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Alles um mich herum verschwindet hinter einem Nebel aus Verwirrung und Unglauben.
Was soll das heißen es könnten meine Chancen drastisch erhöhen?
Ich merke nicht, dass meine gesamte Familie mich anstarrt, bemerke nicht wie mein Handy schwarz wird, erst als Seth mich sanft anstupst, hebe ich langsam den Kopf. Es sind zu viele Blicke die mich anstarren, zu viele unausgesprochene Fragen. Hastig springe ich auf, packe mein Handy und Stürme aus dem Raum.
Erleichtert endlich alleine zu sein, lehne ich mich an das Auto meiner Eltern und presse meine Fingerspitzen an die Schläfe.
Doktor Mührs Worte schwirren in meinem Kopf herum.
Er hat gesagt, er könnte meine Lebenszeit verlängern, wenn mein Körper das Knochenmark annimmt. Aber sie haben schon einmal versucht eine Knochenmarktransplantation an mir durchzuführen und ich erinnere mich noch ganz genau an diese grässlichen Schmerzen.
Aber soll ich diese Chance so einfach wegwerfen, weil ich ein feiges Stück Dreck bin?
Meine Hände ballen sich fest um mein Handy und ich starre angestrengt in die Luft.
Was jetzt?
Langsam löse ich meine Hände und wähle Doktor Mührs Nummer.
„Hallo, hier ist Mo." „Hallo Mo." Ich schlucke laut. „Es tut mir Leid das ich einfach aufgelegt habe. Ich war ziemlich geschockt." „Das ist in Ordnung, mach dir keinen Kopf. Du solltest auch gut über diese Entscheidung nachdenken. Besprechung dich mit deiner Familie oder Angehörigen." Ich seufze leise: „In Ordnung. Ich melde mich dann?" „Ja. Ich freue mich von dir zu hören Mo." Ich nicke und stecke das Handy in die Hosentasche, während ich mich noch einen Moment lang sammele, mache ich mich bereits auf den Weg zurück in das Zimmer wo verwunderte Blicke und Erklärungen auf mich warten.
Die leisen Gespräche verstummen, als ich den Raum betrete.
Ich atme tief durch: „Mama, können wir gehen?" Ich bin meinen Eltern so dankbar, dass sie keine Fragen stellen sondern meine Entscheidung einfach so akzeptieren.
Als wir uns alle voneinander verabschieden, umarme ich Erik fest und er flüstert mir leise ins Ohr. „Denk an dein Versprechen Morola. Und vergiss deinen kleinen idiotischen Cousin nicht." Ich muss lachen, während ich gleichzeitig die Tränen verdränge. „Versprochen Eri." Er lächelt mich ernst an und lässt mich dann los.

Schweigend sitzen Mama, Papa Seth und ich an dem Esstisch in unserem Haus. Ich habe die Hände gefaltet auf den Tisch gelegt und den Blick starr darauf gerichtet. Ich weiß nicht wie ich dieses Gespräch beginnen soll. Ich schließe die Augen und reibe mir mit den Handballen darüber, als ich plötzlich Seht's Hand auf meinem Knie spüre. Die Wärmequelle beruhigt mich sanft und ich lege meine Hand auf seine, dann hebe ich den Kopf.
„Doktor Mühr hat mich angerufen." Ich schlucke einmal kurz und sehe wie meine Mutter meinem Vater einen ängstlichen Blick zuwirft. Haben die beiden echt noch Angst das es noch schlimmer kommen kann?
„Er sagte sie hätten einen geeigneten Knochenmarkspender für mich gefunden." Es herrscht Stille, Seht's Hand krallt sich kurz in meine Haut. Ich hole tief Luft. „Vorausgesetzt der Eingriff wäre erfolgreich, hätte ich mehr Zeit."
Bevor ich noch irgendetwas unsicheres stammeln kann, springt mein Vater plötzlich auf und stürmt aus dem Zimmer, bevor ich regieren kann ist meine Mutter bereits hinter ihm her. Ich höre sie diskutieren, kann aber nichts genaues verstehen, bis mein Vater plötzlich schreit. Und diese Worte brennen sich in mein Gedächtnis ein.
„Was soll das denn? Diese ganze Hoffnungsmacherei? Die ganze Zeit wird dir gesagt Mo stirbt und dann wenn du sagst ok ich lass es zu ich kann nichts dagegen tun, dann kommt wieder irgendein Ausweg. Aber nein keine Lösung, nur eine längere Herauszögerung des ganzen."
Eine Sekunde herrscht Stille, dann scheint auch meine Mutter die Beherrschung zu verlieren. „Was willst du damit sagen? Wir sollten um jede Minute die wir mit Mo verbringen können dankbar sein! Es ihr doch egal wie oft deine Hoffnung zerstört wird, das einzige was zählt ist das Mo glücklich ist!"
Sie reden weiter, jetzt aber leiser und ich senke den Blick damit Seth meine Tränen nicht sieht, aber zu spät.
Er hebt mein Kinn sanft an und wischt mir die Tränen aus den Augen.
„Das sind großartige Nachrichten." Ich schaue ihn an und sage leise: „Ich habe Angst. Es hat das letze mal so weh getan. Und all dieser Schmerz war umsonst, was wenn es wieder nicht anschlägt? Was wenn ich umsonst solche Schmerzen erleide?"
Ich schäme mich so sehr für diese Worte. Doch Seth schaut mich ernst an und verschränkt unsere Hänse miteinander. „Die Schmerzen sind kurzzeitig, alles andere hält länger." „Was meinst du damit?" Er lächelt mich ernst an. „Im Endeffekt merkt man sich nur die schönen Sachen." Ich schlucke: „Aber was bringt mir das denn? Währenddessen will ich einfach nur sterben." „Was für eine Ironie." Ein bitteres Lächeln erscheint auf seinem Gesicht. „Du musst dir währenddessen einfach immer wieder sagen, zu welchem Zweck du diese Schmerzen gerade erleidest." Er streichelt mit dem Daumen über meinen Handrücken und ich bin einen kurzen Moment lang einfach nur ein verliebtes Mädchen, dass sich wünscht den ganzen Tag nichts anderes zu tun als ihrem Schwarm in die Augen zu schauen.
„Ich schäme mich so sehr, dass ich überhaupt darüber nachdenken muss." Seth drückt aufmunternd meine Hand. „Das ist vollkommen in Ordnung. Wie wäre es wenn wir morgen zu Doktor Mühr gehen und ihn nach Einzelheiten fragen?" Ich nicke und zucke zusammen als meine Eltern im Chor sagen: „Wir kommen mit." Einen Moment lang schaue ich Seth noch in die Augen und lasse zu das er meinen Schmerz, meine Unsicherheit und meine Panik sieht, dann versuche ich mich an einem zaghaften Lächeln: „Danke." Meine Eltern erwidern nichts sondern Lächeln mich nur genauso gezwungen an, dann verlassen sie schweigend das Haus. Ich zucke zusammen und packe Seth's Hand fester. Er seufz leise und zieht mich hoch. Ich stehe auf und führe ihn in mein Zimmer. Ich kauer mich auf meinem Bett zusammen und presse mein Kissen an die Brust. Seth setzt sich neben mich und streckt sich genüsslich auf meinem Bett aus. Ich muss lächeln, als ich sehe wie entspannt er ist. "Weißt du was du viel zu oft vergisst Mo?" Ich schaue ihn fragend an und lasse zu, dass er mir das Kissen aus der Hand nimmt uns es sich unter den Kopf legt, dann schließt er erneut die Augen und seufzt genüsslich auf. "Du vergisst das auch du nur ein normaler Teenager sein kannst, wenn du das willst." Ein Lächeln stiehlt sich auf mein Gesicht: "Kann ich das?" Seth nickt ohne die Augen zu öffnen. Ich lege grinsend eine Hand auf seine Brust. "Ich kann mir darunter nichts mehr vorstellen. Vielleicht kannst du mir helfen?" Seth's Mundwinkel zuckt, aber er zuckt nur die Schultern. "Nope. Das musst du alleine lernen Kleine." Ich lache und lasse meine Hand über seine Brust bis zu seinem Gesicht wandern, bis sie sanft auf seiner Wange liegenbleibt. Er dreht leicht den Kopf und schmiegt seinen Kopf in meine Hand. Schweigend lege ich mich neben ihn auf das Bett. Ich kann nicht widerstehen ihm die Hand auf den Oberschenkel zu legen, dann drehe ich mich auf die Seite und beobachte ihn. Er hat die Augen immer noch entspannt geschlossen und ich merke das ich ihn jetzt nicht stören will, also kuschle ich mich leicht an ihn und schließe ebenfalls die Augen.
Während ich Seth's Atemzügen lausche, gehen meine Gedanken zurück zu Doktor Mühr.

Vor wenigen Wochen war meine Diagnose eindeutig:
Noch ungefähr sechs Monate, nichts kann mehr helfen.
Und jetzt sollte plötzlich ein Schlufploch aufgetaucht sein, in dem ich mich verkriechen kann, bis auch dieses Loch verseucht ist.
Das wäre mit unglaublichen Schmerzen verbunden, aber Seth hatte recht ich sollte mich fragen wofür ich das tun will und ob es mir das wert ist.
Und erneut ich die laute Stimme meines Vaters:

Was soll das denn? Döse ganze Hoffnungsmacherei? Die ganze Zeit wird dir gesagt Mo stirbt und dann wenn du sagst ok ich lass es zu ich kann nichts dagegen tun, dann kommt wieder irgendein Ausweg. Aber nein keine Lösung, nur eine längere Herauszögerung des ganzen."

Hat er mich wirklich schon aufgegeben? Aber habe ich wirklich ein Recht so zu denken, wenn ich mich selbst doch schon lange aufgegeben habe?
Und habe ich nicht eigentlich genug Gründe um diese Schmerzen auf mich zu nehmen? Sind nicht all diese Schmerzen es wert wenn ich dadurch mehr Zeit bekomme?
Bin ich wirklich so feige, wegen ein paar Schmerzen alle zu enttäuschen die mehr Zeit mit mir haben wollen?

Vorsichtig drehe ich mich auf die Seite und beobachte Seths entspanntes Gesicht. Er ist eingeschlafen und hat sich leicht auf die Seite gerollt, die eine Hand umklammert die Decke und die andere ist ausgestreckt, als würde sie mich einladen sie zu nehmen.
Eine einzelne Träne läuft mir über die Wange. Es tut so weh zu wissen, dass ich bald alleine bin.
Ich streiche ihn über die Wange und fahre seine Lippen nach.

Er soll aufwachen. Jetzt!

Natürlich rührt er sich nicht, also rüttele ich ihn wach. Er grummelt irgendetwas unverständliches und öffnet ein Auge, dann schließt er es wieder und dreht sich auf die andere Seite. Ich schaue ihn halb empört, halb belustigt an und schlinge die Arme um seinen Körper. Er verschränkt unsere Finger und rührt sich dann nicht mehr. Ich seufze enttäuscht auf und überlege was ich tun soll.
Mir ist langweilig und ich will nicht länger über meine Krankheit nachdenken müssen. Zu allem Überfluss ist mein Handy noch in meiner Jackentasche und der einzige Gesprächspartner der sich momentan noch hier befindet, ist am schlafen.

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