Liv
Als ich eine halbe Stunde später auf das kleine Café zu ging, in dem Everlyn ein paar Stunden die Woche arbeitete, stand diese bereits im Schatten neben der Eingangstür, hielt zwei Pappbecher mit Kaffee in der Hand und kam lächelnd auf mich zu, als sie mich entdeckte. Wie gewohnt trug sie schwarze Shorts und ein weißes T-Shirt, das ihre schlanke Figur betonte. Ihre braunen Haare umrahmten offen ihr makelloses Gesicht. Ich erwiderte ihr Lächeln und umarmte sie zur Begrüßung, obwohl Körperkontakt bei dieser Hitze eher weniger angenehm war, und ließ mich von ihr zu einer Bank ziehen, die einige Meter weiter unter einem Baum stand. Im Gehen drückte sie mir einen der Pappbecher in die Hand und ich stürzte mich gierig auf den Kaffee, als hätte ich Stunden keinen mehr gehabt.
»Liv?«, durchbrach Ever schließlich die Stille. Ich sah von meinem Kaffeebecher auf und fing den Blick ihrer blaugrauen Augen auf, in denen Schuldgefühle und Bedauern glänzten. »Es tut mir unendlich leid, dass du Luc am Freitag begegnen musstest und mit all den vergangenen Gefühlen konfrontiert wurdest. Ich fühle mich unglaublich schlecht dafür, dass ich nicht gemerkt habe, wer er ist, als ich ihm damals Newtons Wohnung gezeigt habe. Hätte ich das gemerkt, hätte ich dich wenigstens vorwarnen können, aber so habe ich es nur noch schlimmer gemacht und das tut mir mehr als leid.« Sie umklammerte ihren Kaffeebecher so stark, dass ich fast Angst hatte, dass er jeden Moment kaputt gehen und die heiße Flüssigkeit sich über ihre nackten Beine ergießen würde.
Ich räusperte mich und blickte Everlyn eindringlich an, bevor ich energisch den Kopf schüttelte. Sie trug keine Schuld an all dem. »Du trägst keine Schuld an dem, was passiert ist, Everlyn. Woher solltest du wissen, wer Luc wirklich ist, als du ihm das erste Mal begegnet bist? Klar, ich habe dir von uns erzählt, aber nie erwähnt, wie er aussah. Außerdem gibt es ungefähr eine Milliarden Lucs auf dieser Welt, vielleicht auch in Silverhaven. Also woher solltest du wissen, dass du genau dem Mann gegenüber stehst, der mir das Herz aus der Brust gerissen hat? Fühl dich nicht für etwas schuldig, das du nicht herbeigeführt hast, Ever. Niemand konnte vorhersehen, dass Luc hier auftauchen und nicht nur mein Leben auf den Kopf stellen würde. Wir konnten es gar nicht wissen und auch wenn ich es gerne rückgängig machen würde, geht das nicht. Ich muss einfach irgendwie akzeptieren, dass er wieder hier ist, und dann mein Leben weiterleben, weil ich nichts daran ändern kann, genauso wie du akzeptieren musst, dass du keine Schuld an dem trägst, was am Freitag passiert ist.« Als ich meine Augen dieses Mal auf Everlyn richtete, umklammerten ihre Hände nur noch halb so stark den Kaffeebecher und die Anspannung aus ihren Schultern war gewichen. Einzig der Schatten in ihren graublauen Augen verriet mir, dass meine Worte sie noch nicht gänzlich erreicht hatten. Aber das würden sie. Denn ich hatte die Wahrheit gesagt, in jedem Punkt.
»Ich bewundere dich, Liv«, sagte sie schließlich leise und lächelte. »Ich meine, die Situation ist mehr als scheiße und trotzdem schaffst du es, einfach nur du zu sein. Wie machst du das? Wie schaffst du es, nicht an deinem Schmerz zu zerbrechen, stark zu sein und weiterzumachen, obwohl du mitten in einem Gefühlschaos steckst?« Ich traute meinen Ohren kaum und musste wirklich an mich halten, um nicht in bitteres Gelächter auszubrechen, weil ihre Worte über mich die größte Lüge war, die ich seit Lucs Verschwinden gehört hatte. Everlyn sah etwas, das gar nicht da war. Ich war nicht stark. Ich konnte nicht über all den Schmerz hinwegsehen. Und am allerwenigsten konnte ich weitermachen. Doch im Gegensatz zu den meisten Leuten schaffte ich es, all meinen Schmerz hinter einem engelsgleichen Lächeln zu verbergen und die richtigen Worte zu wählen, um niemandem auf das, was mich innerlich zerfraß, aufmerksam zu machen. Ich lenkte die Menschen in meinem Umfeld mit meinem Verhalten in eine andere Richtung und gab ihnen das Gefühl, dass ich stark war, nicht an meinem Schmerz zerbrach und weitermachen konnte. Aber das waren alles Lügen. Manchmal war meine gesamte Existenz eine Lüge, aber ich konnte nicht zulassen, dass irgendjemand das sah, was in mir war. Es war schon lange nicht mehr sehenswert. Deswegen konnte ich Everlyn nicht davon erzählen.
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REPEAT HIS LOVE TODAY
Romance»Ich habe nie dich gehasst. Ich habe das gehasst, was du mir angetan hast...« Liv und Luc. Seit ihrer Kindheit haben sie einander geliebt, bis Luc nach dem Tod seines Vaters spurlos verschwindet und Liv nichts als ein gebrochenes Herz bleibt. Drei...