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Schweigend sitze ich auf dem harten Krankenhausbett und starre geistesabwesend aus dem dunklen Fenster.
Meine Mutter wurde vor einer halben Stunde von den Ärzten verabschiedet mit den Worten die Besucherzeit wäre zu Ende.

Die Ärzte haben uns viel über meine Art von Krebs und die mögliche Chemotherapie erzählt.
Soll ich eine Chemotherapie machen?
Diese Frage geistert schon die ganze Zeit in meinem Kopf herum.

Ich lehne mich an die Wand und schließe die Augen.
Plötzlich spüre ich den Drang irgendetwas in dieser Welt zu bewegen. Etwas wichtiges!
Aber was?
Was habe ich in meinem Leben bisher erreicht?
Ich war doch nur ein ganz normales Mädchen.
Ich war glücklich.
Und jetzt?
Jetzt wurde meine ganze Welt innerhalb weniger Stunden zerstört!
Ich habe noch so viel vor.

Es kommt mir vor als stünde ich zwischen einer Weggabelung. Auf der einen Seite ist es hell und es stehen wunderschöne Blumen auf einer großen Wiese.
Die andere Seite ist düster und fast schon unheimlich.

Und ich stehe zwischen den beiden Wegen, unfähig mich zu bewegen.
Festgewachsen.

Soll es das schon gewesen sein?

Soll ich diese Welt schon verlassen?

Und dann öffne ich die Augen.
Tränen verschleiern meine Sicht, allerdings stört mich das nicht, da es inzwischen vollkommen dunkel ist.

Jetzt und Hier, Allein, In vollkommener Dunkelheit, lasse ich meinen Tränen Freien Lauf.

Ich war nicht im Stande vor meiner Mutter zu weinen.

Und während ich so weinend auf meinem Bett sitze, merke ich das ich keine andere Möglichkeit habe.
Ich werde die Chemotherapie machen.
Egal was für Schmerzen ich ertragen werde.
Ich werde meine Haare verlieren?
Was macht das schon wenn ich ein paar kostbare Monate leben bekomme?

Ich will noch nicht sterben.
Ich kann noch nicht sterben.
Meine Zeit kann noch nicht um sein.

Wie glücklich können so viele Menschen sein!

Dieser Gedanke schießt urplötzlich durch meinen Kopf.
Menschen beschweren sich über alles. Und wenn es noch so bedeutungslose Kleinigkeiten sind.
Ich habe meine Hausaufgaben nicht gemacht.
Ich habe zwei Kilo zu viel zugenommen.
Ich kann mir diese wunderschöne Lederjacke nicht leisten.

Auch ich habe jeden dieser Sätze schon oft gesagt.
Ich hatte keine größeren Sorgen als das.
In Afrika hungern Kinder?
Das ist schlimm, aber was kann ich dagegen tun? Ich habe genug eigene Probleme!

Die Menschen kümmern sich eigentlich nur um sich selbst.
Die Größten Sorgen sind Dinge wie vergessene Hausaufgaben.
Und dann wenn einem klar wird, wie wertvoll das Leben eigentlich ist, ist es schon zu spät.

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