Kapitel 36

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Es waren ein paar Stunden vergangen, seitdem Mikasa nach Wochen ihren Bruder gesprochen hatte. Sie war danach tief in Gedanken versunken gewesen. Sie dachte über die Zeit nach, als Eren plötzlich verschwand, ohne eine Spur zu hinterlassen, die Genaueres zu seinem momentanen Standort verriet. Sie saß auf ihrer Fensterbank und schaute auf den Innenhof des Schlosses. Er wurde von ein paar Fakeln und Laternen erleuchtet und sorgte so dafür, dass man nicht gleich sich auf die Nase legte.
Die Beine hatte sie angewinkelt und mit ihren Armen umschlungen. Das tat sie öfters, wenn sie über etwas nachdachte. So wie jetzt. Sie saß hier und war mit ihren Gedanken ganz woanders, als in ihrem Zimmer.

"Du sagtest zwar, dass er tot sei, doch kann ich dies nicht glauben.", murmelte sie zu sich selbst. Nein, sie glaubte es nicht. So konnte es nicht sein. So schnell würde Eren nicht aufgeben. Schon gar nicht einfach so sterben. Dafür war er zu stur und zu zäh. Es war eben Eren, von dem hier die Rede war. "Du meintest, du könntest ihn nicht mehr spüren, doch muss es nicht gleich heißen, dass Eren nicht mehr am Leben sei.", sprach sie zu sich selbst. Mikasa hatte schon immer die Angewohnheit, dass sie laut dachte. Einfach weil sie so dachte, die Gedanken so klarer vor Augen zu haben. Eine Angewohnheit, die laut der Königin eine Unsitte war. Die nicht in das Verhaltensmuster einer Prinzessin hinein gehörte. Aber das war der Schwarzhaarigen in diesem Moment ganz gleich. "Es kann genauso gut sein, dass Eren an einem Ort ist, der verhindert, ihn von der Außenwelt warzunehmen. Es ist genau wie an unserem Schloss, Levi. Er wehrt genauso Signale ab, die von außerhalb kommen... Ich will nicht, dass du dich da wieder so tief hineinfrisst. Das macht es doch nur kaputt." Das junge Mädchen stand auf und lief zu ihrem fast unbenutzten Bett. Sie fuhr mit ihrer feinen Hand über die Bettwäsche, als wäre es aus Seide, was sogar sehr wahrscheinlich war.

Doch dann fasste sie einen Entschluss. Sie machte aus dieser Hand eine Faust und zog entschlossen die Augenbrauen zusammen. "Genau, das ist es!" Ehe sie dies zuende sprach, zog sie ihr feines, hellblaues Kleid etwas hoch und rannte aus ihrem Zimmer. Ihr Ziel war ganz klar.

Sie hielt vor der Schlossbibliothek und schlug die schwere Tür mühelos auf. Sie ging entschlossen und zielgerecht auf ein bestimmtes Regal zu und zog ein altes, fast zerfallenes Buch heraus und legte es auf den Tisch. Da es in diesem Raum kein gutes Leselicht war, nahm sie die danebenstehende Kerze und zündete sie an. Gleich wurde der einst so dustere Raum zu einem angenehmen Ort, um ihren Forschungen nachzugehen. Sie kam sich in dem Moment etwas wie Hanji vor. Diese Suche müsste unbedingt fürs Erste geheim bleiben. Jedenfalls durften es nur die führenden Personen wissen. Wenn sie es jemand anderen erzählen würde, so würde es nicht lange dauern, bis es jeder wusste. Da war sie sich sicher. Sie kannte ja ihre Dienerschaft.

Eine leichte Staubwolke flog empor, als Mikasa das verstaubte Buch öffnete und somit den Titel dessen offenbarte. 'Bannzauber und Barrieren' war auf der ersten Seite zu erkennen. "Da ist es.", flüsterte sie motiviert und nahm sich sogleich Papier und Stift zur Hand und begann sorgfältig die folgenden Seiten zu lesen.

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Es hatten sich die führenden Person des Schlosses, und Hanji, im Thronsaal versammelt. Sie würden nun die Entdeckungen Levis von seiner 'Reise' und das weitere Vorgehen besprechen. Da nun Spione scheinbar eingesetzt wurden, konnten sie selbst ihren Dienstleuten nicht vertrauen. Es musste unbedingt im inneren Kreise bleiben. Jeder Fehltritt könnte das Ende für das Ackermann - Königreich bedeuten. Und dies wollten sie selbstverständlich nicht. Selbst Levi erkannte die ernste Lage der Sitaution und versuchte wenigstens mitzukommen. Da er nun seit einigen Stunden kein Blut mehr zu sich genommen hatte, war der Rausch fast abgeklungen. Aber mit der Zeit ohne es zeigten sich immer mal wieder Entzugserscheinungen. Es war wie bei Menschen, wenn sie von etwas süchtig waren. Nur zehnmal so intensiv, mindestens. Es war sehr schwer - gar unmöglich - aus diesem Teufelskreis zu entkommen.

Biss zum Morgenrot [Ereri/Riren]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt