Running

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Wenig später liege ich in meinem Bett zusammengerollt und versuche zu schlafen.
Ein Blick auf die leise tickende Uhr verrät, dass schon ein neuer Tag angebrochen ist.
Heute werde ich entlassen.
Ab heute werde ich wieder frei sein.
Ich hasse es mir einzureden, dass nach meiner Entlassung alles wieder gut wird und dass ich ein glückliches Leben führen werde.
Illusionen.
Alles nur Illusionen, damit ich wieder Hoffnung aufbaue.
Ich renne weg vor meinen Problemen.
Vor meiner Vergangenheit.
Vor mir selbst!
Ich renne und renne, vermag zu denken dass ich eines Tages frei sein werde, wenn ich den eisernen Griffen meiner selbst entfliehe.

"Ich will nicht mehr hier sein.
Ich kann nicht mehr hier bleiben.
Ich will hier weg."
Mein Flüstern ist kaum zu hören und meine zusammengekniffenen  Augen öffnen sich automatisch.

Mit aufkeimender Wut realisiere ich, dass ich hier eine Zeit lang eingesperrt wurde.
Ich wurde hier gehalten, wie eine Kuh die zum Schlachten vorbereitet wurde!
Diese Menschen, die sich Ärzte, Psychologen und Therapeuten nennen, wissen rein gar nichts über ihre Patienten!
Niemand hat das Recht die menschliche Psyche zu unterschätzen und sie in verschiedene Gruppierungen einzuordnen!
Denn kein Mensch ist gleich!
Keine Psyche kann in derselben Art und Weise funktionieren.
Es mag zwar sein, dass einige Merkmale ähnlich erscheinen, aber kein sogenannter "Patient" fühlt oder erlebt exakt die identischen Ereignisse.

Wir Menschen sind freie Wesen!
Doch, wir beugen uns dem System, den wir selbst erschaffen haben.
Wir beugen uns den Regeln und Maßen der Gesellschaft.
Unserer Gesellschaft.
Arbeitslose Personen werden sofort als faule Menschen bezeichnet, dabei weiß niemand warum er oder sie die Arbeit für eine Zeit lang gelassen hat.
Probleme werden meistens unterschätzt.
Stumme, aber deutliche Hilfeschreie werden ignoriert oder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen.
Ich fühle mich so, als ob mein Körper nicht mein eigener wäre.
Mit festem Griff befördere ich die Decke von mir und lande grazil auf den eiskalten und glatten Boden.
Ohne richtig nachzudenken gehe ich mit lautlosen Schritten zur Tür meines Raumes und öffne diese zaghaft.
Ich muss hier weg.
Ich muss.
Schnell schlüpfe ich durch die Tür und gehe durch den mit Neonlampen beleuchteten Gang der Psychiatrie.
Ich beschleunige meine Schritte damit keine einzige Menschenseele merkt, dass ich auf der Flucht bin.
Der Adrenalin schießt durch meine Adern, als ich die gläserne Flügeltür immer näher und näher komme.
Meine Hand fängt vor lauter Aufregung an zu zittern, als ich die kalte Türklinke des Krankenhauses berühre.

Plötzlich ertönen laute Alarmglocken im ganzen Gebäude.
Vor Schreck drehe ich mich instinktiv um und renne.
"Es ist jemand auf dem Gang!
Wir müssen diesen Patienten finden!"
Eine männliche Stimme befiehlt eine Gruppe von Security-Leuten sich aufzuteilen und den Ausreißer zu suchen und zu finden.
Mir läuft es kalt über den Rücken hinunter.
Ich versuche schnell wieder auf mein Zimmer zu rennen, aber ich spüre auch dass meine Energie anfängt immer mehr zu schwinden.
Bitte, ich muss durchhalten!
Wenn man mich findet, dann werde ich höchstwahrscheinlich weiterhin hier behalten.
Mit Schweißperlen auf der Stirn schaffe ich es meinem Zimmer immer näher zu kommen.
Ein paar Sekunden später schleppe ich mich völlig außer Atem in meinem Raum und schließe leise die Tür.
Mein Herz hämmert gegen meinen Brustkorb und mein Hals schmertzt schon beim Atmen.
Ich wurde nicht entdeckt!

Seufzend lege ich mich wieder ins Bett und decke mich zu.
Ich habe es nicht geschafft, mich aus diesem "Gefängnis" zu befreien.
Verstohlen schaue ich auf die Uhr.
Es ist 3:54 Uhr.
Heute Nachmittag werde ich von Jacob abgeholt.
Ich freue mich schon riesig wieder frei zu sein.
Plötzlich stößt jemand die Tür auf.
Mit weit aufgerissenen Augen verstecke ich mein Gesicht in die Decke und drehe mich zur Seite.
Eine Taschenlampe beleuchtet mein Bett und schwere Schritte sind zu hören.
"Diese Patientin hat also nicht versucht auszubrechen."
Diese Stimme habe ich schon am Gang gehört.
Ich strenge mich an gleichmäßig zu atmen.
Nach einer Ewigkeit wurde die Tür wieder geschlossen.
Erleichtert atme ich auf.
Sie haben mich nicht gefunden.
Sie haben keine Spuren von mir entdeckt.
Ich hoffe, dass kein Abstrich von der Ausgangstür gemacht wird und dass der Boden des Flures nicht auf Abdrücke geprüft wird, da ich barfuß unterwegs war.

Erschöpft schließe ich meine Augen und falle in einem traumlosen Schlaf.

Coolest winter rainWhere stories live. Discover now