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Als ich aufwache ist das erste an was ich denke das ich heute einen freien Tag habe.
Meine nächste Chemotherapie ist erst morgen und für heute habe ich noch nichts geplant. Was soll ich heute also tun? 

Ich könnte etwas mit meiner Familie unternehmen?                                                                                            
Ich könnte etwas mit Lisa unternehmen?                                                                                                                 Und Seth? Oder nerve ich ihn? Und wenn nicht was könnte ich mit ihm machen?  

Ich stehe auf und richte mich, dann beginne ich in der Tasche herumzuwühlen, die mir meine Mutter mitgebracht hat. Ich entscheide mich schließlich für eine schlichte schwarze Jeans und ein hellblaues lockeres T-Shirt.                                                                                                                                      
Ich rufe meine Mutter an und warte dann ungeduldig. Als ich es nicht mehr aushalte nur untätig herumzusitzen, mache ich mich auf den Weg in die Eingangshalle und  setzte mich auf das schwarze Ledersofa.                                                                                                                                                          
Genau wie beim letzten Mal beobachte ich die Menschen und versuche sie zu analysieren.             Die schwarzhaarige Frau mit dem mürrischen Gesichtsausdruck. Was sie wohl hierherführt?          
Bevor ich mir eine Geschichte überlegt habe,stellt sich mir jemand in mein Gesichtsfeld. Ich schaue hoch und umarme lächelnd meine Mutter und meinen Vater. Sie haben beide Straßenklamotten und lächeln mich aufmunternd an.                                                                                  
"Also Ich habe ja erst morgen wieder Chemo und ich dachte wir könnten ja heute etwas unternehmen?" Meine Mutter strahlt mich an und nickt begeistert. "Wir haben uns etwas überlegt!" Ich schaue sie fragend an aber mein Vater sagt lachend, dass es eine Überraschung sei. Also folge ich ihnen aus dem Krankenhaus zu unserem Auto. 

Gespannt drücke ich die Nase an die Scheibe, aber ich habe keine Ahnung wo wir sind. Wir fahren seit etwas mehr als zwei Stunden auf einer Landstraße und es herrscht eine angenehme Atmosphäre. Im Radio läuft Musik, aber ich blende sie komplett aus. Ich habe beschlossen diesen Tag heute zu genießen, zu vergessen das ich krank bin. Ich will einfach ein ganz normales Mädchen sein, dass an einem Wochenende einen Ausflug mit ihren Eltern macht. 

Als wir schließlich auf einem großen Parkplatz halten, springe ich aus dem Auto und schaue mich um. Meine Mutter tritt lächelnd neben mich und nimmt meine Hand, mein Vater nimmt meine andere Hand und gemeinsam gehen auf einen kleinen Weg zu, der in einen dichten Wald führt.                                                                                                                                                                                      
Ich lausche den Vögeln und genieße den leichten Wind, der mein Gesicht streicht.  Und dann öffnet sich der Weg vor uns und wir landen auf einem kleinen Viereck mit Wasserhähnen. Meine Eltern ziehen sich Schuhe und Socken aus und ich tue es ihnen schulter zuckend nach.  

Erst als wir um eine Kurve gehen wird mir klar wo wir sind und ich kreische vor Freude auf. Strahlend falle ich meinen Eltern um den hals und hüpfe den Weg entlang voran. Ich höre meine Eltern lachen und weiß das das hier ihnen genauso viel bedeutet wie mir. 

Früher sind wir jedes Jahr zu Ferienbeginn in einen Barfußpark gegangen. Wir haben dort stunden verbracht obwohl der Weg nur für höchstens eine bis zwei stunden gedacht war. Wir konnten alle drei nicht genug bekommen von der schönen Landschaft und der Überwindung mit den Füßen in eiskaltes Wasser zu gehen.                                                                                            Ich drehe mich zu meinen Eltern um, die händchenhaltend hinter mir herlaufen. Ich warte auf sie und als sie zu mir aufgeschlossen haben, schließe ich für einen Moment die Augen und genieße das leichte Pieken der spitzen Steine unter meinen nackten Füßen."Früher mussten wir dich immer über diese Etappe tragen." Mein Vater lächelt leicht bei der Erinnerung.  Ich lache laut auf und gehe halb hüpfend den Weg entlang. Ich entspanne mich und genieße das Gefühl der Sonne auf meiner Haut. Meine Eltern fangen eine zwanglose Konversation an und ich werfe ab und zu einen Kommentar ein.                                                                                                            Schließlich kommen wir an meinem Lieblingsstück an.                                                                            
Der Abschnitt in dem man durch eine 15 Zentimeter hohe Schlammschicht läuft. Lachend renne ich darauf zu und tanze förmlich durch den Matsch. Ich genieße das Gefühl des Schlammes zwischen meinen Zehen und höre meine Eltern hinter mir lachen. 

Zu schnell sind wir einmal durch den Barfußpark und stehen wieder am Anfang. Ich setzte mich auf den Steinboden und lasse zu das meine Mutter mir mit dem eiskalten Wasser die Füße putzt. Als wir wieder in dem Auto sitzen entspanne ich mich. Durch die angenehme Wärme der Sonne die durch das Fenster scheint und das gleichmäßige Brummen des Motors schlafe ich langsam ein. 

Als ich wieder aufwache, liege ich in meinem Bett. Verwirrt schaue ich mich um und frage mich wie ich hier hingekommen bin.                                                                                                         Vermutlich hat mich mein Vater in mein Bett getragen, nachdem ich im Auto eingeschlafen war. Im Wohnzimmer ist niemand, genauso wenig wie im Badezimmer, also gehe ich auf den kleinen Balkon, der an das Wohnzimmer grenzt.                                                                                                      Und wirklich: Dort sitzen beide meiner Eltern und scheinen einen Kuchen zu essen.                    
"Hey." Sage ich und setze mich auf einen der freien Stühle.
"Na, gut geschlafen?" Mein Vater lächelt mich an und ich nicke. Ich mustere meine Eltern gründlich. Beide versuchen die Angst und Sorge die sie für mich empfinden zu verdrängen, aber ich kann sie doch deutlich sehen.
Kurz atme ich tief durch. "Und was macht ihr so den ganzen Tag wenn ich nicht da bin?" Ich versuche meine Stimme fröhlich klingen zu lassen. Meine Mutter lächelt mich sanft an und erwidert: "Es ist echt ungewohnt von der Arbeit nach Hause zu kommen und mir selber etwas kochen zu müssen. Es ist als wärst du wieder in der Grundschule und ich würde dir jeden Tag kochen, der einzige Unterschied ist, dass der kleine Quälgeist nicht anwesend ist." Ich versuche die tränen zurückzuhalten, die plötzlich und voller Macht in mir hochkeimen. "Das muss schrecklich sein." Meine Stimme bricht, aber in dem Moment schreitet mein Vater ein. "Willst du was zu trinken?" Ich nicke und er steht auf um mir etwas zu holen.
Ich atme tief ein und schiele zu meiner Mutter, sie hat das Gesicht zur Sonne gedreht und die Augen geschlossen. "Du weißt das ich dich liebe oder?" Und dann kann ich nicht mehr, ich fange an zu weinen und springe auf um mich auf meine Mutter zu stürzen.
Schweigend zieht sie mich auf meinen Schoss und wiegt mich sanft hin und her. "Jetzt fühle ich mich wieder wie in der Grundschule, wenn ich dir eine schlechte Note beichten musste, oder wenn ich von älteren Schülern dumm angemacht wurde" schniefe ich und spüre wie meine Mutter mir beruhigend über den Rücken streicht. "Manchmal ist es in Ordnung einfach gehalten zu werden, du musst nicht das ganze Gewicht der Welt auf deinen Schultern alleine tragen." Ich schaue sie an und kaue leicht auf meiner Unterlippe. "Mama, ich liebe dich auch." Sie lächelt mich an und küsst meine Stirn, dann drehe ich mich auf ihrem Schoss um und lehne mich an ihren Oberkörper.                                                                                 

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