Kapitel 72

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P.o.V.: Chiara Caruso

Meine Tarnung war diesmal um Längen besser, als beim letzten mal. Ich trug eine weite graue Jogginhose von MJ. Dazu hatten wir noch eine alte Halloweenmaske gefunden, die ich mit schwarzer Acrylfarbe angemalt hatte. Meine schwarzen Haare waren unter der blonden Perrücke versteckt, die ich zu einem Side- Cut gestylt hatte. Dazu trug ich noch eine weite Bomber-Jacke, die eine Tante MJ mal gschenkt hatte und die sie noch nie getragen hatte. Alles in allem sah ich aus wie eine Frau, die in der Zeit der Punks stecken geblieben war, vergessen hatte, wann Halloween war, zu viel Alkohol getrunken hatte und dadurch auf die Schnapsidee kam, einen Geldautomaten in die Luft zu sprengen.
Ich  torkelte mit einer leeren Wodkaflasche die leere Straße entlang. Perfekt, wenn ich das schnell erledigte blieb mir noch Zeit, um mit MJ, die eben, als ich los wollte von ihrem Treffen mit Peter und Ned wiederkam, ein Spiel zu spielen. Mir war nicht bewusst gewesen, dass es so schlimm war, nicht das Leiterspiel zu kennen.
Mit einem stöhnen ließ ich die Flasche auf den Boden gleiten, als hätte ich komplett die Kontrolle über meinen Körper verloren. Dann begann ich in irres Gelächter aus zu brechen, während ich langsam auf den Automaten zu trottete. Kurz vor ihm blieb ich gut drei Minuten stehen, den Mund leicht aufgeklppt, als wäre mir gerade ein Geistesblitz gekommen. Dabei warf ich immer mal wieder verstohlene Seitenblicke zu den Straßenseiten, um mich zu vergewisern, dass keiner kam. Dann kramte ich ungeschickt, sinnloses Zeug murmelnd in meiner Tasche rum, zog drei Silvester Böller heraus, zündete diese an und taumelte zurück.
Drei..Zwei..Eins..
Der Automat wurde komplett in die Luft gesprengt, ebenso wie die Kamera darüber. Jetzt musst es schnell gehen: Ich suchte nach dem Geld, packte die größten Batzen zusammen und machte mich mit der Beute aus dem Staub, inem ich meine Repulsoren an den Füßen aktivierte.
Bevor die Polizeisirenen sich näherten, war ich schon aus der Höhrweite. Perfekt, wenn das mal nicht astrein geklappt hatte, dann wusste ich auch nicht weiter.
MJ machte die Tür auf, bevor ich geklingelt hatte, sie schien insgesamt aufgeregter als ich es war. Ihre Wangen hatten eine leichte rotfärbung angenommen, der desinteressierte Blick war komplett verschwunden:,, Schnell, komm rein. Wie hats geklappt? Hast du das Geld?"  Sobald die Tür hinter uns zu gefallen war, nahm ich die Perrücke vom Kopf, setzte die Maske ab und zog dann auch den Beute unter der Jacke hervor:,, Es war super einfach. Fast schon erschreckend leicht"
Meine Freundin hob eine Augenbraue, während sie mir den Beutel abnahm, um damit schon mal in die Küche vor zu gehen:,, Ich würde ja fast sagen, du gibst an, aber vielleicht sollte ich auch mal versuchen, die Automaten zu knacken. Dann könnte ich das Geld irgendwohin spenden"
Energisch schüttelte ich den Kopf. Und da sie es nicht sehen konnte fügte ich rasch hinzu:,, Auf keinen Fall, das is viel zu gefährlich. Dafür brauchst du schon Übung"
Lachend schaute MJ mich an:,, Schade, dann werde ich doch nicht kriminell. Aber das Geld können wir doch zusammen zählen, oder?" ,,Klar, kipp es auf den Tisch"
Mit zusammengekniffenden Augen betrachtete ich das kleinen Haufen. Zwei Hunderterscheine, mehrere Zwanziger und Zehner plus ziemlich viele Münzen. Das müsste reichen. MJ begann schon damit die Scheine zu zählen, weshalb ich die Münzen übernahm.
410Euro und etwas bekam ich schlussendlich zusammen. Das bedeutete, ich konnte mir tatsächlich einen Flug nach Portugal leisten. Nach da würde ich meinen Vater locken, um ihn in eine Falle tappen zu lassen und dann nach Spanien zu fahren.
Aufmerksam schaute MJ mich an:,, Du musst es nicht, aber meinst dunicht, es wäre schön, sich gegenseitig die ganze Wahrheit erzählen? Ich erzähl dir von meiner Familie und du mir von deiner."
Zögerlich nickte ich. Ich hatte überhaupt gar kein Problem damit, wenn MJ alles über mich wusste, allerdings schien sie diesen Informationstausch nur deshalb angeboten haben, weil sie eigentlich auch endlich erzählen wollte, warum ihr Vater und ihre Mutter nie zu Hause waren.
,,Willst du beginnen, oder soll ich zu erst", fragte ich, während meine Finger zu den Kirschtomaten wanderten, die in einer Schale auf dem Tisch standen.
,,Ich will beginnen", antwortete MJ entschieden. Und dann begann sie, eine der krassesten Geschichten überhapt aus zu packen. Ihre Stimme klang fest, als sie sagte:,,Ich kenne meine Mutter nicht. Mein Vater hat kein einziges Foto von ihr und hat mir, egal was ich mache, wie viel ich bettel noch nie was von ihr erzählt. Von unsere Haushälterin, Anne, weiß ich, dass mein Vater nicht mal weiß, wessen Kind ich eigentlich bin. Er hatte  eine Woche frei und hat dort wohl eine große Party geschmissen. Anne war früher schon mit ihm befreundet und hat mir erzählt, dass er in der Woche mit mindestens acht unbekannten Frauen geschlafen haben müsste. Vermutlich wurde ich da gezeugt. Und 50Wochen später lag ich vor der Tür. Es war Anne, die mich gefunden hat, weil sie noch zu Dad wollte. Tja, beide hatten den gleichen Verdacht, sie machten einen Vaterschaftstest und es passte.
Es gibt keinen Anhaltspunkt, wer meine Mutter sein könnte. Anne hat mich praktisch groß gezogen. Dad hat zwar seit meiner Ankunft aufgehört, auf irgendwelche Partys zu gehen, dafür erfüllt er aber jegliches Klischee in allen möglichen Geschichten: Ständig auf  der Arbeit oder auf igendwelchen Geschäftsreisen"
Ich musse erstmal einen Klos runter schlucken. Wie schlimm musste das bitte sein? Man kannte nicht mal seine eigene Mutter! Gena war immer einer der wichtigsten Personen in meinem ganzen Leben gewesen!
Durchdringend schaute MJ mich an:,, Es ist nicht schlimm für mich, ich kenne es schließlich nicht anders, aber es ist schlimm zu hören, dass es Kinder gibt, die Eltern haben, aber nichts mit ihnen zu tun haben wollen ,Chiara."
Shit, sie war wirklich verdammt schlau und hatte vermutlich wenigtens den Grundrahmen zusammengereimt.


Hey, nochmal danke für alle, die meine Geschichte lesen. Ihr motiviert mich unfassbar und seid echt lieb! Falls ihr irgendeine  Kritik habt, dann schreibt sie gerne.
Ganz viel Sonne oder sonst wenigstens Schnee an euch😘

Stark ist nicht starkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt