Als Seth zurückkommt schaue ich ihn neugierig an, aber er grinst nur.
"Was hast du gemacht?"
"Nichts."
Ah ja natürlich, noch einmal durchbohrte ich ihn mit meinem Blick und zucke dann die Schultern.
"Hast du einen Wunsch den du unbedingt erledigen willst?"
Er schaut nachdenklich aus dem Fenster.
"Nein. Seit ich hier bin ist mir klar geworden das das größte Geschenk das man haben kann das leben ist. Ich will nur das. Wenn ich ohne Diagnosen, ohne Krebs, ohne Chemotherapieen und ohne Schmerzen leben kan, dann macht mich das glücklich."
Jetzt bin ich es die aus dem Fenster schaut, während er mich mustert. Fragt er sich ob er zu weit gegangen ist?
"Das ist ein schöner Wunsch. Und ich bin mir sicher das du ihn erfüllt bekommst."
Ich schaue immer noch aus dem Fenster als er sich neben mich setzt und meine Hand nimmt.
"Wie kommst du mit der Situation klar?"
Ich erstarre ich hätte mit allem gerechnet aber nicht damit das er mich das einfach so fragt. Mir ist klar das er es verstehen würde wenn ich darauf nicht antworten wollen würde, aber es ist auch das erste mal das mich das jemand einfach so fragt ohne irgendwelche Hintergedanken."Ich weiß nicht. Ich habe dir vorhin gesagt das jeder mal sterben muss, aber das ist leichter gesagt als getan. Ich Frage mich immer warum ausgerechnet ich und gleichzeitig ist es egoistisch von mir jemand anderem mein Schicksal aufdrängen zu wollen nur um mein Leben leben zu können. Und selbst wenn das funktionieren würde, könnte ich überhaupt mit dem Gewissen leben jemanden getötet zu haben?
Ich sehe meine Eltern leiden und weiß das es meine Schuld ist. Natürlich sagen sie es ist ihnen egal aber sie leiden, versteht du? Und ich ich bin daran Schuld. Und diese Schuld zerstört michvon innen.
Wie kann ich sterben mit dem Gefühl, dass mein Leben lebenswert war, wenn ich genau weiß das ich all die die ich liebe innerlich zerstöre? Auch meine beste Freundin, ich hätte sie einfach in Unwissenheit lassen sollen, aber ich habe mit ihr gesprochen und jetzt weiß sie es. Auch sie wird schmerzen haben. Vielleicht fragt sie sich sogar warum sie leben darf und ich nicht, ich meine das hast ja selbst du dich schon gefragt.
Mir ist klar das ich nichts besonderes bin, es gibt viele Menschen die Krebs im selben Stadium haben wie ich. Menschen die das gleiche durchmachen wie ich. Manche vom ihnen sind bestimmt genauso alt wie ich oder noch jünger. Und all sie kommen auch irgendwie mit der Situation klar oder? Nur darum geht es nicht wahr, um weitermachen egal wie?"
Lange Zeit sagen wir beide nichts.
Mein Herz hämmert aber mein Kopf ist seltsam leer, es ist als erwarte es Seths Urteil.
Und als er spricht könnte ich einfach auf der Stelle losweinen.
"Du hast recht, es gibt viele mit deiner Diagnose. Du hast recht es geht ums weitermachen. Aber genau daran liegt der Haken. Jede Situation, jedes Umfeld, jede betroffene Personen sind anders.
Für die einen heißt weitermachen ihre ungeregelten Aktivitäten zu beenden, für andere ist es den Alltag aufzunehmen einfach so weiterzumachen als wäre nichts passiert und für wieder andere ist es das Risiko.
Aber das alles spielt für dich keine Rolle.
Es geht hier nur um dich, verstehst du?
All die um die du dir Sorgen machst, dass ist edelmütig, aber letztendlich ist es egal.
Natürlich wenn du Tod bist fühlen sie sich schlecht und stellen sich die Frage warum sie noch leben und du nicht, aber irgendwann findet man sich damit ab.
Man wird dich nie vergessen, aber man wird dich gehen lassen.
Das hört sich hart an und es ist nicht böse gemeint, wenn man dich gehen lassen kann, kann man sein leben wieder aufnehmen. Verstehst du?
Und du musst mir versprechen, dass du dich nicht aufhalten lässt! Du musst Leben, tue es für dich, für alle die dich lieben. Sorge dafür das dein leben für dich lebenswert wird, denn das ist alles was zählt!"Ich drehe den Kopf zur Wand weil ich nicht will das er meine Tränen sieht und ich bin ihm dankbar, als er es akzeptiert.
Ich kann nicht mehr klar denken, meine Gedanken jagen wild durcheinander.
Ich will ihm dieses Versprechen geben.
Mir ist klar das ich dieses Leben mit ihm verbringen will.
Langsam drehe ich den Kopf zu ihm und schaue in seine Augen.
"Ich verspreche es dir." Meine Stimme zittert leicht und als er mich anlächelt ist es um mich geschehen.
Ich reiße mich von ihm los und renne aus dem Zimmer.Ich schließe meine Türe und lasse mich auf meinem Bett nieder.
Ich sehe sein Gesicht vor mir und ich weiß, dass wenn ich ihm noch eine Sekunde so nah gewesen wäre, dann hätte ich ihn geküsst.
Kann ich das überhaupt tun?
Ich meine er weiß das ich sterben werde, wenn er mich küsst dann soll es echt sein. Was denke ich denn da? Seth würde nie jemanden aus Mitleid küssen. Aber kann ich diese Freundschaft stören?
Zitternd nehme ich mein Handy und wähle die Nummer von zuhause.Als meine Mutter zwanzig Minuten später in der Tür steht, werfe ich mich ihr weinend in die Arme noch bevor sie sich setzten kann und beginne ich mit meinem sinnlosen Gestammel.
"Mama ich.. Seth kann ich. Was wenn..?" Meine Mutter bugsiert mich zu dem Bett und streicht mir so lange über die Haare, bis meine Tränen versiegen.
"Also wer ist Seth?"
"Ich habe ihn kennengelernt, er hat auch Krebs aber er wird überleben. Er ist schon länger hier. Er war bei mir als ich meine Chemotherapie hatte." Sie muss lächeln. "Erzähl mir alles." Jetzt ist es an mir zu lächeln und ich erzähle ihr von unserer ersten Begegnung bis zu dem gespäch heute.
"Meine Tochter ist also zum ersten mal verliebt." Ich höre in ihrer Stimme Stolz und es scheint ihr vollkommen egal zu seim, dass er auch Krebs hat, im Gegenteil sie scheint vollauf begeistert zu sein.
"Er hat recht, Mo. Mit dem was er gesagt hat, bitte hör auf ihn. Und wenn du verliebt bist, dann sollte dir der Krebs egal sein! Alles was zählt ist das du glücklich bist und wenn dieser Junge es schafft dich glücklich zu machen, dann ist mir egal wer er ist."
Ich bin gerührt, ich habe nicht gedacht, dass meine Mutter jemals so entschlossen ist mich zu verkuppeln, aber die Dinge haben sich geändert nicht wahr?
"Aber selbst wenn er etwas empfinden würde, also für mich, selbst dann kann ich doch nicht einfach eine Beziehung aufbauen, nicht mit meinem Wissen."
"Doch. Gerade deswegen, wenn er etwas für dich empfindet, dann ist ihm das egal." Ich will ihr gerade antworten, als es an der Tür klopft."Ah ich nehme an du bist Seth?"
Meine Mutter mustert ihn einmal von oben bis unten und als er nickt, lächelt sie ihn an.
Ich hebe den Kopf und schaue ihn an. Als sich unsere blicke treffen, senke ich den Kopf.
"Entschuldigen sie bitte die Störung, aber kann ich kurz mit ihnen sprechen Frau Lebert?"
Meine Mutter streicht mir noch einmal über den Rücken und steht auf: "Natürlich."
Gemeinsam gehen sie aus dem Zimmer und schließen die Türe hinter sich.
Verwirrt lege ich mich auf meine Decke und hänge meinen Gedanken nach.
Was will Seth von meiner Mutter?
Und hat meine Mutter Recht?
Und dann fällt es mir siedend heiß ein. Seth weiß das ich einen Jungen küssen will, bevor ich sterbe.
Wenn ich ihn irgendwann wirklich küssen sollte, dann weiß er hoffentlich das ich ihn nicht einfach nur deswegen geküsst habe.
Aber warum mache ich mir eigentlich so viele Gedanken darüber ob ich ihn küsse, warum warte ich einfach nicht ein bisschen und lerne ihn besser kennen?
Langsam holen mich langsam die Strapazen des Tages ein und ich falle in einem Koma ähnlichen Schlaf.

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Weg zwischen Leben und Tod? ✔️
Teen FictionHabe ich es verdient zu leben? Diese Frage stelle ich mir jeden Tag nach dem aufwachen und danach jede einzelne Sekunde bis zum Rest meines Lebens. Noch kämpfe ich gegen den Krebs um meinen Körper. Aber wie lange reicht meine Kraft noch aus? Wie lan...