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Menschen in schwarz.
Viele Menschen in schwarz.
Wie viele von all diesen Menschen wohl hier sind, weil sie wirklich trauern?
Ich halte mich im Hintergrund, ich habe keine Kraft zu Mos Eltern zu gehen, die im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Ich kann sie nicht umarmen und Ihnen beistehen. Meine Eltern übernehmen das für mich. Ich kann einfach nur im hinteren Ende der Gesellschaft stehen und versuchen keine Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich ertrage all diesen mitleidigen Blicke nicht. Ich ertrage diese fake Trauer nicht. Ich fühle mich allein und verlassen. All die Trauerbekundungen sie machen keinen Sinn, sie erreichen mich nicht.

Und dann ist da eine warme Hand die meine nimmt und kaum merklich drückt.
Ich reise den Kopf herum, will meine Hand befreien als ich Lisa neben mir erblicke. Ihre Unterlippe zittert, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. Sie packt meine Hand so fest, als wäre es ein Anker an dem Sie sich festhalten kann. Lisa. Mos Beste Freundin, ich drehe mich wieder nach vorne und frage mich ob sie dasselbe empfindet wie ich. Verlassen von der Person die wir wenn auch auf unterschiedliche Art liebten.

Als der Trauerzug sich langsam in Richtung der Kirche begibt, folgen wir als eine der letzten. Wie ignorieren unsere reservierten Sitze in den ersten Reihen und lassen uns ins hintereste Ende der Kirche nieder. Hier drin ist es so kalt. So kalt wie Mos Haut in den letzten Sekunden ihres Lebens. Für Sekunden bin ich erneut in diesem sterilen Zimmer und schaue sie an.
Ich erschaudere und starre den Pfarrer an ohne ihn zu sehen. Seine Lippen bewegen sich, aber kein Wort dringt zu mir durch. Lisa neben mir bricht in hemmungsloses schluchzen aus, aber ich bin nicht im stande sie in die Arme zu nehmen. Wie soll ich im stande sein jemanden zu trösten, wenn ich selber in einem Meer aus Trauer unterzugehen drohe?
Ich starre auf das Meer von Köpfen vor mir und wünsche mich fort von hier. Für Mo hätten solche Formalitäten wie Beerdigungen nicht gezählt.
Ist diese Art der Verabschiedung für die Hinterbliebenen etwas was man tut weil die Menschheit es seit Jahrtausenden tut oder hilft es einem wirklich den Menschen den man so liebt gehen zu lassen?

Ich starre auf den Sarg und frage mich ob da noch ein Rest von meiner Mo ist. Ist das nur eine leere Hülle? Oder ist vielleicht noch ein Rest von ihr hier? Ein kleiner Teil der diese Prozedur mit uns zusammen durchsteht? Ein Teil der eventuell ebenfalls Abschied nimmt. Abschied von uns.

Der Versuch mich auf den Pfarrer und seine nichtssagend Worte zu konzentrieren, scheitert kläglich. Nichts was er sagen könnte, würde meiner Mo auch nur annähernd gerecht werden.
Die Sekunden ziehen sich, gefüllt mit einer unsagbaren Stille, wiegt sie schwer auf meinen Schultern. Es ist als würde ich tief in die Bank gedrückt werden und die Eiseskälte schluckt mich Stück für Stück.

Nicht einmal die wirklich schöne Orgelmusik reißt mich aus meinem tranceartigen Zustand.

Bewegung kommt in die Trauergemeinde. Der Pfarrer als Spitze des Zuges führt die trauernden in Richtung der Stelle an der Mos Überreste ihren letzten Frieden finden sollen.

Die klare warme Luft gefüllt vom Duft frischer Blumen, bedeutet mir nichts. Der Gesang der Vögel, ist ein tonloser Schrei dessen Schönheit mich nicht erreicht.

Wie bilden einen Halbkreis vor den Baum für den Mos Eltern sich entscheiden haben.

Eine Birke, hochgewachsen und schlank ragt sie in den Himmel. Es scheint fast so als wollte sie mit ihrer Krone den Himmel grüßen.

Sie legen den roten Tontopf mit allem was von Ihr ubrig ist in ein Loch und treten zurück. Mos Eltern knien neben dem Loch und lassen etwas hineingleiten.
Meine Hand klammert sich um Mos buntes stoffarmband, welches ich ihr in Thailand geschenkt habe. Obwohl ich nur wenige Meter bis zu der Stelle an der ihre Eltern knien entfernt bin, fühlt es sich an als müsste ich Kilometer in einem Sandsturm überwinden. Ich breche neben Mos Vater zusammen und ziehe das Band aus meiner Tasche. Er hebt den Blick und drückt meine Schulter.
Die Hand zu öffnen, ist vermutlich eines der schwersten Dinge die ich je getan haben. Das Band purzelt in das Loch und mit ihm ein Teil von mir. Ich beerdige hier nicht nur meine Freundin, sondern auch den Teil meines Herzens, den Sie mir gestohlen und für sich beansprucht hat.

Als ich es schaffe mich aufzurichten, höre ich die Musik die sich Mo gewünscht hat, leise im Hintergrund spielen und erstarre.

"I think it's time for me to leave, but I'll never leave you."

Es ist als würde Sie zu mir sprechen. Ich höre sie durch die Stimme des Sängers. Ich schaffe es nicht zurück zu meinem Platz zu gehen, ich stehe hier inmitten des Kreises und starre in die Ferne, während mich das Lied mit voller Wucht trifft.

" I'm fighting with myself and my sobriety every night
And last time I couldn't barely open up my eyes, I apologize
I'm not gonna lie and tell you it's alright, it's alright
You're gonna cry and, baby, that's alright, it's alright
I wrote you this song to keep, when I'm gone if you ever feel alone
You're gonna cry and, baby, that's alright, it's alright"

Die Blicke der Anwesenden sind mir egal.
Mo. Warum?
Warum konntest du dich nicht für eines der Lieder entscheiden die du so liebtest? Eines der Lieder ohne Bedeutung, ohne Schmerz, vielleicht eine Mischung aus Sarkasmus und Kritik.

Jemand nimmt mich am Arm und führt mich zurück in die Menge. Ich werde eins mit ihr.
Und dann löst sie sich langsam auf, gemurmelte Worte, Bedrücktheit, ich spüre all das weit entfernt.
Lisa drückt mich kurz und geht mit gesenktem Kopf davon.

Und dann steht jemand vor mir. Ich drehe mich weg, will gehen. Ich will mit niemandem sprechen, aber der jemand lässt mich nicht gehen. Und dann reisen seine Worte mich aus meiner Trance.

"Ich habe es Mo versprochen!"

Ich erstarre und hebe den Blick.

Vor mir steht ein Mann mit Haselnussbraunen Haaren und einer Jeans kombiniert mit einem kirsch rotem Hemd.

Es gefällt mir, dass er kein schwarz trägt.

"Wer sind Sie?" Er schließt kurz die Augen.
"Ich bin Herr Bamba. Ich bin, war, Mos Psychologe." "Aha." Mehr bringe ich nicht heraus. Mo hat mir von ihm erzählt, sie möchte ihn.
"Mo hat mich beauftragt dir den hier zu geben." Er zieht einen Brief aus der Tasche und hält ihn mir hin. Ich starre den Brief an.

Unfähig etwas zu sagen, starre ich den Umschlag an und kann nicht glauben das das von Mo ist. Es ist ein Teil von ihr, den er mir anbietet.
Als ich meiner Hand endlich den Befehl geben kann, den Brief zu nehmen, zitter sie so stark das Herr Bamba ihn mir förmlich in die Hand legt.
Dann drückt er meine Schulter.
"Sie hat dich wirklich geliebt."
Und mit diesen Worten geht er, lässt mich allein zurück.

Sie hat dich wirklich geliebt.

Es sind diese Worte die meine Barrieren durchbrechen. Ich Falle auf die Knie, halte den Brief fest an meine Brust gedrückt und beginne zu weinen.

Ein Abschiedsbrief? Wirklich Mo?

Ich starre den Brief an der drang ihn hier und jetzt zu öffnen ist stark, aber ich weiß das ich nicht bereit dafür bin. Nicht jetzt. Es ist zu früh, mir anzuhören, was Mo wollte das ich höre wenn sie nicht mehr da ist. Was sie dachte, welche Worte mir helfen können.

Worte.

Sind sie nicht leer und nichtssagend?

Kurz bin ich bereit den Brief zu zerknüllen und in die nächste Mülltonne zu werfen, dann besinnen ich mich. Dieser Brief ist ein Stück Mo.

Ich werde ihn öffnen, wenn ich der Tatsache das sie fort ist in die Augen schauen kann. Oder würde der Brief mir helfen, es zu akzeptieren? Würde er es einfacher machen?

Was hast du dir dabei gedacht Mo?




Auszüge aus dem Liedtext "Play this when i'm gone" von Maschine Gun Kelly

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