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Mit hämmerndem Herzen sitze ich auf dem Boden und schaue aus dem Krankenhausfenster.
Ich versuche mit aller Macht nicht an die bevorstehende Chemotherapie zu denken, aber nichts kann sich gegen die Gedanken an die unglaublichen Schmerzen durchsetzen.
Ich warte voller Angst auf das Geräusch der sich öffnenden Tür und die Schwester die mich in den kahlen Raum führen wird und dann den Arzt holen gehen wird.

Als sich die Tür schließlich öffnet rühre ich mich nicht, nur meine Hände öffnen und schließen sich unkontrolliert, aber es ist nicht die Krankenschwester sondern Seth, der den Raum betreten hat.
Lautlos setzt er sich neben mich und nimmt wie selbstverständlich meine rechte Hand.
"Das ist das schlimmste, nicht wahr? Zu wissen was passiert, aber nichts dagegen tun können. Dieses Gefühl der Ohnmacht. Eigentlich ist es wie ein Verbrecher der auf seine Hinrichtung wartet."
Entsetzt schaue ich ihn an.
"Aufmunternder geht das auch nicht oder?" Er lacht leise und schaut mich mit blitzenden Augen an.
"Ich bin nicht gut in Menschen aufmuntern." Ich muss fast schon lächeln: "Merk ich."
Seth zieht eine Schnute, dann beugt er sich zu mir vor: "Ich wüsste eine Methode wie ich dich ablenken könnte." Mein ganzer Körper erstarrt. Jetzt rast mein Herz noch schneller, aber aus einem anderem Grund.
Das klopfen der Tür lässt mich zusammenzucken.

Und erneut sitze ich in dem Raum mit den kotzgelben Wänden, aber dieses mal bin ich nicht allein.
Und jetzt habe ich etwas worüber ich nachdenken kann.
Was meinte Seth damit er wüsste eine Methode mich abzulenken? Wieso kam er mir so nah? Und...
Seths Stimme reißt mich aus meinen Gedanken: "Ich hab eine Überraschung für dich." Ich schaue ihn überrascht an: "Wirklich?" Strahlend nickt er, aber bevor ich nachborhren kann kommt der Arzt in das Zimmer.
Er stellt sich vor die Liege und schaut erst mich und dann Seth an.
"Also ihr kennt mich ja beide schon." Ich packe Seths Hand fester und atme tief durch. Kurz erwidert er den Druck.
Als der Arzt mir die Nadel in den Arm rammt schaue ich in Seths grüne Augen und er erwidert meinen Blick fest.
Es ist als würde er mich alleine mit seinen Augen festhalten.

Seth führt mich zurück in mein Zimmer und stellt die Nierenschale neben sich auf das Bett, dann lehnt er sich an die Wand und zieht mich an sich.
Erneut starre ich auf den schwarzen Fleck an der Wand und erneut erinnert er mich an meinen Körper und den Krebs der mich zerstören wird.
Seths Stimme reißt mich aus meinen Gedanken.
"Weißt du eigentlich den Namen des Arztes?" Ich schaue ihn verwirrt an. "Der Arzt wo uns die Infusionen gibt?" Er nickt und ich schüttele den Kopf, aus Angst den Mund auszumachen.
Seth schaut mich gedankenverloren an. "Jedes mal wenn er mir seinen Namen gesagt hat, hatte ich viel zu viel schiss um ihn zuzuhören. Und gerade eben hat er uns ja seinen Namen nicht mehr gesagt."
Bevor ich es verhindern kann stöhne ich schmerzerfüllt auf, als die Schmerzen beginnen.
Seths Hand streicht sanft über meinen Rücken, aber ich nehme es nur verschwommen wahr.
Mein Körper besteht aus Feuer, Feuer das alles verbrennt.
Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber der Schmerz erscheint mir schlimmer zu sein, als bei meinem ersten mal.
Ich übergebe mich in die Nierenschale, die Seth mir hinhebt und schließe die Augen, ich will nicht sehen was ich erbreche.
Vermutlich Blut oder Magensäure oder beides.
Als ich die Augen öffnet wischt Seth mir sanft den Mund ab.
Vielleicht hat er den angewiederten Blick in meinem Augen gesehen, vielleicht sagt er es auch einfach so.
"Das nächste mal besorg ich dir ein Vampirgebiss. Dann laufen wir zusammen durch das Krankenhaus und erschrecken kleine Kinder."
Ich weiß nicht wieso aber die Vorstellung bringt mich zum lächeln. Vielleicht einfach weil sie so unglaublich absurd ist.
Ich könnte vor Schmerzen keine zwei Meter weit gehen und würde vermutlich den gesamten Flur vollspucken.
"Errinnerst du dich an meine Überraschung?" Ich habe nicht einmal die Kraft zu nicken, und halte meinen Kopf einfach über der Nierenschale gebeugt.
"Du musst nur noch die zwei Wochen Chemotherapie durchhalten, danach kommt meine Überraschung."
Ich höre die Begeisterung in seiner Stimme, aber im Moment ist mir das alles egal.
Zwei Wochen.
Das ist viel zu viel.
Und dann kann ich nicht mehr, ich fange an zu weinen.
Die Tränen laufen in die Nierenschale und dann spüre ich Seths Arme um mich.
Er zieht mich an sich ohne darauf zu achten, dass ich jederzeit erneut spucken könnte und er dann nicht rechtzeitig reagieren könnte.
Sanft wiegt er mich hin und er und murmelt beruhigende Worte, ich weiß nicht einmal genau warum ich weine, ob es wegen der Schmerzen oder der Angst vor den nächsten zwei Wochen ist.

Als ich erneut brechen muss, bin ich zu langsam und Seths Krankenhauskittel bekommt die Ladung ab.
Seth hebt mein Kinn an und lächelt mich sanft und gleichzeitig traurig an. Allein mit seinen Augen versichert er mir, das dass nicht schlimm ist und ich akzeptiere es.
Schweigend weine ich weiter und diesesmal aus reinen Ekel vor mir selbst.

Als das Feuer das durch meinen Körper wütet langsam erstarrt, entspanne ich mich ein wenig in Seths Armen. Er bemerkt es und hält mich einfach fest.
Irgendwann bringe ich ein wenig Abstand zwischen uns und schaue ihm in die Augen.
"Ich es..." Doch Seth steht auf und zieht mich mit sich, dann geht er aus dem Zimmer und lächelt mich nocheinmal kurz an.

Ein junger Pfleger und eine Schwester bringen uns zu den Duschen und genau wie gestern ist es mir extrem peinlich, dass ich mich nicht einmal aus eigener Kraft duschen kann.
Auf dem Rückweg in mein Zimmer knicke ich ein und nur die Hand der Krankenschwester bewahrt mich vor einem Sturz. Ohne auf meinen schwachen Protest zu achten, hebt sie mich hoch und trägt mich in mein Zimmer.

Seth sitzt bereits auf meinem Bett und breitet die Arme aus.
Ich werfe mich in seine Arme und er legt sich hin. Als er uns zudeckt schmiege ich mich an seine Brust und schließe erschöpft die Augen.
Ich bin ihm dankbar, dass er nichts sagt und langsam schalafe ich mit seinem gleichmäßigen Herzschlag im Ohr ein.

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