KAPITEL 20

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Luc

Blut rauschte in meinen Ohren, als ich mich schweratmend neben sie auf den steinigen Waldboden kniete und meinen Blick über ihre kleine Gestalt schnellen ließ, um äußere Verletzungen auszuschließen. Aber abgesehen von ein paar Kratzern und blauen Flecken schien Liv glücklicherweise unverletzt zu sein, was jedoch nichts daran änderte, dass sie ihr Bewusstsein noch immer nicht zurückerlangt hatte. Und wer wusste schon, wie lange sie bereits hier in diesem Zustand verweilte. Ich schluckte hart und ließ meinen Blick zu ihrem roten T-Shirt wandern, unter dem sich ihre Brust unter regelmäßigen Atemzügen hob und senkte, was dazu führte, dass meine Kehle sich nicht mehr ganz so eng anfühlte, einfach nur, weil sie atmete. Dann hob ich den Blick zu ihrem Gesicht, das im Schutz der Bäume viel zu blass wirkte. Sie sah aus, als hätte sie einen Geist gesehen. Schmerz durchzuckte mich. Selten hatte ich mich so hilflos gefühlt wie in diesem Moment, dabei schien Liv nicht einmal schwer verletzt zu sein. Ich rutschte näher zu ihr und versuchte, so vorsichtig wie möglich, den schwarzen Reithelm, der sie vor dem Schlimmsten geschützt zu haben schien, von ihrem Kopf zu lösen, ehe ich ihren Kopf auf meinen Schoß zog und ihr ihre verschwitzen braunen Haare aus dem Gesicht strich. Sie wirkte so klein und zerbrechlich, wie ich sie dort in meinen Armen hielt. Noch nie hatte ich mir so sehr gewünscht, ihre Stimme zu hören, sie lächeln zu sehen oder ihren Blick auf mir zu spüren. Es war mir egal, ob sie mich genauso wütend und enttäuscht anschauen würde wie vor ein paar Wochen, als wir vor meiner Wohnung ineinander gerannt waren. Es war mir egal, ob sie mich anschreien oder mir sagen würde, dass sie mich hasste. Hauptsache, sie öffnete endlich ihre wunderschönen Augen. Ich musste wissen, ob es ihr gut ging, ob sie unverletzt war.

»Liv«, flüsterte ich und legte eine Hand an ihre Wange. Sie fühlte sich warm an und passte perfekt in meine Hand, so sehr, dass mich unwillkürlich ein angenehmer Schauer durchlief. Es war fast wie früher...»Blue, du musst die Augen aufmachen. Bitte.« Wieder ließ ich meinen Daumen über ihre Wange gleiten, zog sie näher an mich und legte meine freie Hand an ihre Schulter, um sie sanft zu schütteln. Ich wünschte mir so sehr, dass sie endlich die Augen öffnete, dass ich kaum atmen konnte. Meine verdammte Kehle fühlte sich so eng an, wie sie es schon lange nicht mehr getan hatte, nicht mehr seit...Dads Beerdigung. Liv stellte etwas mit mir an, das ich nicht in Worte fassen konnte. Egal wie sehr ich mich dagegen wehrte, sie ging mir unter die Haut. Und die Sorge um sie brachte mich fast um den Verstand.

Wieder rüttelte ich sanft an ihrer Schulter. Gott, sie fühlte sich so gebrechlich an, dass ich Angst hatte, ihr wehzutun. »Bitte, Blue. Gib mir irgendein Zeichen, dass du da bist. Vollkommen egal was, Hauptsache, du öffnest endlich deine verdammten Augen.« Pure Verzweiflung, wie ich sie schon lange nicht mehr verspürt hatte, wütete in meinem Inneren und schien mich immer mehr an den Rand des Wahnsinns zu treiben. Was war nur geschehen, dass wir uns heute an genau diesem Punkt wiederfanden? Es durfte nicht vorbei sein. Ich schloss für einen Herzschlag meine Augen, atmete tief durch und sah dann wieder zu Liv, dem Mädchen, das, egal wie sehr ich mich dagegen sträubte, immer meine ganze Welt bleiben würde. »Ich weiß, dass du mich hasst, Blue. Ich weiß, dass ich dich nicht verdient habe und du viel zu gut für mich bist, aber ich bitte dich, wenn da nur noch ein kleiner Funken von dem übrig ist, was du für mich empfunden hast, als wir noch Kinder waren, dann öffne deine Augen für mich. Öffne sie und sag etwas, irgendwas. Ich habe dich sehr verletzt, als ich gegangen bin, das weiß ich nun, und unsere Aufeinandertreffen sind jedes Mal nach hinten losgegangen, aber ich kann dich nicht verlieren, Blue. Nicht so, nicht, wenn da noch so viel ist, das du wissen musst. Bitte, bleib bei mir.« Ich hatte seit Jahren keine einzige Träne mehr geweint, doch als ich spürte, wie Liv sich in meinen Armen bewegte, konnte ich sie nicht mehr zurückhalten.

Liv

...ich kann dich nicht verlieren, Blue. Nicht so, nicht, wenn da noch so viel ist, das du wissen musst. Bitte, bleib bei mir. Seine Worte rüttelten an meinem Bewusstsein, vertrieben die Schwärze, die mich seit einiger Zeit einhüllte. Mit meinem Bewusstsein kehrten auch die Erinnerungen zurück, der Schmerz und das Wissen, dass Conley fort war. Plötzlich spürte ich etwas Warmes an meiner Wange, spürte, dass mein Kopf nicht mehr auf dem harten Steinboden lag, sondern gehalten wurde. Ich hörte, wie jemand erleichtert den Atem ausstieß und etwas murmelte, das ich nicht verstand. Doch das war vollkommen egal, denn ich wusste genau, zu wem diese Stimme gehörte. Die Stimme, die mir wieder und wieder eine Gänsehaut bescherte und mich vollkommen verrückt machte. Lucs Stimme. Und sie war hier, was bedeutete, dass Luc es ebenfalls war. Luc, von dem ich gedacht hatte, dass er mich hasste und mich nie wieder sehen wollte. Doch dass er hier war, bewies genau das Gegenteil. Es bewies, dass ich ihm nicht egal war. Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich gelächelt, doch mein Kopf schmerzte so sehr, dass ich es gerade einmal schaffte, meine Augen zu öffnen, ohne laut auf zu stöhnen, wie ich es gerne getan hätte. Und nicht nur das, ich merkte auch, dass mein Handgelenk schmerzte, als hätte jemand einen Vorschlaghammer darauf fallen lassen. Nicht, dass ich wüsste, wie sich das anfühlte, aber so in etwas musste es einfach sein. Dieses Mal konnte ich mir ein Stöhnen nicht verkneifen.

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