27

54 3 2
                                    

Zu diesem Zeitpunkt ist das Krankenhaus wie leer gefegt.
Keine Patienten, keine Besucher, und keine Ärzte oder Schwestern.
Wir fahren mit dem Aufzug in die vierte Etage und bleiben vor meinem Zimmer stehen.
"Ist wirklich alles in Ordnung?" Er schaut mich besorgt an und ich lächele.
"Es ist so in Ordnung wie es nur sein kann." Diesesmal scheine ich ihn überzeugt zu haben, denn er lächelt.
"Kommst du noch mit rein?" Ohne es zu wollen Laufe ich leicht rosa an.
Er lächelt und hält mir die Tür auf.

Als wir schweigend auf meinem Bett sitzen mustere ich ihn nachdenklich.
"Willst du wissen was nach dem Tod kommt? Und wenn ja was wäre etwas was Du akzeptieren kannst?"
Ich verdränge Herr Bamba aus meinem Gedanken.
Er schaut nachdenklich aus dem dunklen Fenster.
"Nach dem Tod? Ich denke manchmal einfach das da nichts kommt.
Einfach undendliches nichts.
Man ist nichts und man fühlt nichts, verstehst du? "
Ich nicke und sage ruhig.
"Ich weiß nicht. Damit kann ich mich nicht zufrieden geben."
Er zuckt die Schultern.
"Ich glaube ich will gar nicht wissen, was passiert wenn man stirbt.
Ich meine man sollte das Leben genießen und sich nicht fragen, was danach kommt."
Er lacht leise.
"Und trotzdem machst du dir Gedanken."
Ich schaue ihn lange an.
"Ist das nicht normal? Ich meine etwas unbekanntes kann gefahren bergen und man will diese vorbeugen."
"Ja. Menschen sind merkwürdig."
Ich lächele und lasse das Thema fallen.
"Bist du morgen bei mir?"
Er dreht den Kopf und schaut mich an.
"Ja." Ich nicke und stehe auf.
"Na dann. Gute Nacht."
Er lacht.
"Willst du mich rauswerfen?" Ich lache und nicke.
Er grinst steht auf und umarmt mich.
Schweigend klammere ich mich an ihn und will ihn nicht mehr loslassen.
Er lacht leise: "Ich dachte ich soll gehen." Seufzend löse ich mich und sage: "Ja. Ich bin müde." Er nickt.
"Man sieht sich Kleine."
Ich muss lächeln, genau dasselbe hat er bei unserer ersten Begegnung gesagt.

Und wieder sitze ich auf meinem Bett und umklammete Seths Hand, während mein Körper vor lauter Schmerzen taub wird.
Meine wievielte chemo ist das jetzt?
Meine vierte.

Nach heute dann ist mein erster Zyklus vorbei.

Dieser Gedanke gibt mir Kraft.
Aber was bringt der zweite Zyklus?
Das einzige was ich darüber weiß, ist das es extrem strikte Hygienevorschriften gibt.
Aus diesem Grund darf ich auch maximal von drei verschiedenen Personen Besuch bekommen und diese müssen strenge Vorschriften beachten.
Ich muss mich informieren, was sie in diesem Zyklus machen wollen!
Außerdem muss ich wissen wie die Chemotherapie anschlägt.
Bisher hat man mir noch keine Informationen gegeben.
Ist das ein gutes oder schlechtes Zeichen?

Und wie geht es dann weiter?
Was ist wenn ich alle drei Zyklen beendet habe?
Das muss ich meine Eltern fragen.
Genauso was mit meiner Familie ist.
Mama sagte, sie hätte meiner Familie bescheid gesagt, meint sie damit nur meine Großeltern?
Und wenn nicht, was wissen sie alles?
Ich muss so oder so mit ihnen reden.
Meine Tante, mein Onkel, mein Cousin.
Sie alle haben das Recht zu erfahren wie es mir geht.

Aber habe ich die Kraft all das durchzustehen?
All diese Blicke, die unbeholfenen Gesten, diese unangenehme Stille in der niemand weiß was man sagen soll.
Ich muss.
Und dann muss ich nur noch eines:

Mein Leben genießen!
Ach und sterben.
Wie konnte ich das nur vergessen?

Das kann nicht so schwer sein oder?

Ich habe einmal einen Spruch gehört:
Sterben ist einfach, Leben dagegen ist eine Kunst.

Stimmt das?
So wie es mir gerade geht, kann ich das nicht beantworten.
Sterben ist schwer.
Alleine schon weil der Mensch einen unglaublichen Überlebenswillen hat, aber gleichzeitig ist Leben und damit meine ich richtig Leben genauso schwer.
Ich meine welcher Mensch steht jeden morgen bewusst auf und freut sich am Leben zu sein, freut sich leben zu können?
Steht man nicht jeden Tag auf und beschwert sich über dies und das und streitet über Kleinigkeiten?
Gibt man dem Leben die Wertschätzung die es verdient hat?

Ich stimme dem Spruch teilweise zu.
Leben ist eine Kunst, sterben dagegen ist nur einfach wenn man ein glückliches Leben hatte.
Oder ist es besonders dann schwer zu gehen?
Ist vielleicht ein schweres genauso wie ein erfülltes Leben eine Voraussetzung zum sterben?
Wenn man ein Leben hatte, das nicht lebenswert ist dann geht man dem Tod mit offenen Armen entgegen.
Aber wenn man ein glückliches, erfülltes leben hat, geht man dem Tod dann nicht genauso entgegen?

"Worüber denkst du nach?"
"Darüber ob Leben schwer ist oder sterben einfach."
"Es ist beides eine Herausforderung. Wenn man die Herausforderung Leben nicht besteht, kommt der Tod. Auch das ist eine Prüfung, aber eine Prüfung die andere Fähigkeiten prüft."
"Wow. Das ergibt Sinn."
Sein Lachen ist fröhlich und ich nehme mir vor es öfters hören.

Ich bin froh das er mich von meinen Schmerzen ablenkt, als er wie bei meiner letzten Chemotherapie beginnt wie ein Wasserfall zu reden.
Erneut schweifen meine Gedanken ab.
Heute kommt Herr Bamba wieder.
Er sagte ich solle darüber nachdenken ob ich wissen will was nach dem Tod kommt und wenn ja was ich akzeptieren kann.
Meine antwort ist einfach.

Ich will es nicht wissen, trotz allem mache ich mir Gedanken darüber.

Wird er das so akzeptieren?

Weg zwischen Leben und Tod? ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt