KAPITEL 38

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Liv

Ich konnte mich nicht daran erinnern, wie ich hergekommen war. Viel mehr war es überhaupt ein Wunder, dass ich gewusst hatte, wo ich hinmusste, nachdem Luc irgendwann einmal am Rande erwähnt hatte, dass sein bester Freund Dexter Milton, den ich zuletzt in der Highschool gesehen hatte, in einer Wohnung über dem Serpent Ink wohnte, in das ich Ashley vor einem Jahr für eines ihrer Tattoos begleitet hatte. Doch nun stand ich hier mit rasendem Herzen und trockenem Hals und starrte die braune Holztür an, hinter der ich hoffentlich die Wahrheit finden würde, die ich brauchte. Aber ich wusste, dass ich auf Dexter zählen konnte. Er mochte Lucs bester Freund sein, doch gerade deswegen würde er mir niemals direkt ins Gesicht lügen. Wenn es stimmte, was Mrs.Roberts gesagt hatte, dann war Dexter damals dabei gewesen. Und da er zu der Zeit des Unfalls ein gebrochenes Bein gehabt hatte, ging ich stark davon aus, dass Dex nicht einmal halb so betrunken gewesen sein konnte wie Luc. Denn Dexter war vieles, aber garantiert nicht unverantwortungsbewusst und hirnrissig. Ich konnte auf ihn und seine Aufrichtigkeit zählen, und genau deswegen war ich hier, obwohl ich längst bei Everlyn sein sollte. Ich war hier, um Klarheit zu finden und wenn es sein musste, mit dem Kapitel Luc abzuschließen. Denn eins war klar: wenn Dexter bestätigen würde, dass Mrs.Roberts einmal in ihrem Leben die Wahrheit gesagt hatte, würde ich Luc diese Lügen niemals verzeihen können. Es war eine Sache, dass er eventuell seinen Vater auf dem Gewissen hatte, eine andere war es jedoch, dass er mich womöglich die ganze Zeit belogen hatte, obwohl er mehr als einmal die Gelegenheit gehabt hatte, um mir die Wahrheit zu sagen.

Schnell blinzelte ich die erneut aufsteigenden Tränen weg und schluckte, ehe ich mich endlich traute, meine zur Faust geballte Hand an die Tür zu legen und zu klopfen. Als Schritte nah hinter der Tür ertönten, legte mein Herz einen Zahn zu. Schließlich wurde die Tür so stürmisch aufgerissen, dass ich unwillkürlich zusammenzuckte. Dann ertönte eine tiefe Männerstimme, die offenbar mit jemand anderem gerechnet hatte. »Mann, seit wann bist du so—« Dexter brach ab, als sein Blick auf mich fiel. Sein Mund klappte auf und zu, während er sich verwirrt an die schwarze Cap auf seinem Kopf fasste. Ich konnte förmlich sehen, wie sehr ihn mein Auftauchen gleichzeitig überraschte und überforderte, zumal ich schrecklich aussehen musste. Verheult mit blassem Gesicht und vom Weinen geschwollenen Augen. Wohingegen er noch genauso makellos aussah wie damals in der Highschool, nur mit mehr Tattoos auf den Armen und einer deutlich muskulöseren Brust, die heute in einem schwarzen T-Shirt steckte. Er war riesig und überragte mich um einiges, doch das war mir heute egal. Ich war nur hier, um die Wahrheit zu erfahren. Nicht mehr und nicht weniger. »Liv?«, fragte er verwundert, nachdem er seine Stimme wiedergefunden hatte und der erste Schock verdaut war. »Was machst du hier?« Er zog die dunklen Brauen zusammen und wirkte ratlos, als hätte man ihn vor ein unlösbares Rätsel gesetzt.

Ich strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr und gab mich unbeteiligt, obwohl mein Herz, mein Kopf und meine Nerven verrücktspielten. Doch ich konnte jetzt nicht zusammenbrechen, nicht bevor Dexter überhaupt wusste, warum ich hier war. »Kann...kann ich reinkommen?« Meine Stimme klang zögerlich und viel zu dünn, aber für mehr hatte ich einfach keine Kraft mehr. Ich fühlte mich ausgezerrt.

Ich sah, wie Lucs bester Freund mit sich rang. Doch dann nickte er und bedeutete mir mit seiner großen Hand, einzutreten. »Klar, komm rein«, sagte er und trat zur Seite, damit ich an ihm vorbeigehen konnte. »Erste Tür links, da ist mein Wohnzimmer.« Dieses Mal war ich es, die nickte und schließlich an ihm vorbei in seine Wohnung trat, die viel größer zu sein schien, als ich zuerst vermutet hatte. Ohne weiter auf meine Umgebung zu achten oder meine Schuhe auszuziehen, ging ich mit langsamen Schritten durch den schlicht gehaltenen Flur. Ich hörte, wie die Tür geschlossenen wurde und kurz darauf Dexters Schritte hinter mit erklangen. Schweigend betraten wir das Wohnzimmer, das zu meiner Überraschung ziemlich farbenfroh eingerichtet war. Dexter ging an mir vorbei, sodass sein frischer Duft mich traf, und bedeutete mir, auf dem dunkelgrünen Sofa Platz zu nehmen, ehe er sich auf dem Sessel daneben niederließ und seine Arme auf die Knie stützte. Dann blickte er mich an. Mir entging die Frage in seinen Augen nicht. Doch ich war noch nicht fähig, etwas zu sagen. Mein Herz raste so sehr, dass es fast wehtat, während meine Hände vor Nervosität ganz nass waren. Ich fühlte mich unwohl, Fehl am Platze, aber vor allem hatte ich Angst. Angst vor Dexters Antwort, weil ich schon viel zu sehr ahnte, worauf es hinauslaufen würde. Auf etwas, das mir erneut das Herz brechen würde. Aber es nützte nichts. Ich musste die Wahrheit erfahren.

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