste es ja selbst nicht mal so genau. Und genau diese Tatsache machte ihn unruhig. Er hatte sich bereits gedacht, dass er es Levi irgendwann man erklären müsste, jedoch wusste er nicht wie. Er verstand es selbst nicht.

"Eren, was ist danach passiert?", fragte Levi etwas beunruhigt, da nach seinen Worten Eren nicht mehr geistig anwesend zu sein schien. Also hatte er doch recht gehabt, mit der Tatsache, dass Eren etwas mit dem Kriegsende zu tun hatte. Umso mehr wollte er die Wahrheit erfahren.
"Als... Als Hanji und Moblit dich zum Schloss gebracht haben... Ich wollte Rache und bin zu Reiner gegangen.", fing er an und schaute in das Gesicht seines Liebsten, worauf er sanft lächeln musste.

"Es war nicht schwer; er hat sich mir quasi auf dem Präsentierteller serviert." Levi verzog verwundert durch diese Ausdrucksweise das Gesicht. "Wie meinst du das, Eren?", fragte er deshalb. Eren lachte kurz humorlos auf. "Er wusste ganz genau, dass du hinter die Wahrheit kommen würdest. Er wusste, dass du mich umstimmen und mir die Wahrheit erzählen würdest. Er wusste alles... Als ich dann jedenfalls ankam, war es um uns herum weitgehend still. Selbst ich habe keine Schreie oder auffällige Gerüche wahrgenommen. Als wenn nie etwas passiert wäre... Es war einfach ungewöhnlich. All die Jahre hatte ich mit ihm Kontakt und dann entpuppt er sich als der Mörder meiner Eltern. Aber weißt du was?" Levi schüttelte den Kopf. "Er...Er empfand doch tatsächlich Schuld. Reue. Er flehte mich an, dass ich ihn töten solle, weil er einfach nicht mehr leben wollte. Er fühle sich schuldig und elend, weil er zwei unschuldige Menschen einfach auf Befehl umgebracht hatte..." Levi hob den Kopf. Jetzt verstand er auch nichts mehr. Warum sollte Reiner solch für ihn untypische Dinge sagen? Levi hatte Reiner immer als einen starken Mann gesehen, sowohl körperlich als auch seelisch. Da kam es ihm schon absurd vor, wenn solch eine starke und präsente Persönlichkeit auf einmal so schwach sein solle.

"Und was hast du gemacht?", erklang es Levis Stimme. Er konnte es sich bei Erens momentan Gesichtsausdruck schon denken. Er war von entspannt auf Kälte umgesprungen. Doch funkelten seine Augen von Reue und Verwirrung. "Erstmal gar nichts. Ich hörte mir erstmal an, was er noch zu sagen hatte." - "Und was hatte er noch zu sagen? Irgedwas von Belang?" - "Ich weiß es nicht. Er meinte, er habe seine Truppen zurückgepfiffen und aufgegeben, weil er es als unsinnig empfand. Er empfand es als Schande, dass er wie ein blinder Hund gehorchte und so viele Männer in den Tod schickte. Ich konnte ihm da nur zustimmen... Er sagte mir auch, dass er was von meinem Elternhaus mitgebracht hatte. Eine Kette.", erzählte Eren. Er kramte in seiner Hosentasche und holte einen goldenen Schlüssel an einem Lederband hervor. "Was ist das für ein Schlüssel?", fragte Levi verwundert. Er hatte so eine Kette noch nie gesehen.

"Das, Levi, ist ein Familienerbstück, was seit Generationen in unsere Familie an die nächste Generation weitervererbt wird... oder wurde. Ich bin ja nun der Letzte und sterben tu ich auch ertmal nicht... Es wurde immer erzählt, dass dieser Schlüssel einst einem großen Vampir gehörte, den einer unserer Vorfahren erledigt hatte. Er soll ein Erinnerungsstück daran sein, dass die Menschen immer siegreich werden. Jetzt ist es für mich einfach nur noch eine Erinnerung an mein altes Leben und an meine Eltern.", erklärte er und hing sich das goldene Stück um.

Eren betrachtete das Stück zwar nur mit halbherzigen Blick, doch konnte Levi genau erkennen, wie wichtig Eren dieser Schlüssel war. Und dies ließ ihn zufrieden lächeln. Wenn Eren glücklich war, so würde er es auch sein.

"Jedenfalls... übergab mir Reiner dann schließlich die Kette und kniete sich vor mich hin, mit den Worten: "Bitte töte mich! Ich habe es nicht verdient, noch weiter zu leben! Eren, bitte bring es zu Ende und räche deine Eltern." Es war einfach so absurd, dass auf einmal der Mörder meiner Eltern nun solch eine ausgeprägte Reue empfand, sodass ich es gar nicht wahrnehmen wollte... Aber..." - "Du hast ihn getötet, stimmt's ?", führte Levi den Satz fort. Ein einstimmendes Nicken kam von Erens Seite. Doch sein Blick... "Wie fühlst du dich jetzt?", fragte er Eren, da ihn dieser Blick nicht gefiel. "Ich weiß es nicht... Ich sollte mich doch eigentlich erleichtert fühlen, dass der Mörder endlich tot ist, oder etwa nicht? Bin ich... Bin ich etwa so ein Monster, dass ich dies nichtmal wertschätzen kann? Levi, Ich..." - "Ganz ruhig, Eren. Ich bin hier...", redete der Schwarzhaarige sanft auf ihn ein und nahm ihn in den Arm.

"Ich glaube einfach,...dass ein Teil in dir immer noch zu menschlich ist, um dies einfach kaltherzig über sich ergehen zu lassen. Und daran ist überhaupt nichts falsch. Im Gegenteil, Eren. Es ist wundervoll...", sagte er sanft. Er schenkte Eren einen Kuss auf die Stirn und schaute ihn entspannt ins Gesicht, was den Effekt hatte, dass Eren sich nun auch wieder beruhigte.

"Komm, wir gehen rein. Die Sonne geht jeden Moment auf und ich habe gerade keine Lust, gegrillt zu werden." Auf Levis Worte musste Eren leise kichern. Sie nahmen sich bei der Hand und machten sich auf den Weg ins Schlossinnere.

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Biss zum Morgenrot [Ereri/Riren]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt