KAPITEL 16

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Liv

»Ich würde dann jetzt gehen«, sagte Everett mit einem knappen Lächeln, während er seine braune Umhängetasche vom Boden aufhob. Dabei sah ich, wie seine schwarze Brille nach unten rutschte. Nur in letzter Sekunde schaffte er es noch, sie festzuhalten und zurück auf seine schmale Nase zu schieben.

»In Ordnung«, erwiderte ich und legte meinen Stift ab, mit dem ich zuvor noch einige Notizen zu meiner nächsten Hausarbeit auf ein weißes Blatt Papier gekritzelt hatte.

Everett nickte mir zu und wollte sich gerade umdrehen, als ihm scheinbar noch etwas einfiel, das ich wissen musste. »Bevor ich es vergesse, Win kommt später noch. Eigentlich geht er immer hinten rein, aber er hat mir vorhin geschrieben, dass er seinen Schlüssel vergessen hat, also wird er vermutlich hier reingehen.« Er deutete mit seinem langen Zeigefinger auf die Ladentür. »Nur damit du dich nicht wunderst.« Win? Wer zur Hölle hieß bitte Win? Ich brauchte einen Moment, um zu verstehen, von wem er redete, bis mir einfiel, dass Win vermutlich der Kerl sein musste, der im Archiv arbeitete und für die Inventur und Reparatur zuständig war. Aber immerhin wusste ich nun, warum ich ihm noch nicht begegnet war, obwohl ich nun schon mehr als eine Woche lang jeden Tag herkam, um Everett am frühen Nachmittag abzulösen.

»Ist gut, danke.« Ich schenkte Everett ein kleines Lächeln, das er mit einem knappen Nicken quittierte, ehe er sich dieses Mal wirklich umdrehte und mit seiner Tasche durch die Ladentür verschwand. Das übliche Klingeln der Türglocke erklang, dann war ich alleine im Buchladen, der an diesem Freitag erstaunlich leer war. Aber ich genoss diese Leere sehr. Denn die ersten Tage nach Mr.Wellingtons Abreise waren mehr als anstrengend gewesen. Ich hatte einige Zeit gebraucht, um mich in das Computersystem einzuarbeiten und zu wissen, wo ich welche Bücher fand. An den meisten Tagen hatte ich kaum eine ruhige Minute gehabt, weil plötzlich scheinbar jeder ein Buch kaufen wollte. Einige Male hatten mich sogar Everlyn oder Chase besucht, aber meistens hatte ich kaum Zeit gehabt, um mit den beiden zu reden. Nun, eine Woche nach Mr.Wellingtons Abreise, hatte sich wenigstens der erste Stress etwas gelegt. Everett und ich verstanden uns gut, redeten aber meist nicht viel miteinander, weil Everett jedes Mal fast sofort ging, wenn ich kam, um ihn abzulösen. Nur den mysteriösen Archiv-Typen hatte ich noch nicht kennengelernt, aber wie es aussah, würde es heute endlich soweit sein. Eigentlich war es mir vollkommen egal, wer er war, weil ich ihn scheinbar ohnehin nicht zu Gesicht bekommen würde, wenn er im hinteren Bereich des Ladens arbeitete, aber langsam wurde ich wirklich neugierig.

Ich setzte mich aufrechter auf meinem Stuhl hin und stützte meine Arme auf den Holztresen vor mir, auf dem ich meine Uniunterlagen ausgebreitet hatte. Solange niemand hier war, nutzte ich die Zeit, um produktiv zu sein, auch wenn ich dazu den halben Holztresen hatte umrangieren müssen, weil es sich nun einmal schwer arbeitete, wenn dort neben der Kasse noch irgendwelche Aufsteller mit Kugelschreibern, Notizbüchern und Radiergummis standen. Ich hoffte immer noch, dass Mr.Wellington mir nicht böse war, dass ich die Dinge erst einmal an eine andere Stelle geräumt hatte, wo sie allerdings immer noch gut sichtbar waren für die Kunden. Die meisten Leute kauften jedoch ohnehin nur Bücher, also schien es mir nicht ganz so dramatisch zu sein, die Sachen an einen anderen Platz zu räumen. Ich fuhr mir mit der Hand durch meine Haare und griff endlich wieder nach meinem Stift, auch wenn ich nicht gerade die Motivation verspürte, um weiterzuarbeiten. Ich hatte noch einiges vor, wenn ich die Hausarbeit am Dienstag abgeben wollte, aber seit einigen Tagen, um genauer zu sein seit dem Tag, an dem ich mit Ashley und Everlyn über Luc geredet hatte, fiel es mir unglaublich schwer, mich zu konzentrieren und meine Aufgaben zu erledigen. Und meistens lag es nicht einmal daran, dass ich keine Motivation hatte. Es war viel mehr so, dass ich nicht aufhören konnte, darüber nachzudenken, was Luc unbedingt vor mir verbergen wollte. Ich war mir mittlerweile einfach sicher, dass es so sein musste, dass er wirklich irgendetwas vor mir verbergen wollte und mich deshalb von Anfang an von sich gestoßen hatte.

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