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Erneut renne ich durch die Dunkelheit und spüre meinen Verfolger. Mein Herz rast und ich weiß, dass es es nicht mehr lange mit macht.
Wieso nicht einfach aufgeben?
Wozu kämpfen wenn mich das Monster früher oder später doch fangen wird?
Ich spüre wie mir die Luft ausgeht, meine Füßer verfangen sich und ich lande auf dem Boden.
Trotz allem will ich weiterkrichen, bin noch nicht bereit aufzuschlagen. Im Kopf fliege ich noch durch die Luft, aber mein Körper ist bereits auf dem Boden aufgeschlagen.

Mit einem leisen Schrei schrecke ich hoch. Panisch schaue ich mich um, ich bin immer noch in dem Krankenhauszimmer, das nur durch eine Notfallleuchte an der Decke erhellt wird.

Das war nur ein Traum!

Langsam richte ich mich auf und schleppe mich zu den Duschen.
Das eiskalte Wasser beruhigt mich seltsam und ich weiß das ich hier raus muss.

Als ich auf der Straße stehe und einen Blick auf meine Uhr werfe, wird mir klar das um drei Uhr nachts keine Busse fahren.
Was genau dachte ich mir eigentlich dabei zu gehen?

Fluchend gehe ich weiter und ziehe meine Jacke enger um mich.
Als ich unter einer Straßenlaterne stehen bleibe, drehe ich mich einmal um die eigene Achse und drehe schließlich um, nur um den Weg wieder zurück zu gehen.

Als ich wieder in der Eingangshalle stehe, setze ich mich auf eines der schwarzen Sofas und ziehe meine Jacke aus.
Ich bin viel zu müde um mir irgendwelche Gedanken darüber zu machen, warum ich gerade einfach losgelaufen und wieder umgedreht bin, ich mache mir keine Gedanken darüber was passiert wenn die nächste Krankenschwester die in meinem Zimmer vorbeischaut ein leeres Bett vorfindet, ich schlafe einfach ein.

Am nächsten morgen wache ich auf und nehme ein angenehmes Stimmengewirr um mich herum wahr.
Ich brauche einen Moment um mich zu orientieren, dann fällt mir wieder ein warum ich hier auf dem Sofa liege.
Müde richte ich mich auf und reibe mir den Schlaf aus den Augen.
Ich ignoriere die Blicke der Besucher und mache mich zurück auf den Weg in mein Krankenhauszimmer.

Gelangweilt überlege ich mir was ich tun könnte.
Mein Handy ist irgendwo daheim, der Fernseher und irgendwelche Bücher schalten aus, da ich das meinen Augen nicht antun will.
Also beschließe ich Seth zu besuchen.
In seinem Zimmer angekommen, stelle ich fest das er nicht da ist.
Leise fluchend stehe ich auf dem Gang und weiß nicht was ich mit mir anfangen soll, als Bruder Bertram auf mich zugestürmt kommt.

„Hast du Lust bei einer unserer Treffen mitzumachen?" Ich überlege einen Moment, aber da ich gerade eh nichts besseres zu tun habe zucke ich die Schultern und folge ihm.
Er geht den Gang entlang und öffnet eine Tür.
Ich bleibe in der Tür stehen und schaue mich um.
Die Wände sind in einem freundlichen Blau gestrichen und die zwei großen Fenster gehen auf die kleine Parkanlage des Krankenhauses.
Der Raum ist bis auf einen Stuhlkreis der die Mitte des Raumes dominiert fast leer.
Ein paar der Stühle sind mit Patienten allen Alters belegt, als ich mich genauer umsehe bemerke ich das hier offenbar nicht nur Patienten anwesend sind.

Zögernd lasse ich mich auf einen Stuhl nahe der Türe fallen und versuche so unauffällig wie möglich zu sein.
In dem Raum herrschst eine angenehme Stille, Bertram setzt sich ebenfalls und es scheint so als würden die Anwesenden noch auf etwas warten.
Nach ungefähr zwanzig Minuten in denen ich mich ein wenig entspannt habe, öffnet sich die Türe und eine junge Frau mit kurzen Haaren und demselben Krankenhauskittel wie ich betritt das Zimmer. Sie sieht unglaublich müde aus und hat dunkle Ringe unter den Augen. Sie geht langsam, so als würde ihr jeder Schritt Schmerzen bereiten.
Als sie sich gesetzt hat, beginnt Bruder Bertram zu sprechen.
„Es freut mich, dass wir uns heute wieder alle eingefunden haben." Die anwesenden Lächeln alle und dann richten sich alle Blicke erwartungsvoll auf die Frau.
Sie schaut hoch und auf ihrem Gesicht erscheint ein echtes Lächeln.
Ich mustere sie überrascht, sie hatte auf mich einen Eindruck gemacht als könnte sie nicht mehr lachen. Als hätte sie so viel Schmerz und Dunkelheit gesehen, dass ihr Lächeln und Licht erloschen ist.
„Ich bin Maddy. Ich habe seit vier Jahren COPD diagnostiziert bekommen, ich verschönere es nicht, ich war lange Zeit Kettenraucherin." Sie verstummt einen Moment.
COPD? Was ist das?
Aber Maddy fährt fort.
„Zu deutsch heißt es eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung. Ursachen dafür sind zum Beispiel übermäßiger Zigarettenkomsum. Bei dieser Krankheit werden die Atemwege verengt, im Klartext bedeutet das also das du erstickst, da vor allem die Ausatmung Probleme macht." Sie schließt die Augen und atmet tief durch.
„Es ist grauenvoll, wenn du nicht mehr ausatmen kannst. Dieses Gefühl zu ersticken. Du bist vollkommen machtlos. Und das schlimmste es gibt keine Heilung."
Ich merke wie sich in meinem Hals ein Klos bildet und verspüre Mitleid, aus eigener Erfahrung weiß ich jedoch das das das letzte ist was man in solchen Situationen gebrauchen kann.
Aber sie hatte gesagt sie hätte die Diagnose schon vier Jahre lang. Wie es sich anfühlen muss, solange zu kämpfen, einen Kampf den man nicht gewinnen kann.
„Da es keine Heilung gibt versuchen die Ärzte deine Lebensqualität zu verbessern, ich habe mit dem Rauchen aufgehört. Aber alles hat nicht genützt, es wurde immer schlimmer. Ich wanderte von Stadium A bis nach Stadium D. Das ist das stärkste was es gibt. Die Ärzte haben mich aufgegeben, aber ich mich nicht. Ich habe so lange gekämpft, ich war nicht bereit aufzugeben, nicht bereit zu akzeptieren das das alles umsonst gewesen sein sollte. Man sagte zu mir ich habe noch fünf bis sieben Jahre. Es war ein harter Schlag, es so ins Gesicht geknallt zu bekommen, es hat mich kaputt gemacht. Aber was nützte es mir aufgeben? Sollte ich nicht um das wunderbare Geschenk Leben kämpfen? Ist es nicht wenigstens einen Versuch, nein unendlich viele Versuche wert?" Sie schaut vollkommen ernst in die Runde und ich weiß das diese Frau das ernst meint, dass sie immer weitermachen würde, egal was passiert.
„Und ich wurde belohnt. Forscher haben eine Therapie gefunden. Ich bin eine der Testpersonen und es schlägt an." Ihre Stimme bricht und Tränen laufen ihr über das eingefallene Gesicht.

Lange Zeit herrscht Stille, ich habe den Blick auf meine geballten Fäuste gesenkt, in mir herrscht ein unglaubliches Gefühlschous.
Ich bin eifersüchtig auf Maddy, wieso bekommt sie noch eine Chance? Gleichzeitig bin ich unglaublich stolz auf sie, sie hat gekämpft und hat gesiegt. Sie hat nie aufgegeben und immer weitergemacht und jetzt hat es sich ausgezahlt.

„Was ich damit sagen möchte ist, dass es immer Wunder gibt ob sie nun groß oder klein sind, liegt an der jeweiligen Sichtweise. Manchmal muss man nach Wunder suchen und tief graben, manchmal finden sie dich. Aber wie es auch passiert, die Kunst liegt darin sie zu erkennen und zu schätzen."

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