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„Ich habe Depression."
Herr Bamba schaut mich mit undeutbarem Blick an. „Warum?" Ich runzele die Stirn.
„Ich bin gestorben. Und ich wollte nicht mehr leben. Es war so friedlich. Warum sollte ich weiter in dieser Welt voller Schmerz und Verzweiflung leben, wenn es auf der anderen Seite so viel angenehmer ist? Ich hasse den Arzt dafür das er mich zurückgeholt hat, gleichzeitig hasse ich mich dafür das ich so denke."
Erneut richte ich den Blick auf Herr Bamba und merke das er sich Notizen macht. Aus irgendeinem Grund macht es mich wütend, ich überwinde mich gerade und vertraue mich ihm an und er hat nicht einmal den Anstand mich anzuschauen.
„Du sagst also du hast Depressionen weil du gestorben bist."
„Naja ich glaube nicht, das das alles ist. Ich glaube es wird mir gerade einfach alles zu viel." Herr Bamba wedelt mit dem Stift in der Luft herum und ich folge ihm mit den Augen. „Darauf kommen wir gleich zu sprechen. Willst du immer noch sterben?" Ich senke den Blick und schäme mich. Herr Bamba nickt und sagt ruhig. „Das dachte ich mir, aber es ist irgendetwas passiert was dich kurzzeitig an das Leben glauben lässt. Was ist es?" Ich richte den Blick auf die schlichte Wand hinter Bamba. „Es sind die Menschen die mich lieben. Manchmal ist es das schlechte Gewissen das ich bekomme wenn sie um mich herum sind, manchmal einfach der Gedanke daran das ich sie aufgebe, wo sie doch so sehr an mich glauben."
Herr Bamba nickt ruhig.
„Das ist eine leichte Form der Depressionen. Die ist nicht schlimm, solche Gedanken zu haben sind in deiner Situation normal. Aber was mir sorgen macht, ist das dir gerade alles zu viel wird. Man merkt das nicht nur an den krassen Stimmungsschwankungen die du hast, sondern gerade auch an der Tatsache das du sterben willst. Merke dir eines Mo: In deiner Psyche hängt alles zusammen."
Einen Moment lang herrscht Stille, dann steht Herr Bamba auf und lächelt mich schwach an. „Tee?" Ich nicke und lehne mich in dem Stuhl zurück.
Er sagte es hängt alles miteinander zusammen, dass mag sein aber was hilft mir das jetzt?

Als Herr Bamba mit einer dampfenden Tasse Tees zurückkommt, herrscht eine nachdenkliche Stille, in der ich an meinem Tee schlürfe und mir die Zunge verbrenne.
Fluchend stelle ich die Tasse auf dem Tisch ab und fächele mir Luft in den Mund.
„Ich könnte dir jetzt antidepressiva und Beruhigungsmittel jeglicher Art verschreiben, aber das würde dich nur ruhig stellen, dein Gefühlschous nur unterdrücken. Als Psychologe hätte ich dann versagt." Ich schaue überrascht hoch. „Dann hätten sie ein Problem weniger." Herr Banba zuckt die Schultern. „Ich sehe meine Patienten als das was sie sind: Menschen. Menschen mit Gefühlen, Erinnerungen und Gedanken. Wenn ich jedem nur Medikamente verschreibe profitiert davon mein Geldbeutel und der der Pharmaindustrie. Aber irgendwann meldet sich mein schlechtes Gewissen. Ich bin kein Betrüger."
Ich schaue auf meine Tasse und verfolge den Dampf der aufsteigt, sich verformt und verdampft. Ist das nicht genau unser Leben? Wir stehen auf, verändern uns und sterben dann. Bloß haben wir ein bisschen mehr Zeit. Aber nutzen wir sie sinnvoll?

„Du musst mehr unternehmen, häng nicht die ganze Zeit im Krankenhaus rum. Mach was Teenager in deinem Alter tun. Vergiss die ganzen Verbote deines Arztes." Sein Blick liegt ernst auf meinem. „Ok. Warte. Ich muss mich anders ausdrücken. Du sollst sie nicht komplett ignorieren, du sollst sie bis zu einem gewissen Grad umgehen!" Ich muss grinsen. „Sie sind mir ein guter Psychologe!" Er steht auf und geht in dem Zimmer auf und ab.
„Viele Depressionen gehen allein von Ablenkung weg."
Mein Lächeln verblasst.
„Ich soll also meine Zeit nutzen."
Er nickt geistesabwesend.
„Das ist auch der Grund, warum die meisten Depressionen weggehen, du lenkst dich ab, du forderst dich so sehr, dass du keine Zeit mehr hast über Depressionen nachzudenken." Ich nicke nachdenklich. „Das Prinzip ist einfach!" Er lächelt schwach: „Es ist noch einfacher umzusetzen."

Nachdenklich mache ich mich auf den Weg nach Hause.
Bamba hat gesagt, ich soll mich ablenken.
Was für Möglichkeiten habe ich?
Ich könnte in die Schule gehen, aber das wäre Zeitverschwendung.
Ich werde etwas mit den Menschen verbringen, die die restliche Zeit nutzen wollen, die ich habe.
Das wären dann meine Familie, Lisa und Seth.
Waren das schon alle?
Das ist fast schon traurig.
Ich seufze leise auf und gehe mit gesenktem Kopf weiter.

„Hallo, ich bin wieder zuhause!" Ich lasse meine Schuhe achtlos fallen und hänge meine Jacke an den Hacken, dann betrete ich die Küche an der meine Eltern beide an dem Küchentisch sitzen und mich lächelnd anschauen.
„Und hast du morgen schon was geplant?" Meine Mutter schaut mich erwartungsvoll an und ich schüttele den Kopf.
„Super. Dann kommst du morgen auf das Familientreffen mit." Mein Vater schaut mich ernst an und ich zucke die Schultern. „Hast du Hunger Schatz?"
Ich zucke die Schultern: „Nicht wirklich." Meine Eltern schauen mich besorgt an. „Ich mache uns eine Kleinigkeit." Ich nicke und mache mich auf den Weg in mein Zimmer.

Ist dieses Familientreffen wirklich eine so gute Idee?
Bin ich bereit, meiner ganzen Familie in die Augen zu schauen?
Aber habe ich überhaupt ein Recht, so zu denken?

Seufzend Rolle ich mich von meinem Bett und angele mir mein Handy.
„Hallo." Seth hört sich an wie immer, auch wenn die Stimme durch das Handy leicht verzerrt ist.
„Hey!" Einen Moment lang herrscht Stille. „Störe ich?" „Nein." Ich nicke und seufze leise. „Kann ich dich was fragen?" Ohne eine Antwort abzuwarten, fahre ich fort.
„Was hat deine Familie getan, als sie von deiner Diagnose erfahren haben?" „Am schlimmsten sind die mitleidigen Blicke die du abbekommst. Es war nicht schön, aber nach einer Weile kommst du damit klar."
„Ich habe morgen ein Familientreffen und ich habe Angst." Er lacht leise: „Dafür brauchst du dich nicht schämen, davor hätte jeder Angst."
Und dann kann ich mich nicht mehr zusammenreißen, der Grund weshalb ich ihn angerufen habe, bricht aus mir heraus.
„Kommst du mit?"

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