Liv
Wenn ich eins so richtig hasste, dann die Vorträge vor meinem Kurs aus Englische Literatur. Vorträge waren so oder so nicht meins, weil ich es hasste, zum Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit zu werden, dafür war ich einfach zu unscheinbar und introvertiert, als dass ich es je hätte mögen können. Aber die Vorträge in Professor Vanes Kurs schafften es noch einmal auf ein ganz anderes Hasslevel. Und das lag nicht nur daran, dass ich mich allgemein Unwohl fühlte in diesem Kurs. Viel mehr lag es an einer einzigen Person: Lynn Gallister. Seit ich letztes Jahr mit ihrem Freund Dane Lecroix, der mir netterweise hinten reingefahren war und dann auch noch mir die Schuld dafür gegeben hatte, aneinandergeraten war, schien Lynn irgendeinen Hass auf mich zu haben. Ich verstand bis heute nicht genau, warum, weil ich weder ihr noch ihrem Freund etwas getan hatte (ich konnte ja schließlich nichts dafür, dass dieser Idiot kein Auto fahren konnte). Doch irgendwas schien Dane damals zu ihr gesagt zu haben und seitdem hatte sie es sich scheinbar zu ihrer Aufgabe gemacht, mir mein Leben zu vermiesen, vor allem bei Vorträgen fand sie immer etwas, um mich zu nerven oder aus der Fassung zu bringen. Am liebsten schien sie mir meine Fehler unter die Nasse zu reiben, um mir zu zeigen, dass ich nicht so perfekt war, wie alle dachten. Nun, ich hatte nie behauptet perfekt zu sein, aber Lynn war und blieb kindisch und hatte ihren Spaß daran, mich auf die Palme zu bringen. Ich wusste mittlerweile kaum noch, ob sie all das aus Wut, Eifersucht oder sonst was tat, ich wusste nur, dass ich die Nase voll von ihr und ihrer ach so tollen Clique hatte, die ebenfalls etwas gegen mich zu haben schienen. Allerdings nur, weil Lynn ihnen irgendeine Lüge aufgetischt haben musste. Und so durfte ich mich mehrmals die Woche mit ihnen rumschlagen und irgendwelche dummen Sprüche über mich ergehen lassen, die mich mehr trafen, als ich es mir eingestehen wollte.
Mittlerweile war ich nur noch in diesem Kurs, weil ich Leo nicht alleine lassen wollte, der für mich zu einem guten Freund geworden war, seit er mich zu Beginn des ersten Semesters fast mit einem riesengroßen Stapel Bücher erschlagen hätte. Wir verstanden uns gut, auch wenn wir außerhalb des Kurses eher weniger Kontakt miteinander hatten. Doch auch Leo schaffte es heute nicht wirklich, meine Laune zu heben. Denn aus irgendeinem Grund war unser Professor auf die glorreiche Idee gekommen, uns bereits in der ersten Woche des neuen Semesters einen Vortrag aufs Auge zudrücken, auf den ich nicht die geringste Lust hatte, auch wenn ich den Vortrag glücklicherweise mit Leo in Zusammenarbeit machen konnte. Es war nicht das erste Mal, dass ich mit dem Gedanken spielte, den Kurs einfach hinzuschmeißen, zumal er nur eines meiner Nebenfächer war, für das ich mich neben meinem Hauptstudium, Medienmanagement, interessiert hatte. Ich liebte die englische Literatur und hatte den Kurs zu Anfang sehr gerne besucht, aber dank des Professors, der einem jedes Mal auf den Hintern oder die Brüste starrte, wenn man mit ihm redete oder an ihm vorbeiging, und Lynn inklusive ihrer nervigen Clique war mir dir Lust daran vergangen.
Mit einem frustrierten Seufzen stopfte ich meinen Laptop in meine braune Umhängetasche und stand auf, um mir einen Weg durch die zahlreichen Studenten zu bannen, die mich alle um einiges überragten. Mit meinen 1,65m war ich nicht gerade ein Riese und das wurde mir jedes Mal wieder bewusst. Selbst meine besten Freunde überragten mich, sodass ich mich meistens wie ein absoluter Zwerg fühlte. Ich täte wahrscheinlich alles dafür, um nur 10 Zentimeter größer zu sein. Als ich die Sitzreihe verließ und die Treppen in Richtung Ausgang hinaufstieg, rempelte mich jemand von der Seite an. Ich sah nur noch den roten Pferdeschwanz einer Kommilitonin verschwinden (der wahrscheinlich zu Maya gehörte, Lynns bester Freundin), dann fiel meine Umhängetasche mit einem Krachen auf den Boden. Ein leiser Fluch entschlüpfte mir und Blut schoss mir in die Wangen, als ich merkte, dass alle Augen auf mich gerichtet waren. Für ein Loch im Erdboden wäre ich gerade wirklich dankbar gewesen, aber es kam nicht. Wie immer. Stattdessen sammelte ich mit fahrigen Bewegungen die Gegenstände auf, die aus meiner Tasche gekullert waren und stopfte sie wieder hinein, ohne darauf zu achten, ob etwas zu Bruch gegangen war. Ich wollte es lieber gar nicht erst wissen, sonst würde ich womöglich noch einen Heulkrampf bekommen. Dann strich ich mein geblümtes Kleid glatt und rannte praktisch aus dem Saal, was sich mit meinen Ballerinas als äußerst schwierig erwies. Hinter mir ertönte Gelächter, dass ich gekonnt ignorierte, obwohl mein Herz ein Stich durchfuhr. Es sollte mir egal sein, aber ich hasste es, dass ich immer wieder zu Lynns Zielscheibe wurde und mich damit vor dem gesamten Kurs lächerlich machte.

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REPEAT HIS LOVE TODAY
Romantiek»Ich habe nie dich gehasst. Ich habe das gehasst, was du mir angetan hast...« Liv und Luc. Seit ihrer Kindheit haben sie einander geliebt, bis Luc nach dem Tod seines Vaters spurlos verschwindet und Liv nichts als ein gebrochenes Herz bleibt. Drei...