2. Ms. Crow

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Ich drehte mich um und starrte die Frau an, die die aus dem Haus kam und mit langen Schritten auf uns zulief. Sie war dünn, alt und faltig und trug schlichte Stöckelschuhe zu einem knielangen, graukarierten Rock und einer weißen, mit Häkelmustern verzierten Bluse. Sie kleidete sich wie eine großmütterliche Anstaltsdame. Ihre graubraunen Haare hatte sie zu einem straffen Dutt zurückgebunden. Die dunklen, mandelförmigen Augen stachen eindringlich aus ihrem schmalen Gesicht hervor. 

Ihr Blick huschte kurz über mich, dann drängte sie sich an mir vorbei und blieb vor meiner Mutter stehen. Die beiden musterten sich unter langem Schweigen.

„Luise.", sprach die Frau schließlich mit einer Zärtlichkeit, die ich ihr nicht zugetraut hätte. Ihre Stimme war kratzig.

„Willkommen Zuhause." Sie nahm meiner Mutter den DVD- Karton ab und eilte mit kerzengeraden Rücken zurück zum Haus.

„Das ist Ms. Crow.", erklärte Mama und wischte sich möglichst unauffällig übers Gesicht. Dann schnappte sie sich eilig einen neuen Karton.

„Sie war früher mein Kindermädchen und hat nach Omas Tod das Haus gehütet."

Wir stapften mit unseren Kartons bewaffnet auf das Haus zu.

„Sie ist herzallerliebst.", scherzte ich.

„Du wirst mit ihr klarkommen müssen. Sie ist der gute Geist dieses Hauses."

Ich blieb urplötzlich stehen.

„Sie wohnt doch nicht etwa hier, oder?", fragte ich entsetzt.

„Wohnt sie bei uns?!"

„Sie hat ihr eigenes Zimmer im Untergeschoss.", gab Mama zu. „Aber das habe ich dir bereits erzählt."

Ich ließ unsere Gespräche im Kopf Revue passieren. An diese Information konnte ich mich nicht erinnern. Aber ich war in letzter Zeit so sauer auf sie gewesen, dass ich ihr nicht sonderlich häufig zuhörte. 

„Na toll.", grummelte ich und pustete mir die Ponyfransen aus der Stirn.

Dieser ganze Umzug war ein unnötiges Übel.



Stonegrave, Schule der Engel und HexenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt