KAPITEL 17

162 11 0
                                    

Liv

Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich hier nicht der Einzige von uns beiden bin, der wenig begeistert davon ist, den anderen hier anzutreffen, aber da ich die meiste Zeit hinten oder im Archiv bin und du hier vorne, werden wir uns sowieso kaum über den Weg laufen. Kündigen ist keine Option, also werden wir wohl irgendwie miteinander auskommen müssen. Halt dich einfach vom Archiv fern! Was glaubte er eigentlich, wer er war, dass er mir Befehle erteilen konnte und meinte, zu wissen, was ich fühlte? Ich stieß ein Schnauben aus, während ich kurz davor war, gegen die Decke zu gehen. Ich hatte mir wirklich Mühe gegeben, ihn nicht mehr zu hassen und stattdessen hinter seine Fassade zu blicken, aber mit dem Verhalten, das er mir Stunden zuvor entgegengebracht hatte, schien mir dieses Vorhaben unglaublich dumm zu sein. Nicht nur dass Luc mal wieder Mr.Grumpy höchstpersönlich gewesen war, nein, er hatte mir auch noch ziemlich deutlich gemacht, dass er absolut keine Lust auf meine Anwesenheit hatte. Wie abgebrüht konnte jemand nur sein? Ich fragte mich mehr denn je, was aus dem Jungen von damals geworden war. Denn dieser Mistkerl, der mir heute entgegengetreten war, war jemand, über den der Luc von damals nur den Kopf geschüttelt hätte.

Kopfschüttelnd räumte ich meine Uniunterlagen vom Holztresen in meine Umhängetasche, während ich versuchte, Lucs Verhalten nicht allzu sehr an mich heranzulassen, obwohl es dafür wahrscheinlich schon längst zu spät war. Ich war nicht gerade ein Profi darin, Worte und Gefühle an mir abprallen zu lassen oder mich hinter einer dicken Mauer zu verschanzen, wie Luc es tat. Und natürlich war ihm nicht entgangen, dass mich seine Bemerkungen und seine offensichtliche Abscheu getroffen hatten, obwohl ich mich, wie ich fand, ganz gut geschlagen hatte. So gut, dass Everlyn und Ashley vermutlich grinsend den Daumen in die Luft gereckt hätten. Mein Collegeblock folgte, dann schloss ich meine Tasche und hängte sie mir über die Schulter, ehe ich begann, den Holztresen wieder in seine alte Ordnung zu bringen. Da waren außerdem noch ein paar Dokumente, die ich in Mr.Wellingtons Büro bringen und in einem der dicken schwarzen Ordner abheften musste. Auch wenn Mr.Wellington doch schon ziemlich digital arbeitete, gab es immer noch einige Sachen, bei denen er sich weigerte, es auf einem Computer zu speichern. Aber mir sollte es recht sein, ich mochte es altmodisch und hatte schon immer gefunden, dass die Technik heute viel zu viel für einen übernahm, also tat ich das gerne für Mr.Wellington.

Ich ging erst zur Ladentür und drehte das Schild auf geschlossen, ehe ich mit den Dokumenten in der Hand nach hinten in Mr.Wellingtons Büro ging, das still und verlassen vor mir lag. Ich wusste nicht einmal, ob Luc noch irgendwo hier herumschlich, aber es war mir auch egal. Meine Tasche legte ich fürs Erste auf den Schreibtisch, ehe ich begann, die Dokumente kategorisch zu sortieren, so, wie Mr.Wellington sie auch in die Ordner eingeheftet hatte. Dann stellte ich mich vor das riesige Regal, in dem Unmengen von Büchern und schwarzen Ordnern standen. Als mein Blick auf den schwarzen Ordner fiel, den ich brauchte, stöhnte ich leise auf. Natürlich stand der verfluchte Ordner ausgerechnet in einer der oberen Regalreihen, an die ich unmöglich herankam. Frustriert fuhr ich mir durch die Haare und hielt nach irgendeiner Trittleiter Ausschau, aber da war natürlich keine, was mich bei meinem Glück eigentlich nicht hätte überraschen sollen. Den Schreibtischstuhl konnte ich dank seiner Rollen auch vergessen, wenn ich nicht gerade vorhatte, mir meine Knochen zu brechen. Also blieb mir nichts anderes übrig, als mich auf die Zehenspitzen zu stellen und meinen Arm, so weit es ging, auszustrecken. Doch egal wie sehr ich mich auch streckte und verrenkte, außer ein schmerzhaftes Ziehen in meinem Nacken und meinen Armen kam nichts dabei heraus. Ich seufzte frustriert auf und warf dem Ordner einen mörderischen Blick zu, als könnte ich ihn damit in meine Hände bewegen. Doch das Ding blieb, wo es war.

Ich streckte mich ein weiteres Mal und wollte gerade aufgeben, als plötzlich an muskulöser Arm über mich hinweg nach dem Ordner griff und ihn aus dem Regal zog. Ein bekannter Duft, der mein verräterisches Herz höher schlagen ließ, umwehte mich und ich spürte die Wärme seines Körpers ganz dicht hinter mir. Ich musste mich nicht einmal umdrehen, um zu wissen, dass es Luc war. Das Kribbeln in meinem Nacken, der Geruch und die Wärme sagten mir bereits alles, was ich wissen musste. Und ich hasste es, dass mein Herz ein klein wenig schneller schlug angesichts der Tatsache, dass Luc mir half, auch wenn ich ihn nie im Leben freiwillig um Hilfe gebeten hätte. Fahr mal einen Gang runter, Liv. Er hat dir nur einen verdammten Ordner aus dem Regal geholt und nicht deinen imaginären Welpen vor einem fahrenden Auto gerettet, mahnte mich die Stimme der Vernunft in meinem Kopf. Und sie hatte recht. Ich sollte mich nicht darüber freuen, ich sollte einen spöttischen Kommentar abgeben, weil er mich ausnahmsweise mal nicht im Stich gelassen hatte, oder ihn wie gewohnt anfauchen, aber ich tat nichts dergleichen. Ich war müde, wollte nach Hause und hatte all meine Wut auf ihn bereits verbraucht, als dass ich ihm noch etwas davon hätte entgegenwerfen können. Also drehte ich mich stattdessen langsam um, mir der Tatsache bewusst, dass ich zwischen Luc und dem Regal gefangen war. Und Luc blickte mich aus seinen ozeanblauen Augen an, nicht kalt, aber auch nicht warm. Zwischen seinen Augenbrauen hatte sich eine Falte gebildet und seine Haare hingen wild in alle Richtungen, als wäre er sich öfter mit der Hand durch sie hindurchgefahren. Erst jetzt fiel mir auf, wie müde er aussah. Tiefe, dunkle Schatten zogen sich unter seinen Augen und ließen sie noch düsterer wirken. Sein graues T-Shirt war zerknittert, während seine schwarze Jeans tief auf seinen Hüften saß. Er versteckte gut, was er fühlte, aber ich sah und spürte die Müdigkeit, die ihn umgab. Der grimmige Strich, zu dem er seinen Mund zusammengepresst hatte, machte das Gesamtbild nicht gerade besser. Was ihn wohl nachts wach hielt? Hatte er Dämonen, die ihn in seinen Träumen verfolgten, so, wie meine es taten? Ich hätte gerne gewusst, was es war.

REPEAT HIS LOVE TODAYWo Geschichten leben. Entdecke jetzt