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Der Tag der alles kaputt gemacht hat, fing eigentlich ganz normal an.
Ich stand mit dem Weckerklingeln auf und frühstückte, dann zog ich mich an und ging in die Schule.

Wenn ich gewusst hätte was auf dem Schulweg passieren würde, hätte ich dann irgendetwas anders gemacht?

Hätte irgendetwas den Lauf des Schicksals ändern können?

Ich weis es nicht!

Das einzige was ich mit Sicherheit weis ist, das ich sterben werde.

Aber kann ich das einfach so akzeptieren?

Nein!

Ich werde nicht aufgeben!

Ich werde kämpfen.

Vielleicht ist dieser Kampf aussichtslos, aber ich kann und werde nicht sterben ohne wenigstens den Versuch zu unternehmen, siegreich mit meinem Leben davonzukommen.

Wie aus weiter Ferne höre ich die verzweifelte Stimme meiner Mutter, die den Arzt anfleht eine Lösung zu finden.

Eine Lösung für mein Problem.

Oder bin ich das Problem?

Nein!

Das Problem ist in mir.

Ich kann das Problem bei seinem Namen nennen.

Blutkrebs.
Oder auch Leukämie.

Im letzten Stadium.

Unaufhaltsam!

Zu viele Blutkörperchen sind unwiderruflich von dem Krebs zerstört worden.

Noch 6 Monate.

6 Monate in denen ich ein ganzes Leben leben soll.

Der Arzt sagt eine Chemotherapie würde mein Leben verlängern.

Mein Leben oder mein Leid?

Aber ich muss die Chemo machen, ich kann meiner Mutter nicht zumuten, zu wissen sie hätte vielleicht etwas tun können.

Bei dieser Entscheidung kommt es nicht auf mich an.

Hier muss ich an das Wohl meiner Familie, an das wohl aller denken, die mich lieben.

Krebs.

Leukämie.

Tod.

Unaufhaltsam.

Langsam spüre ich wie die Verzweiflung durch den durchsichtigen Nebel, wie eine riesige, unaufhaltsame Welle auf mich zurollt.

Bisher hat der Nebel alles von mir Ferngehalten.

Aber ich weiß, das er dieser zerstörerischen Kraft nicht gewachsen ist.

Bin ich dieser Kraft gewachsen?

Und dann erreicht sie mich.

Sie überspült mich und ich drohe zu ertrinken.
Ertrinke in einem Meer aus Verzweiflung.

Die Ereignisse des Tages stürzen auf mich ein.

Auf dem Weg zur Schule, bin ich umgekippt, einfach so ohne irgendeinen Grund.

Mir wurde schwarz vor Augen und das nächste was ich wahrgenommen habe, war das helle, fast schon blendende Licht in einem schlichten, fast schon ödem Krankenhauszimmer.

Meine Mutter die mit besorgtem Gesicht neben mir saß und erleichtert aufseufzte als ich die Augen aufschlug.

Dann der Arzt, der ohne Vorwarnung, ohne anklopfen in das Zimmer kam und uns langsam mit ruhiger Stimme verkündete ich hätte Krebs und würde in weniger als 6 Monaten sterben.

Dann ist alles verschwommen, nichts drang durch den Nebel, der mich bis gerade eben so geschützt hat.

Chemotherapie.

Sie wird mein Leben verlängern, aber wird sie es verbessern?

Ich weiß es nicht.

Ich weiß so vieles nicht!

Doch selbst durch die Verzweiflung, die mich erfasst höre ich meine Mutter anfangen zu weinen.

Ich kämpfe mich aus der Welle nach oben, ich muss meiner Mutter helfen.

Und dann endlich bin ich da.

An der Oberfläche.

Langsam nehme ich den kahlen Raum wieder wahr und fokussiere meinen matten, glanzlosen Blick auf meine Mutter, die vornübergebeugt und weinend neben mir auf einem geraden, sicherlich unbequemen Stuhl sitzt.

Wie fühlt sich das an zu wissen, das die einzige Tochter sterben wird?

Teilnahmslos schaue ich sie an und frage mich woher sie das Recht nimmt jetzt schon um mich zu trauern.

Ich werde doch kämpfen.

Aber wozu wenn sie schon aufgegeben hat?

"Mama?" Meine Stimme ist rau und selbst mir fremd.
Sie hebt langsam den Kopf und versucht sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen.

Versucht stark zu sein.

Stark für mich!

Habe ich so etwas verdient?

Jemanden der versucht stark zu sein, stark zu sein wegen mir. Ohne mich müsste sie das nicht versuchen.

Ohne mich säße sie jetzt nicht hier!

Diese Erkenntnis trifft mich hart in den Magen.

"Es tut mir leid. Ich.. Ich... Wollte nicht das..."
Meine Stimme versagt und meine Mutter schluchzt laut auf, dann atmet sie tief durch und ringt um Fassung.

Ich habe meine Mutter noch nie so verzweifelt gesehen.

"Hör auf damit. Das ist nicht deine Schuld! Hörst du?
Das ist nicht deine Schuld!
Nichts von alledem!
Wir werden das schaffen.
Wir dürfen einfach nicht aufgeben."

Es herrscht Stille.
Ich kann nicht antworten.

Ist das wirklich nicht meine Schuld?

Meine Mutter beugt sich über mich.

"Sag mir das du es wenigstens versuchen wirst ok?
Wir werden die Chemotherapie durchziehen ok?
Wir werden uns nicht kampflos ergeben!
Versprich mir das!"

Und dann sehe ich die Kraft der Verzweiflung in den Augen meiner Mutter aufleuchten in ich weiß das ich ihr das Versprechen muss.

"Versprochen!"

Es ist nur ein Wort aber es kommt mir fast nicht über die Lippen.

Und dann spüre ich die Tränen die mir ungehindert über das Gesicht Fliesen.

Meine Mutter beugt sich vor und schlingt die Arme um mich.

Und dann in diesem Moment fühle ich mich in den Armen meiner Mutter wunderbar geborgen, sicher.

Frische Kraft fließt durch meine Glieder und ich weiß das ich nicht aufgeben werde!

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