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Endlich.
Endlich darf ich hier raus.
Ich trage immer noch einen Krankenhauskittel. Allerdings musste ich noch einen Mundschutz anziehen.
Und jetzt stehe ich ungeduldig vor der Tür und warte darauf das mich Doktor Mühr ein letztes Mal untersucht und mir endlich sagt das ich diese verdammte Knochenmarktransplantation nicht umsonst gemacht habe!
Die letzten Wochen waren die Hölle. Mein Zustand war wie eine Achterbahn die immer mal wieder hoch gerast ist nur um in der nächsten Sekunde steil nach unten zu fallen.
Aber ich habe alles akzeptiert. Egal wie heftig die Schmerzen waren, egal wie oft ich ohnmächtig in meiner Kotze lag, ich habe Hoffnung und das hat mir die nötige Kraft gegeben!
Und jetzt ist es endlich vorbei.
Ich habe meine letze Knochenmarkspende vor fast drei Wochen bekommen. Inzwischen müsste sich das Knochenmark angesiedelt haben und fleißig neue gesunde Zellen hervorgebracht haben!
Müsste!
Ich merke wie erneut Panik in mir hochkriecht, aber ich kämpfe dagegen an.
Es muss einfach funktioniert haben!
Es gibt einfach keine andere Möglichkeit.
Ich merke wie mich sämtliche kraft verlässt und schaffe es gerade noch so mich auf das Bett zu setzen.
Mein Körper ist unglaublich schwach, die leichteste Anstrengung ist zu viel für mich.
Die künstliche Ernährung die ich die letzten Wochen genossen habe, ist einfach nur dafür da um mich vor dem verhungern zu bewahren, mehr nicht. Dementsprechend sehe ich aus wie Magersüchtig.
Meine Augen sind von tiefen dunklen Ringen umrahmt, die von den vielen schlaflosen Nächten zeugen die ich hatte. Meine Lippen sind spröde und rissig und meine knochendünne arme sind voller Flecken und stellenweise hat die Haut seltsame rote Flecken, die bereits teilweise verkrustet sind.
Ich bin definitiv nicht stolz auf das Wrack das ich als meinen Körper bezeichne, aber ich bin stolz darauf das mein Körper all das überlebt hat. Er ist von vielen Narben gezeichnet aber jede von ihnen steht für einen Kampf den ich gewonnen habe.
Ich spüre mein rasendes Herz und merke das ich anfange zu schwitzen.
Warum braucht Doktor Mühr so lange?
Eine Welle der Übelkeit überkommt mich.
Nein nicht jetzt.
Ich kämpfe dagegen an und ziehe die Knie an.
Ich kann jetzt nicht rückfällig werden. Ich muss hier raus.
Ich muss zu Seth.
Schweiß läuft mir über das Gesicht.
Mein Sichtfeld verschwimmt leicht, ich kneife die Augen zusammen und versuche dagegen zu kämpfen.
Ich bin stark. Ich schaffe das.
Ich glaube diese Worte verlieren irgendwann ihre Wirkung. Ich habe sie in den letzten Wochen immer und immer wieder gesagt. Und es scheint als wären sie jetzt ziemlich nutzlos. Alles beginnt sich zu drehen, ich kann mich nicht mehr bewegen. Ich will etwas sagen, aber ich bekomme nur ein krächzen raus. Ich kann meinen Mund nicht mehr bewegen, plötzlich nehme ich unglaublich scharf wahr wie mir Sabber aus dem Mund läuft.
Ich bin komplett hilflos.
Alles in mir schreit nach Seth.
Das kann es nicht gewesen sein, ich werde hier nicht sterben. Nicht hier nicht alleine.
Das piepen wird lauter, durchdringender.
Ich muss wohl noch etwas Widerstand haben!
Irgendwo!
Ich muss es nur finden.
Zuckungen laufen durch meinen Körper warum habe ich keine Kontrolle mehr.
Irgendwo wie von ganze weit weg höre ich das öffnen einer Türe und kurz darauf spüre ich Hände die an meinem Körper hantieren.
Ich kann mich nicht wehren.
Was passiert hier?
Es muss einen Weg geben.
Ich habe es Seth doch versprochen.
Die Verzweiflung ist größer, größer als die Angst oder der Schmerz.
Erneut will ich den Mund öffnen will sagen das ich leben muss, aber es geht nicht.
Und dann umfasst mich eine angenehme Kühle.
Da ist etwas was den Schmerz betäubt.
Ich schließe meinen Mund und merke das mir jemand das Gesicht abwischt und dann ist da die eine Stimme die ich mehr hören wollte als alles andere.
„Ich bekomme irgendwann noch einen Herzinfarkt wegen dir Kleine."
Ich will weinen, aber ich kann nicht.
Orientierungslos drehe ich den Kopf nach Seths stimme und Strecke die Hände aus. Er umschließt meine eiskalten Finger mit seinen warmen und dreht meinen Kopf sanft in seine Richtung.
Und ganz langsam schält sich aus den Schatten die Konturen eines Körpers.
Es ist alles unglaublich verschwommen, aber das ist mir egal.
Ich löse eine Hand und Taste sein Gesicht ab.
Ich spüre sein sanftes Lächeln und lege die Hand an seine Wange, dann Strecke ich die andere Hand nach ihm aus.
Seth zieht mich auf seinen Schoß und legt die Hände auf meinen Rücken.
Ich lege den Kopf an seinen Hals und entspanne mich.
Endlich bin ich dort wo ich sein will.
Er streicht mir über den Rücken und ich weiß das ich fragen muss.
„Was ist passiert?" Er seufzt leise.
„Du hattest einen Anfall. Du hast vermutlich schon bemerkt das deine Augen noch schlechter geworden sind und es ist auch gut möglich das du immer öfters Sprachstörungen bekommen kannst." Er atmet gleichmäßig aus.
„Hat es sonst funktioniert?" Seine Hände legen sich fester um mich.
„Das wissen sie noch nicht. Es war schon ein Kampf das sie mich hier überhaupt reingelassen haben."
Ich zucke zusammen.
„Aber du sollst wissen das es mir egal ist. Ich bin so unglaublich stolz auf dich. Und egal was passiert, du wirst immer meine Kleine sein." Ich muss anfangen zu Lächeln, während mir eine einzelne Träne aus dem Auge läuft. Ich schniefe leise und drücke mich enger an ihn. „Ich hatte solche Angst." Er hebt mich fest. „Das ist in Ordnung. Aber jetzt ist alles gut. Ich bin da." Langsam beruhige ich mich wieder.
Ich habe es geschafft. Ich bin wieder bei Seth. Und irgendwie gibt mir das Kraft daran zu glauben das die letzten Wochen Horror nicht umsonst waren.
Die Chemotherapie und die Knochenmarktransplantation müssen erfolgreich gewesen sein.
Ich höre Seth zu der mir erzählt das er bereits seit vier Wochen aus dem Krankenhaus entlassen wurde und wieder zur Schule geht.
Vier Wochen?
Wie lange war ich dann in dieser keimfreien Zelle?
Ich will es gar nicht so genau wissen. Ich will nur wissen wie es jetzt weitergeht.
Irgendwann löse ich mich ein Stück von Seth und schaue ihn ins Gesicht.
Es tut weh zu merken dass ich seine wunderschönen Augen nicht mehr bewundern kann.
Ich konzentriere mich und kneife die Augen zusammen, aber ich sehe nur leichte Umrisse.
„Ich liebe dich."
Und das bringt das Fass zum Überlaufen.
Ich zucke zusammen und fange richtig an zu weinen. Seth hebt mich, er ist für mich die Stütze die ich brauche.
„Ich ich danke." Das ist alles was ich raus bringe. Dann streiche ich erneut mit den Fingern sanft über sein Gesicht. Ich fahre die Wangenknochen nach und streiche über seine Lippen, sie sind so weich.
Langsam beuge ich mich vor und lege meine Lippen auf seine.
Der Kuss ist kurz aber liebevoll und als wir uns lösen lege ich meine Stirn an seine.
Er streicht mir sanft meine Tränen weg und ich lehne mich an ihn.
Irgendwann öffnet sich die Tür und eine Krankenschwester teilt uns mit das unsere Eltern hier wären.
Ich setze mich neben Seth und nehme seine Hand.

Zusammen schaffen wir das!

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