Ich gehe zurück in den Aufenthaltsraum und schalte den Fernseher ein, in der Hoffnung auf einen guten Film, der mich auf andere Gedanken bringt. Genervt schalte ich den Fernseher wieder aus und fast schon automatisch schweifen meine Gedanken wieder zurück zu dem Jungen, dessen Namen ich immer noch nicht weiß. Was er wohl macht? Moment mal hat er nicht gesagt er hätte gerade Chemo?
Langsam stehe ich auf und gehe aus dem Zimmer und betrete den Flur. Jetzt ist der Flur fast ausgestorben, nur ein paar Krankenschwestern und ein paar vereinzelte Patienten gehen von einer Tür zur nächsten.
Ohne zu schauen ob sich jemand in dem Zimmer befindet, klopfe ich sachte an. Von drinnen höre ich ein krächzen und interpretiere es als ja dann öffne ich zögernd die Tür.
Er sitzt auf dem Bett und hat offenbar keinen Besuch. Ich zucke heftig zusammen, als ich seinen zusammengekrümmten Körper sehe. Den Infusionsständer und die Schläuche wo zu seinem Arm führen.
Sein blasses Gesicht ist noch blasser und als er die Augen öffnet, sind sie voller Schmerz.
Er richtet sich auf und presst beide Hände vor den Mund. Bevor ich weiß was ich tue, hechte ich nach vorne packe die leere Nierenschale die vor ihm auf dem Boden steht und halte sie ihm unter das Gesicht. Er übergibt sich geräuschvoll in die Nierenschale. Als er hoch schaut ist sein Mund voller Blut und erbrochenem.
Ich stelle sie auf dem Boden ab und nehme von dem Nachtkästchen ein volles Glas Wasser und ein Kosmetiktuch. Schweigend halte ich ihm das Glas an die Lippen und er trinkt, dann wische ich ihm den Mund ab und werfe das schmutzige Tuch in den Mülleimer. Ich werfe einen Blick in die Nierenschale und sehe Blut und erbrochenes. Ohne ein Wort zu sagen setze ich mich neben ihn auf das Bett und drücke den Schwesternknopf. Eine ältere Schwester kommt mit einer frischen Nierenschale und nimmt schweigend die alte Schale mit."Du solltest nicht hier sein." Jetzt klingt selbst seine Stimme gebrochen, voller Schmerz und Hoffnungslosigkeit. Ich schaue ihn ernst an. "Keiner von uns beiden sollte hier sein. Aber wir sind nun mal hier, jetzt sollten wir vermutlich das beste daraus machen oder nicht." Er antwortet nicht und ich verliere mich in seinen Augen. Was ist nur los mit mir? Ich kann mich doch jetzt nicht verlieben oder?
"Ich gebe dir einen Tipp für deine Chemo." Ich schaue ihn fragend an. "Fange mindestens einen Tag vorher an zu fasten, sonst wird das alles nur noch ekliger." Ich lächele humorlos. "Also ab heute nicht mehr essen, merke ich mir." Er zieht eine Augenbraue hoch "Du hast morgen?" Ich schüttelte den Kopf. "Übermorgen." Er verzieht das Gesicht, antwortet aber nicht. Ich sehe wie sich seine Fäuste ballen und kann nicht anders als meine rechte Hand auszustrecken und seine Hand in meine zu nehmen. Sie ist erschreckend kalt, als ich aufschaue sehe ich das er den Blick auf mich geheftet hat. Genau in diesem Moment klopft es an der Tür, wir fahren auseinander und ich bemerke das er meine Hand wie ein Schraubstock umklammert. Den Blick immer noch auf mich gerichtet sagt er ruhig. "Herein." Die Tür öffnet sich aber ich bin nicht imstande den Blick abzuwenden um zu schauen wer in der Tür steht.
Eine Stimme räuspert sich. "Störe ich?" Der Junge löst den Blick von mir und sagt. "Hi Dad. Nein du störst nicht." Ich schaue hoch und sehe einen Mann mit brauen Haaren und denselben grünen Augen wie sein Sohn. Der Mann kommt in das Zimmer und mustert mich von oben bis unten, dann wandert sein Blick über unsere verschränkte Hände und bleibt schließlich an seinem Sohn haften. Ich sehe wie sich seine Augen weiten in spüre gleichzeitig wie sich der Junge neben mir verkrampft. Mit der einen Hand nehme ich die Nierenschale von Boden und hebe sie ihm hin, mit der anderen drücke ich seine Hand ermutigend. Dann beuge ich mich so vor das ich seinem Vater die Sicht versperre. Schließlich löse ich unsere Hände und fahre damit über seinen Rücken, er krümmt sich zusammen und ich spüre jeden Wirbel.
Als er sich aufrichte reiche ich ihm wie beim ersten Mal ein Glas Wasser und ein Tuch. Dann setze ich mich wieder normal hin und ich beobachte seinen Vater, während er sich in Embryohaltung zusammenkauert.
Und dann sehe ich in den Augen des Mannes ganz kurz Abscheu aufblitzen als ich bemerke das er mich anstarrt.
Ich senke den Blick und bemerke das mein Kittel von Blut und erbrochenem gesprenkelt ist.
Ich ignoriere diese Tatsache und sage laut: "Es tut mir wirklich leid, das ich das jetzt sagen muss, aber ich denke es wäre besser wenn sie kurz einen Kaffee trinken gehen würden." Der Mann steht fast schon erleichtert auf und geht schweigend aus dem Zimmer.
Als sich die Tür hinter ihm schließt hebt er den Kopf und schaut mich dankbar an, dann gleitet bestürzen über sein Gesicht als er mein Kittel sieht. "Da ist halb so wild. Was glaubst du wie viele Teile sie von dem haben?" Er runzelt die Stirn und krächzt: "Ja du hast recht, aber es tut mir trotzdem leid." Ich grinse: "Entschuldigung angenommen."
Ich weiß nicht wie lange wir schweigend, wieder Händchenhaltend dasitzen als er sich langsam aufrichtet: "Ich glaube es wird besser." Ich lächele und nicke. Kurz darauf öffnet sich die Tür und sein Vater kommt zögernd herein. Ich lächele dem Jungen neben mir aufmunternd zu und löse unsere Hände. "Ich geh dann mal." "Wir sehen uns ja mal oder?" Ich stehe fast vor der Tür und drehe mich nich einmal um, bei seinem hoffnungsvollen Blick wird mir ganz warm ums Herz. "Klar sehen wir uns. Du wirst mich nicht mehr los." Dann schließe ich die Tür und gehe langsam in mein Zimmer.Nachdem ich mich umgezogen habe, liege ich schweigend in meinem Bett und werfe einen Blick auf die Uhr: 20.46.
Nachdem ich versucht habe mich auf mein Buch zu konzentrieren, gebe ich gerade auf und beschließe schlafen zu gehen, als es an der Tür klopft.
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Weg zwischen Leben und Tod? ✔️
Teen FictionHabe ich es verdient zu leben? Diese Frage stelle ich mir jeden Tag nach dem aufwachen und danach jede einzelne Sekunde bis zum Rest meines Lebens. Noch kämpfe ich gegen den Krebs um meinen Körper. Aber wie lange reicht meine Kraft noch aus? Wie lan...