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Als Seths Eltern gegangen sind, beginnen meine Eltern mir von ihren gemeinsamen Urlaub zu erzählen. Aber ich kann mich nicht richtig auf ihre Worte konzentrieren.
Eine Schwester kam vorbei und sagte das Doktor Mühr gleich kommen würde um unsere Fragen zu beantworten.
Und jetzt warte ich darauf zu hören das ich es geschafft habe. Ich will hören das ich nach Hause gehen kann und meine jetzt 10-12 Monate richtig genießen kann. Ich will gehen und nie wieder zurück kommen müssen.
Ich merke wie Seth Interesse zeigt und meine Eltern von meiner Abwesenheit ablenkt. Und wie so oft frage ich mich wie ich jemanden wie ihn verdient habe.

„Tut mir Leid das ihr so lange warten musstet." Innerhalb von Sekunden hat Doktor Mühr meine gesamte Aufmerksamkeit.
Unbewusst krallt sich meine freie Hand fest in Seths Oberschenkel.
„Hallo." Seth und meine Eltern sagen es im Chor, während ich keinen Ton rausbekomme. Ich habe einfach nur meinen Blick starr auf ihn gerichtet und warte.
„Hallo. Entschuldigen Sie das ich Sie so lange habe warten lassen." Meine Eltern bringen ein schwaches Lächeln zu Stande.
Warum wiederholt er sich?
Doktor Mühr räuspert sich kurz. „Ich würde gerne alleine mit Mo sprechen." Meine Augen weiten sich. Was soll das bedeuten?
Meine Eltern Lächeln mich zaghaft an und Seth drückt noch einmal aufmunternd meine Hand, dann gehen sie schweigend aus dem Raum.
Einen kurzen Moment lang herrscht Stille.
Sein Gesicht gibt mir nichts preis und ich frage mich ob Doktor Mühr meinen lauten Herzschlag hören kann.
„Also Mo. Wir haben jetzt eine Knochenmarktransplantation durchgeführt und es sah alles so aus als würde es erfolgreich verlaufen." Seine Stimme ist vollkommen ruhig und sein Gesicht zeigt keinerlei Emotionen. Aber mir ist das eine Wort sofort aufgefallen und ich ziehe die Knie an und Schlinge die Arme darum.
„Sah?" Der Doktor weicht meinem Blick nicht aus.
„Der Tag an dem wir dich eigentlich entlassen wollten und du dann plötzlich ohnmächtig geworden bist. Erinnerst du dich?" Ich nicke ruhig, was für eine dumme Frage. Natürlich erinnere ich mich.
„Tja bis dahin sah es so aus als hätte dein neues Knochenmark das getan wofür es da sein sollte." Ich nicke um ihm zu signalisieren, dass ich ihm zuhöre. „Es hat Antikörper entwickelt und diese haben sich angesiedelt."
Warum redet er um den heißen Brei herum und sagt mir nicht einfach was geschehen ist?
„Durch die künstliche Ernährung konnten wir verhindern das du uns verhungert bist. Diese wirst du weiterhin zu dir nehmen müssen. Dein Körper verträgt keine feste Nahrung und sämtliche Suppen die du zu dir nehmen könntest, würden nicht die nötigen Nährstoffe enthalten die dein Körper jetzt braucht." Ich schaue ihn nur schweigend an, warte darauf das er mir ins Gesicht knallt was schlimmes geschehen ist. Er atmet tief durch.
„Durch all die Medikamente die wir dir während der letzten Wochen gegeben haben ist dein Körper naja immun geworden. Was auch immer jetzt passiert wir haben keinerlei Möglichkeit dir zu helfen." Ich höre was er sagt aber im Moment macht es nicht wirklich Sinn für mich.
„Wie lange?" Meine stimme ist rau.
„Du hast dir fast acht Monate heraus kämpfen können." Ich fange an zu strahlen, das ich mehr als ich mir erhofft hatte. Tränen laufen mir über das Gesicht und mein Sichtsfeld verschwimmt. Ich sehe nicht das Doktor Mühr gequält zusammenzuckt. „Mo du verstehst nicht." Er wartet bis ich mich wieder einigermaßen beruhigt habe.
„Wenn du einen Anfall bekommst, irgendwas können wir nichts mehr tun. Schmerzmittel wirken nicht mehr. Wir können dich wiederbeleben aber das ist auch alles. Wenn du irgendeinen Anfall bekommst und hier eingeliefert wirst, müssen wir dir beim Sterben zusehen."
Mir bleibt die Luft weg. „Mo weiteratmen!" Ich hole Luft und schließe die Augen. „Was genau meinen Sie?" Er seufzt leise. „Deine Augen werden schlechter, Lähmungen, Sprachstörungen, Panikattacken die zu einer Ohnmacht führen aus der du nicht mehr aufwachst. Gegen all das hätten wir Medikamente aber sie wirken nicht mehr." Ich atme tief durch. „Das heißt trotz allem kann ich jeden Tag sterben?" „Ja." Ich nicke langsam. „Danke das sie mir das erzählt haben." Doktor Mühr drückt meine Schulter und verlässt das Zimmer um mit Seth und meinen Eltern zu sprechen.
Es hat sich also nicht wirklich etwas verbessert.
Ich habe etwas Zeit bekommen, aber bei dem kleinsten aufstand meines Körper wird es vorbei sein.
Ich seufze leise und fahre mir über die Glatze.
Was wohl meine Eltern denken?
Fragen sie sich ob all das umsonst war. Frage ich mich das?
Seufzend stehe ich auf und lege ein Ohr an die Türe in der Hoffnung etwas zu hören.
Leise öffne ich die Türe und sehe meine Eltern die sich umarmen und Seth der daneben steht und leicht verloren aussieht.
Während ich mir im Kopf selber Mut zuspreche gehe ich auf meine Eltern zu und Schlinge die Arme um sie.
„Ich liebe euch." Meine Mutter packt mich fester und ich merke wie sie sich zusammenreißt.
„Wir dich auch." Die stimme meines Vaters ist ernst und liebevoll. Ich löse mich sanft von Ihnen.
„Sollen wir nachher essen gehen?" Ich zögere kurz, sehe aber die Hoffnung in den Augen meiner Eltern und nicke. Meine Mutter lächelt und schaut Seth an. „Wir holen dich nachher bei ihm ab?" Ich nicke und drücke sie noch kurz.
„Hei." Ich drücke sanft Seths arm. Er schaut hoch und umarmt mich fest. Ich merke das er das gerade braucht und halte ihn fest.
„Gehen wir zu dir?"
Er nickt in meinen Hals und gemeinsam machen wir uns auf den Weg.

Er setzt sich auf sein Bett und er zieht mich auf seinen Schoß.
„Es war nicht umsonst Seth!" Er antwortet mir nicht und ich beginne mit dem Daumen Kreise auf seinen Handrücken zu zeichnen.
„Ich weiß nicht wie ich damit umgehen soll." Ich lächele leicht. „Gar nicht. Du denkst einfach das mir noch acht Monate bleiben. Ich werde mich anstrengen. Ich lasse dich noch nicht alleine." Er Flucht leise. „Aber du kannst mir nichts garantieren!" Ich nehme sein Gesicht in meine Hände und schaue ihm ernst in die Augen. „Das kann man nie Seth. Und im Gegensatz zu allen anderen Menschen hast du die Chance dich zu verabschieden."
Dann nehme ich ihn fest in die Arme und halte ihn fest. Ich weiß das jetzt gerade ich den halt bin der er selbst so oft für mich ist.
Er löst sich von mir und legt sich auf das Bett. Ich lege mich neben ihn und drehe mich auf die Seite um ihn anschauen zu können.
Er hat die Augen geöffnet und schaut nachdenklich an die Decke. Das gibt mir Gelegenheit ihn anzuschauen.
Seine Augenringe sind verschwunden und auf seinem Kopf sind leichte Stoppeln. Ich muss Lächeln und frage mich traurig ob ich seine Haare jemals sehen werde. Seths Lippen sind weder trocken noch rissig und ich erkenne ihn  ihm den Teenager der er war bevor er durch die Chemo so zerstört wurde.
„Seth?" Ich unterbreche die Stille zwischen uns und verbinde unsere Hände. Er gibt ein leises Brummen von sich und ich fahre zögernd fort.
„Hattest du vor mir schon eine Freundin?" Mir ist selbst nicht klar warum ich das jetzt wissen will, aber es ist mir plötzlich unglaublich wichtig. „Nein." Ich muss Lächeln und schiebe die Trauer fort. Meine Finger zeichnen Kreise auf seinen Handrücken und ich kann plötzlich nicht leugnen das ich seine körperliche Aufmerksamkeit will, aber nicht den Mut habe es ihm zu zeigen. Ich verfluche mich in Gedanken selbst und schaue leicht seufzend ebenfalls an die Decke.
Er dreht sich zu mir.
„Wie fühlst du dich?" Ich überlege einen Moment und öffne den Mund und ihm zu antworten aber ich weiß nicht wie ich mich ausrücken soll und schließe ihn wieder.
Einen kurzen Moment schweigen wir beide, während ich Seths Blick auf mir spüre.
„Ich spüre nichts. Keine Enttäuschung, keine Wut, nichts. Es ist als hätte ich schon so viele Rückschläge erlitten das ich immun dagegen bin. Aber vielleicht habe ich auch nur noch nicht ganz verstanden was genau das bedeutet und wenn ich es verstehe dann trifft es mich mit voller Wucht."
Seth legt seine freie Hand auf meine Wange und ich schmiege mich an sie. Die Hand ist wunderbar warm. Er Streicht leicht mit dem Daumen über meine Wange. Ich schaue immer noch zur Decke während mein Herz immer schneller schlägt. Selbst bei solch kleinen Berührungen, merke ich wie mein ganzer Körper durchdreht. Ich muss lächeln und schaue ihn an. Seine grünen Augen treffen auf meine und ich löse die Hand um sie auf seinen Kopf zu legen und ihn zu mir zu ziehen. Er lächelt leicht und ich spüre seinen heißen Atem auf meinen Lippen, dann bewegen wir ganz sanft unsere Lippen gegeneinander. Ich merke wie in meinem Magen ein Feuerwerk explodiert und muss in den Kuss lächeln. Als wir uns lösen streicht er mir sanft über die Wange und lehnt sich leicht über mich. Mein Herz schlägt viel zu laut und viel zu schnell in meiner Brust und ich verschwinde in seinen Augen. Er erwidert meinen Blick fest. "Du hast Recht. Ich habe Zeit mich zu verabschieden, dass ist etwas was ich sehr schätzen sollte." Ich atme tief aus: "Kann ich dich noch um einen Gefallen bitten?" Er nickt langsam. "Ich will das du ab jetzt jeden deiner Geburtstage feierst. Und zwar richtig. Denke immer daran es könnte dein letzter sein." Zu meiner Überraschung lächelt er leicht. "Versprochen." Ich erwidere das Lächeln sanft und erneut beugt er sich zu mir und küsst mich sanft.

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