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Nachdenklich sitze ich in dem Auto meiner Eltern auf dem Weg nach Hause.
Maddy Geschichte geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich merke das meine Mutter mich vom Beifahrersitz kritisch mustert und versuche mich an einem beruhigenden Lächeln. Als sie merkt das ich merke das sie mich beobachtet hat lächelt sie ebenfalls kurz und dreht sich wieder nach vorne. Ich drehe den Kopf und schaue schweigend aus dem Fenster.
Als das Treffen vorbei war hatte mir eine Krankenschwester mitgeteilt, dass ich gehen könnte und meine Eltern auf dem Weg wären.
Und jetzt sitze ich hier und denke über etwas nach was ich schon lange für abgehakt gehalten hatte.
Habe ich mich zu früh aufgegeben?
Wenn ich nur genug an mich glaube, habe ich dann noch eine Chance?
Aber was ist schon glauben im Gegensatz zu einer unumstößlichen wissenschaftlichen Diagnose?
Oder ist es genau diese Einstellung, die mir sämtliche Möglichkeiten blockiert?

Meine Eltern haben mein erbrochenes weggewischt und gelüftet, nichts erinnert mehr an mein nächtliches Komasaufen.
Es herrscht eine unangenehme Stille, bis ich leise anfange zu sprechen.
„Ich weiß das ich euch enttäuscht habe. Und vielleicht bin ich nicht die Tochter die ihr euch immer erträumt habt, aber ihr sollt wissen das ich euch über alles liebe und das es mir mehr wehtut zu wissen das ich euch im Stich lasse als mein eigener Tod. Ich gebe mein bestes euch glücklich zu machen und dabei versage ich so sehr. Ich versuche mir immer einzureden das man aus Fehlern lernt, aber was wenn man keinerlei Zeit zum lernen hat? Ich weiß einfach nicht was ich noch tun kann."
Meine Mutter fängt an zu weinen und ich bin zu feige ihr ins Gesicht zu schauen, selbst als die Haustür hinter ihr zufliegt hebe ich den Kopf nicht.
Mein Vater setzt sich auf das Sofa und klopft neben sich auf das Polster. Langsam bewege ich mich auf ihn zu und setze mich schwerfällig neben ihn.
„Du bist unsere Tochter. Wir lieben dich so wie du bist. Es spielt keine Rolle wie viel scheiße du baust, solange du bei uns bist." Er schaut mich ernst an. „Merk dir eins Mo. Niemand ist perfekt, die Kunst liegt darin Perfektion in anderen Menschen zu sehen."
Schweigend denke ich über seine Worte nach.
Was für eine Perfektion er wohl in mir sieht?
Und wichtiger noch was perfektes sehe ich an mir selbst?

Als ich abends in meinem Bett liege, merke ich das ich wieder die altbekannten Schmerzen an Kopf und Bauch habe. Um sie zu vergessen überlege ich mir was ich morgen machen könnte.
Meinem Traum einmal jedem einzelnen Kontinent zu besuchen kann ich vermutlich vergessen.
Aber ich habe doch trotz allem noch so viele Möglichkeiten oder nicht?
Sind es nicht die kleinen Momente der Freude in meinem Leben die mir so unglaublich viel bedeuten?
Als die Schmerzen immer schlimmer werden, stehe ich leise auf und schließe meine Zimmertür.
Ich lege mich auf meinen kleinen Teppich und ziehe mein Handy hervor.
„Hallo?" Seths stimme ist müde, aber ich merke wie gut es mir tut sie zu hören.
„Hallo. Tut mir leid das ich so spät noch Anrufe." Ich höre an seiner Stimme ein leichtes schmunzeln heraus. „Kein Thema. Was bereitet dir Kopfschmerzen?" Jetzt muss ich Lächeln, er ist einfach ein Engel. Ich rufe ihn mitten in der Nacht an und ihn stört es nicht.
„Naja eigentlich habe ich nur ein paar Schmerzen aber ansonsten bin ich fit wie ein Turnschuh." Er lacht leise und ich genieße es.
„Wir hatten noch gar keine Zeit uns richtig zu unterhalten." Seine Stimme ist ernst geworden und ich schließe kurz die Augen. „Deine Mutter hat mir erzählt warum du im Krankenhaus warst." Ich nicke bis mir klar wird das er das nicht sehen kann.
„Ja ich habe mich so schrecklich allein gefühlt und wollte einfach alles vergessen." Ich verstumme und einen Moment lang hören wir nur den Atem des anderen. „Tja was vorbei ist kann man nicht mehr ändern, aber versprich mir das nächste mal kommst du zu mir egal wie." Ich lächele: „Versprochen."
Ich seufze leise auf und massiere mir mit meiner freien Hand die Schläfe.
„Mo du weißt das es so etwas wie Schmerztabletten gibt." „Ja aber die sind nur für Weicheier." Er lacht noch einmal und ich kann mir vorstellen wie er den Kopf schüttelt.
„Was hast du für einen Humor?" Falls ihn diese Frage überraschen sollte, merke ich es seiner Stimme nicht an.
„Ich glaube einen ganz normalen." Ich nicke: „Erzähl mir einen Witz den du gut findest." Er überlegt kurz und sagt schon leicht lachend: „Wie warum sollte ich zu Fuß gehen? Ich hab doch vier gesunde Reifen."
Während er lacht, verdrehe ich die Augen, da ich den Witz nicht sonderlich unterhaltsam finde.
„Was ist mit dir?" Ich beiße mir kurz auf die Lippe. „Also mein Humor ist so schwarz damit könntest du Baumwolle pflücken. Außerdem steh ich auf Flachwitze." Ich höre das er schmunzelt: „Schieß los." Ich überlege kurz, dann sage ich grinsend.
„Anna hat extrem abgenommen, die wiegt jetzt nur noch drei Kilogramm Asche plus Urne."
Und wie immer wenn ich diesen Witz erzähle, fange ich an zu lachen.
„Ok da muss ich passen, denn finde ich absolut nicht lustig! Vielleicht kriegst du mich noch mit einem Flachwitz."
Erneut überlege ich und entscheide mich schließlich für einen meiner Lieblingsflachwitze: „Welche Droge ist die härteste Droge der Welt? Das Bahngleis, ein Zug und du bist Tod!" Jetzt entlocke ich ihm sogar ein kleines lachen, aber ich bin mir nicht ganz sicher ob er das aus Anstand tut. Ich dagegen lache aus vollem Hals. „Also so lustig war das jetzt auch wieder nicht." Ich verdrehe die Augen und sage schnippisch: „Dann Versuch du doch noch mal dein Glück!" „Für wen ist der Tag der offenen Tür ganz schlecht?" Er gibt mir einen Moment zum überlegen und fährt dann fort: „Für ein U-Boot." Ich lache und sage dann grinsend: „Der hatte Tiefgang." Es braucht einen Moment bis er schaltet, dann sagt er vollkommen ernst: „Du bist doof!" Ich grinse und erwiderte ruhig. „Ich hab doch auch lieb Honey." Er lacht leise und gähnt dann herzhaft. „Tut mir echt leid Kleine, aber es wird spät oder früh, sehe es wie du willst." „Natürlich, schlafe gut." „Du auch Kleine. Wir sehen uns." Er legt auf und ich schaue lächelnd an die dunkle Decke, dann schleppe ich mich in mein Bett und kuschele mich fest ein.

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