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"Guten Morgen." Ich schaue Seth an und muss lächeln, als er meinen Blick verwirrt erwidert. "Du bist gestern eingeschlafen und da du so süß warst, habe ich beschlossen dich schlafen zu lassen." Ein grinsen stiehlt sich auf sein Gesicht: "Ach wirst du jetzt auch so ein Creepy, der es liebt andere Menschen beim schlafen zu beobachten?" Ich lache und küsse ihn, aber er zieht mich enger an sich und vertieft den Kuss. Als wir uns lösen frage ich grinsend: "Womit hat der kleine Creepy denn das verdient?" Er grinst und richtet sich langsam auf: "Das war eine Kostprobe für das was dich nachher erwartet, wenn wir das Gespräch mit Mühr beendet haben." Bei seinem dreckigen Grinsen laufe ich rot an und senke den Blick. Lachend schlendert er aus dem Zimmer und lässt mich peinlich berührt, aber mit klopfendem Herzen zurück.

Meine Eltern sitzen mit Seth am Esstisch und frühstücken. Sie lächeln mich an, während Seth mir verschwörerisch zuzwinkert. "Bereit?" Meine Mutter schiebt mir einen Teller mit einer geschälten Orange hin und ich beginne zu essen, während ich kurz nicke. Wie so oft in letzter Zeit überlasse ich anderen das Reden und beschränke mich auf das stumme zuhören. Wie selbstverständlich meine Eltern sich mit Seth unterhalten, wie selbstverständlich es bereits ist das ein Junge hier schläft und mit uns frühstückt. Ich muss schmunzeln. Kann es sein, dass der Krebs nicht nur schlechte Seite hat? Hätte ich Seth überhaupt kennengelernt, wenn ich nicht wegen des Krebses ins Krankenhaus musste?

Schweigend sitzen wir alle auf den harten und unbequemen Plastikstühlen und warten auf Doktor Mühr. Ich bin nervös, meine Hände schwitzen und ich will einfach nur im Erdboden verschwinden. All den Mut den ich mir selbst zugesprochen habe, hat sich in dem Moment als ich das Krankenhaus betreten habe in Luft aufgelöst. Ich hasse diese Warterei bei Ärzten, habe sie schon immer gehasst. Ich sehe, dass meine Mutter nervös mit den Finger auf den Stuhl trommelt und mein Vater geistesabwesend in die Luft start. Seth scheint der einzige zu sen, der fast schon entspannt auf seinem Stuhl sitzt, als er meinen Blick bemerkt legt er mir grinsend einen Arm um die Schultern und drückt mich sanft an sich. Wie kann man nur so perfekt sein?
„Das wird Kleine." Ich habe keine Zeit zu antworten, da in diesem Moment Mühr erscheint und uns bittet ihm zu folgen.

Und wieder sitzen wir auf unbequemen Stühlen. Uns gegenüber Doktor Mühr. Ohne große Worte kommt er gleich zum Thema, was mir lieber ist. "Als wie bereits gesagt, hätten wir einen geeigneten Stammzellenspender für dich gefunden. Wie du sicherlich weißt, haben wir so etwas schon einmal bei dir versucht, damals hat dein Körper die neuen Zellen aber komplett abgelehnt weshalb wir es abgebrochen haben, bevor etwas schlimmeres passieren konnte." Ich nicke verkrampft. "Ich erkläre dir noch einmal genau, was wir im Falle deiner Zustimmung genau tun werden." Ich nicke noch einmal und lege die geballten Fäuste vor mir auf den Tisch. "Als aller erstes müssen wir dein Knochenmark komplett zerstören, da es im Moment verseucht ist und so auch das neue Knochenmark nichts ändern würde. Dies müsste durch Chemotherapie geschehen. Die Auswirkungen, der Chemotherapie kennst du ja bereits." Ich lache bitter auf. "Dieser Prozess heißt Konditionierungsphase. Das würde ungefähr sieben bis vierzehn Tage in Anspruch nehmen. Direkt daran anschließend würden wir dir die neuen Stammzellen transplantieren. Da du in dieser Zeit sowie zwei, drei Wochen danach keinerlei Abwehrkräfte haben wirst, wirst du in einem sogenannten keimfreiem Einzelzimmer sein,wo dich nur wenige Personen besuchen dürfen, die strikte Hygienevorschiften einhalten müssen." Ich schaue auf den Tisch und versuche mir all das zu merken. Ich weigere mich jemanden anzuschauen, ich kann keine Blicke erwidern. Nicht jetzt. "Abgesehen von den Symptomen die du während der Chemotherapie erleiden wirst, ist auch eine solche Knochenmarktransplantation nicht ohne Risiken verbunden. Das schlimmste was passieren könnte wäre eine Unverträglichkeitsreaktion der Stammzellen gegen deinen Körper. In diesem Fall könnten verschiedene Symptome auftreten. Ein beispiel ist Atrophie, dass bedeutet nichts anderes als ein starker Gewebeschwund. Daraus könnten sich bald Sprachstörungen, Blindheit, Exrtemitätenverkleinerungen oder Gehstörungen entwickeln." Es herrscht Stille und ich hebe den Kopf: "Das war noch lange nicht alles habe ich Recht?" Doktor Mühr seufzt und nickt. "Na dann worauf warten sie noch?" Ich senke den Blick wieder auf den Tisch und warte. "Das was ich dir jetzt erzähle kann nur passieren, wenn dein Körper Unverträglichkeitsreaktionen zeigt verstanden?" Ich nicke und spüre mein hämmerndes Herz. "Gut das schlimmste was passieren kann ist, eine sogenannte Kachoxie. Bei einer Kachoxie findet ein starker Gewichtsverlust statt, dieser wird durch einen vollständigen Abbau der Speicherfettdepots ausgelöst. Es wird ebenso auch die Skelettmuskulatur abgebaut, ebenso rede ich hier von einem Verlust von über 80% des gesamten Körpergewichts. Das kann tödlich enden." Daraufhin herrscht Stile. Mir ist schlecht und ich lege meine flachen Hände auf die Tischplatte. Ich weiß nicht woher ich die Kraft nehme, aber ich reiße mich zusammen und stelle noch eine Frage. "Und was ist wenn mein Körper keine Unverträglichkeitsreaktionen zeigt?" Doktor Mühr lächelt gequält. "Dann hättest du vergleichsweise leichte Anzeichen. Fieber, Durchfall, Magen-Darm-Beschwerden oder Erbrechen." Ich lache, ich weiß nicht warum aber ich lache einfach los. Und das war zu viel für meine Mutter, sie steht auf und geht aus dem Zimmer und ich habe keine Kraft aufzustehen und ihr hinterherzugehen. Mein Vater folgt ihr aus dem Zimmer und ich senke beschämt den Kopf. Doch Seth ergreift das Wort. "Wie hoch ist die Chance, dass eine Kachoxie eintritt?" Doktor Mühr hält seinem Blick stand. "Das kann ich nicht sagen, das entwickelt sich während der Operation und in den Wochen danach. Vielleicht haben wir Glkück, vielleicht auch nicht." Das ist jetzt auch zu viel für Seth. Wütend springt er auf. "Was soll das den jetzt heißen? Wir sollen den Eingriff jetzt also durchführen, ohne zu wissen ob sie ihn überleben wird?" Doktor Mühr schaut ihn ruhig an und nickt. Seth's Blick schießt durch den Raum: "Ich muss hier raus." Damit verlässt mich auch meine letzte Stütze. Aber ich weiß das ich hier noch nicht fertig bin, sie alle haben so viel für mich getan, jetzt muss ich das hier alleine durchstehen. "Wenn der Eingriff erfolgreich ist, wie viel Zeit habe ich dann?" Merkwürdig, dass noch niemand diese entscheidende Frage gestellt hat. Merkwürdig, dass ich schon davon ausgehe, das sich mein Leben nur verlängert und nicht gerettet wird. "Vielleicht weitere fünf Monate. Das wäre der höchste Erfolg den ich erzielen kann. Es tut mir Leid." Ich nicke, eine seltsame Ruhe hat mich erfasst. "Danke." Ich stehe auf und mit der Hand auf der Türklinke drehe ich mich noch einmal um. "Wie lange habe ich Zeit mich zu entschieden?" Ich sehe in seien Augen, dass auch das noch eine schlechte Nachricht wird. "Je länger du wartest, desto schlechter werden deine Chancen auf Erfolg." Ich nicke und verlasse schweigend den Raum. Die Leere in mir, verhindert das ich in Tränen ausbreche, ich muss nachdenken, muss einen kühlen Kopf bewahren.
Schweigend gehe ich den Gang entlang, schaue meine Eltern traurig an, die Arm in Arm nebeneinander auf Stühlen sitzen und verlasse das kalte abweisende Gebäude.

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