Nachdem der Unterricht bei Dr.Calderwood vorbei war schlich ich mich in der Mittagspause aus dem Gebäude, um draußen frische Luft zu schnappen. Der Laborgeruch hing in meiner Nase nach, egal wie kräftig ich versuchte ein- und auszuatmen. Seufzend ließ ich mich gegen die Steinwand der Schule fallen und verbrachte einige Momente in Stille, bis ich erleichtert darüber sein konnte, dass mir keiner meiner Klassenkameraden gefolgt war. Eigentlich wäre es an der Zeit gewesen in der Mensa zu essen, aber mir war der Appetit vergangen. Und die Lust auf Gesellschaft. Am liebsten wäre ich nach Hause gegangen und hätte mich in meinem Zimmer verkrochen. Sehnsüchtig schaute ich um die Ecke über den Sportplatz, auf dem einige Schüler in ihrer Mittagszeit spielten, hin zu den akribisch gestutzten Hecken und dem roten Ziegeldach meines Zuhauses. Ich hätte niemals gedacht, dass ich es so schnell ein 'Zuhause' nennen würde, aber mit Hinblick auf diesen noch unbekannteren, gefährlichen Ort an dem ich mich nun befand, stand mir sehr danach. Warum hatte ich nur Mrs.Ravens schwachsinniger Idee zugestimmt, vollkommen am Schulleben der Stonegrave High bis zu meiner Besserung teilzunehmen und dadurch auf dem Gelände an allen Schultagen zu übernachten? Meine trübsinnigen Gedanken wurden unterbrochen, als ein Anruf auf meinem Handy einging. Ich trat zurück um die Ecke des Gebäudes, um die Schüler auf dem Sportplatz nicht zu stören und nahm ab, ohne zu überprüfen, wer mich zu dieser Uhrzeit erreichen wollte. Am anderen Ende der Leitung hörte ich ein helles Lachen und durcheinander plaudernde Stimmen im Hintergrund. Es war eine noch leicht verschnupfte Stimme, die zuerst sprach: „Hey, Schulschwänzerin. Wo bist du abgeblieben? Wir vermissen dich alle hier." Bei dem munteren Tonfall von Joelines Stimme musste ich mich zusammenreißen, um nicht loszuheulen. „Hey...", war das Einzige, was ich als Erwiderung herausbrachte und legte meinen Kopf in den Nacken, um die Tränen wegzublinzeln. „Was gibt's?"
„Was gibt's?", echote Joeline gespielt entsetzt und ich hörte Gekicher im Hintergrund. „Da hat sich deine kranke Freundin extra zur Schule geschleppt, um dich zu sehen und du fehlst! Ich hab dich doch hoffentlich nicht angesteckt?"
Es wäre am leichtesten ein heiseres 'Ja' zu krächzen, aber die Lüge wollte mir nicht über die Lippen.
„Hallo?", fragte Joeline und klang um einiges besorgter. Da die Hintergrundgeräusche abnahmen, musste sie sich von unseren anderen Freunden entfernt haben. „Bist du noch da?"
„Ja", krächzte ich, nun an der falschen Stelle.
„Ist alles in Ordnung?", hakte Joeline nach. Sie hatte ein äußerst gutes Gespür dafür, wenn es Leuten schlecht ging.
„Es... geht." Selbst diese zwei kleinen Worte fühlten sich wie die größte Lüge an und ich schluckte einen Kloß herunter. „Ich muss dir was sagen."
„Schieß los." Joelines Sprachgebrauch war gewöhnlich für sie, aber ihre Stimmlage war sehr ernst.
„Ich werde erstmal nicht zur Schule gehen."
Erstmal sagte Joeline nichts und ich hörte nur meinen eigenen Atem.
„Warum nicht?" Sie klang seltsam emotionslos, aber vielleicht wirkte es nur so, weil ich ihr Gesicht nicht sehen konnte.
Ich presste meine Hand gegen meine Stirn und drückte meine Haare platt. „Es kam da gestern zu einem Unfall... etwas ist mit meinem Arm passiert und jetzt kann ich nicht mehr zur Denso High kommen."
„Bist du verletzt?", fragte meine Freundin mit vor Besorgnis gepresster Stimme. „Wie schlimm ist es? Wie lange kannst du nicht zur Schule gehen?"
Dass mir nun doch Tränen über das Gesicht rannen, bemerkte ich erst durch meine nassen Wangen. „Das weiß ich nicht", schniefte ich und wischte mir schnell unter den Augen herum.
DU LIEST GERADE
Stonegrave, Schule der Engel und Hexen
FantasyAls Callie Newsland mit ihrer Mutter zurück in die schottische Kleinstadt Stonegrave zieht, stellt sich ihr Leben komplett auf den Kopf. Sie möchte nur schnellstmöglich Freunde finden und sich trotz des schmerzhaften Verlustes ihrer ehemaligen Heima...