Der Schatten

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Ich bleibe erschrocken stehen.

Ich kann in einer leicht beleuchteten Ecke des Clubs eine große und kräftig gebaute Gestalt eines Mannes erkennen.

Man kann von meiner Sicht nur seinen Rücken ausmachen, aber ich weiß dass er es ist!

Ich weiß es!

Ich spüre es!

Plötzlich erkenne ich sein Gesicht, als er von einer der drehenden Discokugeln beleuchtet wird.

Sein selbstgefälliges Grinsen und seine durchdringenden Augen, die seine Gier zur Audruck bringt, lassen mich zusammenzucken.

Er ist da?!

Nein! Das darf nicht wahr sein!

"Meli?

Was ist los?" fragt mich Jacob.

Er hat meine Reaktion anscheinend bemerkt.

"Ich muss hier weg!

Es darf nicht weitergehen!

Ich schaffe es nicht mehr!"

Meine Beine scheinen nicht mehr funktionstüchtig zu sein.

Sie fühlen sich so an, als wären sie in Beton eingelegt worden.

Meine Zunge liegt schwer in meinem Mund und meine Lider werden schwer.

Ich spüre wie ich in ein tiefes Loch falle.

Bald darauf kann ich einen dumpfen Aufprall vernehmen.

Schmerzen spüre ich keine, aber mir ist sehr schwindelig.

Mir wird übel.

Ich möchte schreien und um Hilfe bitten.

Doch kein Laut entweicht meinen Lippen.

"Melinda!

Hilfe! Jemand soll den Krankenwagen rufen!

Melinda, bleib hier!

Du musst hier bleiben, verstehst du?

Bitte, halte durch!

Melinda!

Melinda!

Melinda!"

Ich kann die Stimme von Jacob vernehmen, aber ich kann ihm nicht antworten.

Wie gerne würde ich ihn jetzt beruhigen können.

Wie gerne würde ich ihm versichern, dass alles in bester Ordnung sei und es mir gut gehe.

Er weiß schon, dass diese Sätze nur Lügen sind.

Diese Standartsätze sind in unserer Gesellschaft leider weit verbreitet.

Probleme sollten angesprochen werden, doch stattdessen werden sie verborgen.

Schlimme Ereignisse sollten verarbeitet und mit Frieden für abgeschlossen erklärt werden, doch stattdessen werden sie verdrängt.

Aber es gibt keine Garantie dafür, dass nichts mehr hochkommt, denn eines Tages drängt die eigene Psyche dazu, sich an all diese Ereignisse zu erinnern.

Auch wenn es nur Bruchteile einer Erinnerung sind, die in Bilder aufflammen, sie werden uns jedoch auf die Knie zwingen.

Und wir haben die Wahl zwischen zwei Varianten, der psychischen Verarbeitung.

Die eine Variante besteht darin, sich seinen Ängsten zu stellen und die andere ist die Unterwerfung unserer Psyche.

Es mag sein, dass wir anderen Personen knapp entkommen, doch bei uns selbst gibt es weder Entkommen noch Erbarmen.

Ich kann gerade noch die Sirene des Krankenwagens hören, bevor ich wegschweife.

Die Kontrolle, die ich einst über mich besaß, war schon lange verblasst und so tauchte ich diesmal ungewollt in meine Erinnerungen ein.

Coolest winter rainWhere stories live. Discover now