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Stille.
Geruch nach Desinfektionsmittel.
Fünf Personen jeder in seiner eigenen Welt.
Mo am weitesten von uns allem entfernt in dem Krankenhausbett. Blass und reglos. Es tut weh sie anzusehen und gleichzeitig kann ich mich nicht sattsehen.
Ihre Eltern, händchenhaltend stehen sie Seite an Seite neben ihrer Tochter. Ihre Mutter weint, ihr Vater hat ein regloses Gesicht. Der Arzt fühlt sich sichtlich unwohl, er steht bereit neben dem Kopfende des Bettes. Und ich. Ich sitze an Mos anderer Seite halte ihre blasse, kalte Hand und bin nicht imstande etwas zu fühlen und zu denken. Allein ihr Name füllt meinen Kopf, ihr Lächeln, ihre unendliche Traurigkeit, ihr Mut und ihr Kampfgeist. Das alles im Angesicht des Todes nutzlos, sinnlos.
Ein stahlband windet sich um mein Herz, droht mich zu ersticken.

Die leisen Worte des Arztes dringen zu mir durch.
"Sind sie sich sicher das sie hier sein wollen?" Mos Vater nickt und das reicht dem Arzt. Darüber bin ich froh, meine Stimme gehorcht mir nicht. Meine kehle ist trocken und kratzig, ein dicker Klos droht mich zu ersticken. Er dreht sich zu dem Maschinen um und hebt die Hand.
Mein Herz rast, mein rechtes Auge zuckt, ich packe Mos Hand fester. Ich will schreien, aber kein Laut entkommt meiner Kehle.
"Vergib mir liebes." Ich zucke zusammen Mos Mutter beugt sich vor und drückt ihrer Tochter einen Kuss auf die Stirn. Ihr Vater nimmt seine Frau in die Arme. Und dann ertönt es das lang gezogene piepen, wenn ein Herzschlag verstummt.
Für einen irrsinigen Moment muss ich an eine Szene aus einem Film denken.

Aber das hier ist kein Film.

Das hier ist die Realität.

Der schrille durchdringend Ton zerreißt die Stille. Der alarm der normalerweise da ist um Ärzte oder irgendjemanden zu alarmieren. Jemanden zu sagen das Hilfe benötigt wird. Aber hier ist jede Hilfe zu spät. Hier wurde bewusst beschlossen ein Leben zu beenden.

Mos Hand in meiner verändert sich nicht, als das letzte bisschen Leben was noch in diesem Körper übrig war weicht, weicht und Platz macht, Platz macht für die endlose kälte des Todes.
Ihr Gesicht unverändert und der Gedanke das sie wirklich nie wieder aufwachen wird dringt langsam zu mir durch.
Meine Mo wird mich nie wieder anlächeln. Sie wird nie wieder unsere Hände miteinander verschränken, sie wird mich nie wieder sanft anblinzeln und mir damit verstehen zu geben, dass es OK ist.
Ich werde nie wieder in ihre wunderschöne Augen sehen, und einfach alles vergessen können. Ich werde nie wieder neben ihr Aufwachen können und mich fragen was sie gerade träumt in welcher Welt sie gerade träumt. Ich werde sie nie wieder mit irgendwelchen idiotischen, liebevollen oder jindischen Spitznamen aufziehen können.

Es ist lustig wie man sich auf etwas vorbereiten kann, wie man im stande ist es zu akzeptieren und wenn es dann wirklich so weit ist, ist all die hart erarbeitete Akzeptanz fort. Und man steht wieder an Anfang. Was habe ich nur getan?

Ich spüre mein Herz in meiner Brust hämmern. Es ist als würde es versuchen all die Schläge die Mos Herz hätte schlagen sollen auszugleichen. Es rennt einen Marathon der bereits verloren ist. Meine Kehle ist eng, das schlucken fällt mir schwer. Ich merke wie ich die Hand in meiner fester packe. Als erwarte ich eine Gegenreaktion.
Aber natürlich ist da nichts.
Nichts außer einer leeren Hülle.

Ich kann sie nicht länger anschauen, ich stehe auf und verlasse das Krankenhaus. Mein Körper bewegt sich wie ferngesteuert. Zuhause ignoriere ich meine Eltern die mich besorgt anschaue und lasse mich auf den Boden in meinem Zimmer fallen. Ich erinnere mich an all die Momente die ich mit Mo hier verbracht habe. Streiche mit einem Finger über meine rechte Schläfe, wie Sie es immer getan hat, versuche mir einzureden es ist Sie. Aber es ist nur mein eigener Finger. Ich will schreien, aber kein Ton entkommt meiner trockenen Kehle.

Und plötzlich bin ich erneut im Krankenhaus, liege in meinem Krankenbett und starre Bruder Bertram sauer an. Er sitzt neben mir auf einem Stuhl und versucht mich dazu ermuntern einer seiner Sitzungen beizuwohnen. Ich weiß das ich kurz davor bin zu explodieren, warum kann man mich nicht einfach alleine lassen? Ich schreie ihn an, versuche meinen Gefühlen auf diesem Wege Raum zu verschaffen, als die Tür mit einem ruck aufgerissen wird. Und da steht Sie.

Mo.

Die langen harre ungepflegt, die Haltung leicht gebückt und dennoch seltsam faszinierend.

Unsere erste Begegnung, warum muss ich ausgerechnet jetzt daran denken?

Hat Sie vielleicht gehört oder gesehen das Bruder Bertram mir auf die Nerven ging und wollte mir helfen? Warum habe ich Sie nie danach gefragt?
Und jetzt ist es zuspät.

Ich rolle mich auf den Bauch und versuche zu vergessen.

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