KAPITEL 8

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Liv

Mit einem leisen Knarren fiel die braune Holztür hinter mir ins Schloss, während der vertraute Duft nach Pferd, frischem Heu und Mist mich wie eine leichte Sommerbriese umwehte. Das gedämpfte Licht ließ Schatten über die Steinwände tanzen und im Gegensatz zu draußen war die Luft im Stall um einiges dünner und kühler, dass ich sogar etwas zu frösteln begann in meinem Kleid, aber das nahm ich gerne in Kauf. Ich setzte mich langsam in Bewegung und versuchte dabei, das Stechen in meinem Herzen zu ignorieren, das mich seit zwei Jahren jedes Mal heimsuchte, wenn ich den Pferdestall betrat, der mir früher einmal ein zweites Zuhause gewesen war. Früher, bevor ich mein Pferd verloren hatte und meine größte Leidenschaft gleichzeitig mein schlimmster Albtraum wurde. Ich schluckte hart, um die aufsteigenden Tränen zurückzudrängen. Es war nicht der richtige Zeitpunkt, um in Tränen auszubrechen, dafür war ich schließlich nicht hier.

»Dad?«, rief ich mit abgehakter Stimme und vernahm das leise Schnauben eines Pferdes, nicht jedoch die Stimme meines Dads. Es machte mich manchmal wirklich verrückt, dass ich ihn nie fand, wenn ich mit ihm reden wusste. Denn immer, wenn man etwas von meinem Dad wollte, war er wie vom Erdboden verschluckt. Leider hatte ich auch noch andere Dinge vor, als den halben Tag nach Dad zu suchen. Doch wenn ich ehrlich war, dann wollte ich ihn nicht einmal finden. Klar nervte es mich, ihn zu suchen, aber Dad war schon immer gut darin gewesen, zu sehen, wenn mich etwas traurig machte oder es mir überhaupt nicht gut ging. Und nach dem unerwarteten Wiedersehen mit Luc vor drei Tagen stand meine Welt Kopf, dass ich mich nicht einmal getraut hatte, zur Uni zu gehen, aus Angst, ihm dort direkt in die Arme zu laufen. Es war dumm und vielleicht sogar feige, aber ein erneutes Aufeinandertreffen mit ihm würde mich vielleicht mehr kosten als ein paar Tränen. Also hatte ich mich die letzten drei Tage in meinem Zimmer versteckt, zusammen mit einer ungesunden Menge an Schokolade und meinem Netflixaccount, der mir immer gute Dienste leistete, wenn ich das Bedürfnis verspürte, meine Gedanken abschalten zu müssen. Möglicherweise hatte ich die ein oder andere Träne verdrückt und Lucas Winston die Pest an den Hals gewünscht, aber das behielt ich lieber für mich, falls Everlyn mich je darauf ansprechen würde.

»Dad? Wo bist du?«, versuchte ich es erneut, als ich an den ersten Boxen vorbeikam, in denen um diese Tageszeit kaum ein Pferd stand. Lediglich die dunkle Fuchsstute meiner ehemaligen Reitlehrerin Jane stand in ihrer Box und hatte den wunderschönen Kopf in einem riesigen Haufen Heu vergraben. Automatisch schlich sich ein Lächeln auf meine Lippen. Egal wie viel sich in der Zeit seit meinem Unfall verändert hatte, Pferde waren auf eine verdrehte Weise noch immer mein sicherer Hafen. Mit einem letzten Blick auf Linya wandte ich mich von ihrer Box ab und ging weiter. Erst, als ich am Ende des Stalles angekommen war, entschied ich, wieder nach draußen zu gehen. Dad war sowieso nicht hier und das bedeutete, dass er vermutlich noch in der Reithalle sein würde, in der sich um diese Zeit genau die Reiter tummelten, auf die ich absolut keine Lust hatte. Ich seufzte und band mir meine braunen Haare zu einem Pferdeschwanz, als ich zurück ins Freie trat.

»Olivia«, vernahm ich plötzlich eine bekannte Stimme zu meiner linken, die mich automatisch lächeln ließ, ehe ich mich umdrehte und meinem Onkel in eine kurze Umarmung zog. Wie gewohnt roch er nach gemähtem Rasen, Pferd und seiner ganz eigenen Note, die mich an meine Kindheit erinnerte. Sean war einige Jahre jünger als mein Dad und sah mit seinem kurzgeschoren Militärhaarschnitt kein bisschen wie der Leiter eines Pferdehofes aus, eher wie ein deplatzierter Geheimagent, der vergessen hatte, sich für seinen Undercovereinsatz vorzubereiten. Aber Sean liebte seinen Job, genauso wie er seine Frau und seine 10-jährige Tochter Holly liebte, die mir allerdings meistens einfach nur auf die Nerven ging. »Welch ein seltener Besuch«, scherzte Sean, als ich mich lächelnd von ihm löste und ihm einen entschuldigenden Blick zu warf.

»Die Uni ist in letzter Zeit ziemlich anstrengend«, log ich und strich mir eine verirrte Haarsträhne hinters Ohr. Meine Lüge war mies, wenn man bedachte, dass wir gerade einmal eine Woche des neuen Semesters hinter uns hatten, aber ich war nicht gerade einfallsreich, was das Lügen anging. Was hätte ich ihm sonst sagen sollen? Die Wahrheit, dass mir jedes Mal flau im Magen wurde, wenn ich nur daran dachte, herzukommen? Sicher nicht.

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