3. Fremde Zimmer

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Von Innen konnte man das Haus allerdings als außergewöhnlich bezeichnen. 

Es war ganz anders als von außen. An manchen Stellen war es so verwinkelt, dass man Platzangst bekam. Anderswo wirkten die Räume wiederum offen und freundlich und viel größer, als es draußen den Anschein erwog. Zusätzlich dazu war es vollgestopft mit alten, exotischem Krimskrams aus aller Welt. Mit den afrikanischen Masken an den Wänden, den bunten Porzellanvasen, alten Truhen mit geschwungenen Ornamenten und noch Vielem mehr, fühlte ich mich als wäre ich in einem Antiquitätenladen gelandet.

Das zu einem kleinen Gemüsegarten hin offene Wohnzimmer gefiel mir recht gut. Dort stand ein altes, knautschiges Sofa auf dem ich mich bereits in Zukunft fläzen sah. Als Mama mir mein Zimmer zeigte rang ich mir ein widerwilliges Nicken ab. Dieses Zimmer war das einzige, in dem jemand versucht hatte mit dem altmodischen Stil des Hauses zu brechen. Die Wände waren mit abblätternder bläulicher Farbe unregelmäßig überstrichen worden und rechteckige Klebspuren deuteten darauf hin, dass früher über dem Bett Poster angebracht wurden, vermutlich von damals angesagten Boy Bands wie den Backstreet Boys. Es war sehr nett, zwar nicht sonderlich groß, aber das war mein Zimmer in London auch nicht. Dafür hatte ich hier einen eigenen Balkon und ein angrenzendes Bad nur für mich. Meine Mutter würde sich im Erdgeschoss einrichten, aus welchem Grund das gesamte obere Geschoss mein Terrain sein würde.

Mama seufzte.

„Früher war das mein Zimmer.", verriet sie mir und schwelgte in Erinnerung.

Ich stieg auf meinen neuen Balkon und guckte mich draußen um. Von hier aus konnte man über den Zaun sehen, der Omas Haus von dem nächsten Grundstück trennte. Zu meiner Überraschung erspähte ich einen Sportplatz auf dem mehrereTeenager in weißen Polohemden und schwarzen Shorts trainierten. Dahinter lag ein gigantischer, steinerner Gebäudekomplex mit verwitterten Statuen und ein Wappen mit der riesigen Aufschrift:„discere ut praesidio". Der Bau erinnert mich an eine typisch schottische Burg, deren dunkle Steinschichten frisch renoviert waren.

„Ist das die neue Schule?", fragte ich in die Runde. Auf dem Prospekt hatte sie ganz anders ausgesehen.

„Nein, Schatz.", antwortete meine Mutter. Sie trat neben mir an die Brüstung.

„Das ist sie nicht."

Die Jugendlichen auf demSportplatz begannen ein Spiel, das einer Mischung aus Handball, Fußball und Football ähnelte. Die seltsamen Spielzüge, die sie anwandten, konnte ich nicht durchschauen. Vielleicht handelte es sich um eine schottische Sportart, die ich nicht kannte.

Es musste also um eine weitere Schule hier in Stonegrave geben. Verwundert fragte ich mich, warum Mama mich nicht auf diese näher gelegene Schule schickte. Andererseits war ich froh, weil die benachbarte Einrichtung von traditionell an baufällig grenzte. Wir betrachteten das Geschehen noch ein wenig, gingen dann zurück in mein Zimmer und schlossen die Balkontür.

Ms. Crow tippte mir mit ihrem knochigen Zeigefinger auf die Schulter. Mich durchfuhr ein Schauer und die kleinen Härchen an meinen Armen stellten sich auf. Ich verschränkte meine Arme vor der Brust, damit man mir mein Unbehagen nicht zu deutlich ansah. Unmut schlich sich in Ms. Crows strengen Blick. Sie deutete auf das Zimmer am Ende des Flurs.

„Rosaline's Raum darfst du nicht betreten.", mahnte sie mich mit scharfer Stimme.

„Ist das klar?"

Ich zuckte zusammen und warf meiner Mutter einen Blick zu.

„Warum nicht?", fragte ich an sie gewandt.

Mama guckte verlegen.

„Schon früher durfte ich nie in Mums Zimmer. Selbst nach ihrem Tod ist es bei dieser unumstrittenen Regel geblieben. Nach meiner und Ms. Crows Ansicht würde es ihr Andenken schmälern, wenn wir es auf einmal anders handhaben, verstehst du?"

Sie blinzelte Ms. Crow vorwurfsvoll an.„Das hätten wir dir vielleicht ein bisschen schonender beibringen sollen."

„Ist schon okay.", beteuerte ich. Ich war ja auch mit 16 Jahren kein Baby mehr.

Ms. Crow blieb unbeeindruckt.

„Niemand betritt ihren Raum. So hätte sie es gewollt."

Sie drehte sich schwungvoll um und marschierte die Treppe wieder nach unten.

„Ich mache das Abendessen.", rief sie hoheitsvoll über ihre Schulter.


Stonegrave, Schule der Engel und HexenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt