KAPITEL 39

106 6 0
                                    

Luc

Mit Liv an meiner Seite hatte ich alles besessen. Nun aber war mir nichts mehr geblieben, und das wurde mir umso klarer, je mehr Zeit verstrich, in der ich Liv nicht zu Gesicht bekam oder überhaupt von ihr hörte. Denn zu sagen, dass die letzten Tage nicht die größte Hölle auf Erden gewesen wären, wäre genauso eine große Lüge wie zu behaupten, dass ich nicht die Schuld am Tod meines Dads trug. Aber Lügen schienen momentan genau das zu sein, was mein Leben ausmachte, und das lag einzig und allein an mir. Statt Liv die Wahrheit zu erzählen, als ich damals im Park die Chance dazu gehabt hatte, hatte ich sie ein weiteres Mal belogen und damit genau das heraufbeschworen, was vor acht Tagen passiert war. Liv hatte die schreckliche, schmerzhafte Wahrheit herausgefunden und mich ein für alle Mal aus ihrem Leben verbannt. Auch wenn ich von Anfang an gewusst hatte, dass vielleicht genau das irgendwann passieren würde, war ich nicht auf die Heftigkeit, mit der es gekommen war, vorbereitet gewesen. Es hatte mich getroffen, in Stücke zerrissen und mein Herz zurück in den eiskalten Klotz verwandelt, der es vor meiner Rückkehr nach Silverhaven gewesen war. Ich hatte alles gefühlt mit Liv. Nun aber fühlte ich gar nichts mehr, nur um zu verhindern, dass der Schmerz mich von innen heraus auffraß. Denn wir alle wussten, dass ich ein Feigling war. Ich war es Liv mehr als schuldig, diesen Schmerz nach allem, was ich ihr angetan hatte, zu fühlen. Doch stattdessen sperrte ich ihn wie ein Feigling hinter eine Tür und ließ nicht zu, dass er sich an die Oberfläche kämpfte. Manchmal schaffte ich es, ihm standzuhalten. Ein anderes Mal war es der Schmerz, der gewann. Und so ging es seit acht Tagen.

In diesen vergangenen Tagen hatte ich alles versucht. Ich hatte Liv geschrieben und ihre Mailbox vollgesprochen, bis mein Hals gekratzt hatte. Ich war an ihrer Wohnungstür gewesen und war so lange dort geblieben, bis jemand die Tür geöffnet hatte. Doch jedes Mal war es Everlyn gewesen. Und jedes Mal hatte sie mich aus ihren enttäuschten blaugrauen Augen angesehen und mich gebeten zu gehen. Einmal war ich sogar Chase begegnet, der mir in Nullkommanichts das Veilchen verpasst hatte, das er mir schon damals nach meinem ersten Zusammenstoß mit Liv angedroht hatte. Ich hatte mich nicht einmal gewehrt, als er mich geschlagen hatte. Denn ich wusste tief in mir, dass ich es verdient hatte. Also hatte ich es zugelassen, ehe ich ohne ein weiteres Wort gegangen war, um meinen Schmerz in der nächsten Bar in Alkohol zu ertränken. Danach war ich noch ein paar weitere Mal an Livs Tür gewesen, ohne ihr ein einziges Mal zu begegnen, bis ich irgendwann ganz aufgehört hatte, dort aufzutauchen. Denn Everlyns Blicke und messerscharfe Worte ließen mich auch jetzt nicht los. Sie war enttäuscht von mir, genauso wie mein Mitbewohner. Doch Newton war immerhin so schlau, es sich nicht anmerken zu lassen. Dafür merkte ich aber, wie die Stimmung in der WG von Tag zu Tag frostiger wurde, was schließlich dazu führte, dass ich meine Zeit hauptsächlich im Fitnessstudio mit Jackson, in der Uni oder bei Mr.Wellington im Buchladen verbrachte. Manchmal war ich sogar bei Dexter. Ich nahm es ihm nicht übel, dass er Liv die Wahrheit verraten hatte, auch wenn ich mir selber noch nicht ganz klar darüber war, wie Liv auf die Idee gekommen war, ihn danach zu fragen. Dennoch fing ich an zu akzeptieren, dass sie mich nicht sehen wollte, auch wenn es mich meine ganze Kraft kostete, dies zu tun. Ich hätte ihr so gerne erklärt, warum ich gelogen hatte, auch wenn vermutlich keine Entschuldigung auf dieser Welt wieder gut machen konnte, was ich vermasselt hatte. Ich hatte es verbockt und würde es nie wieder gerade biegen können. Doch das Schlimmste war, dass ich meiner Mom würde erklären müssen, warum Liv nicht wie geplant in zwei Tagen zu ihrem Geburtstag mit nach Boston kam. Ich würde ihr erklären müssen, dass ich es verbockt hatte, ohne genauer darauf eingehen zu können, weil es hieße, dass Mom ansonsten erfahren würde, dass ich Dad mit meiner Dummheit getötet hatte. Nicht irgendwelche verwahrlosten Teenager, sondern ihr eigener Sohn, den sie über alles liebte. Und das würde ich nicht können.

Doch die letzten Tage hatten mir auch geholfen, mir über einiges klar zu werden, das während der vergangenen Monate immer wieder durch meinen Kopf gegeistert war, ohne dass ich je dazu fähig gewesen war, eine Entscheidung zu treffen. Es war fast, als hätte die Trennung von Liv einen Schalter in mir umgelegt, sodass ich alles plötzlich viel klarer sah. Ich wusste schon lange, dass die Rückkehr nach Silverhaven ein Fehler gewesen war. Früher einmal hatte ich hierher gehört, zu Liv, zu Akasha, zu Dexter. Aber Dads Tod hatte mich zu einem Eindringling gemacht. Ich gehörte nicht nach Silverhaven, auch wenn ich gedacht hatte, dass es so war. Doch im Grunde war ich im letzten Jahr nur wegen Mom zurückgekehrt und um bei Phoebe zu sein, die mich zu jenem Zeitpunkt gebraucht hatte. Aber Mom ging es besser und Phoebe hatte Nora gefunden, die sich besser um meine Zwillingsschwester kümmerte, als ich es je könnte. Dass ich Liv wiederfinden würde, war nie geplant gewesen. Und nun hatte ich sie erneut verloren, sodass es nichts mehr in dieser Stadt gab, was mich hielt oder brauchte. Es stand mir frei zu gehen, wenn ich es wollte. Und wenn ich ehrlich war, dann wollte ich das. Boston war nicht Silverhaven, aber ich hatte dort ein einigermaßen friedliches Leben gehabt und hatte an einer Uni studiert, die viel besser war als die Silverhaven University. Außerdem konnte ich so in Moms Nähe sein. Ich war vielleicht nicht glücklich gewesen, aber es hatte gereicht, um zu überleben. Ich hatte dort wenigstens etwas atmen können und nicht jeden Tag an Dad und meine Schuld denken müssen. Ich wollte dieses Leben zurück und ich konnte es haben, weil Liv mich nicht mehr brauchte. Doch bevor ich Silverhaven ein für alle Mal den Rücken zukehren würde, gab es da noch einiges, das ich klären musste. Mir blieben immerhin noch mehr als 24 Stunden, bis mein Flieger nach Boston gehen würde.

REPEAT HIS LOVE TODAYWo Geschichten leben. Entdecke jetzt