„Aría, wir haben kein Bier mehr! Geh zum Supermarkt und kauf mir neues!", schrie mein Vater vom Wohnzimmer aus zu mir, sodass womöglich unsere gesamte Nachbarschaft davon Wind bekam.
Vor Wut hielt ich den Atem an, blieb vor meinem Spiegel stehen und schloss meine Augen. Das kann doch nicht wahr sein, dachte ich mir. Gleich in der Früh kam schon so ein Satz von meinem Vater. Mittlerweile musste ich jeden Tag neues besorgen. Kein "Guten Morgen" oder "Hallo", sondern gleich ein Befehl, der so früh schon seine Lippen verließ. Bestimmt saß er auf seiner versifften Couch, sah nebenbei fern und zitterte schon vor Alkoholentzug.
Ich war eh noch ziemlich erschöpft von gestern, da ich den ganzen Tag durchgearbeitet hatte und jetzt sowas. Enttäuscht schüttelte ich meinen Kopf. Hier kommt man nicht einmal zur Ruhe.
Eigentlich wollte ich mich mit Rabea, meiner Kollegin und Freundin aus der Bar, treffen und gemeinsam frühstücken, bevor meine Schicht bei Ramóns Restaurant begann. Da der Supermarkt aber 20 Minuten von unserer Wohnung entfernt war, hätte ich keine Zeit mehr, mich mit ihr zu treffen. Allerdings musste ich das Bier kaufen, bevor die Laune meines Erzeugers drohte zu sinken, denn dann wäre die Hölle los. Ist ja nur meine Laune, die jetzt in den Keller ging. Aber unnötigen Streit mit ihm wollte ich auch nicht provozieren. Dafür hatte ich nun wirklich keinen Nerv.
Ich suchte also mein Smartphone, welches ich auf meinem Nachttisch, neben meinem Bett, finden konnte und sagte meiner Freundin ab. Schade. Ich habe mich schon gefreut sie zu sehen.
Ich schrieb Ihr, dass ich mich unwohl fühlte und deshalb nicht kommen konnte. Ich hasste es zu lügen, doch die Wahrheit dürfte Rabea definitiv nicht erfahren. Sie dachte, dass ich ein gutes Verhältnis zu meinem Vater hatte, obwohl es aber genau das Gegenteil war. Meine privaten Probleme gingen aber niemandem etwas an. Es ist besser so, wenn jeder dachte, dass ich glücklich wäre. So können unangenehme Gespräche erst gar nicht entstehen.Nachdem ich meine langen blonden Haare zusammengebunden hatte, setzte ich mich an meinen braunen, aus Holz bestehenden Schreib- und Schminktisch und fing an, mich in Windeseile dezent zu schminken. Meine Augenringe musste ich auf jeden Fall mit einer dicken Schicht Concealer überdecken, da ich sonst aussah wie ein Zombie. Mittlerweile wurden diese auch von Tag zu Tag immer dunkler, was wohl daran lag, dass ich so viel arbeitete und nebenbei noch für meinen Vater vieles erledigen oder ihm hinterherräumen musste.
Mit etwas Wimperntusche und Kajal versuchte ich noch meine grünen Augen zum Strahlen zu bringen. Auch wenn ich eigentlich keine Lust hatte mich zu schminken, musste ich es aber. Zum einen für meine Arbeit später und zum anderen, um nicht noch kaputter auszusehen, wie eh schon.
Nachdem ich mich fertig gestylt hatte, ging ich zu meinem unstabilen Kleiderschrank, bei dem schon die linke Schwungtür fehlte. Mein Vater war vor ein paar Monaten betrunken gegen meinen Schrank gelaufen und hatte dadurch die Befestigung kaputt gemacht. Natürlich hatte er sich nicht entschuldigt oder mir einen neuen Kleiderschrank gekauft. Er hatte lediglich über das Geschehen gelacht und war wieder aus meinem Zimmer verschwunden. Das war einfach so typisch für ihn.
Aus dem Schrank griff ich nach einem schwarzen, schlichten Outfit und zog es mir auch schnell über, um nicht noch mehr Zeit zu verlieren.
Ich nahm noch meinen Geldbeutel vom Nachttisch mit und verabschiedete mich anschließend mit einem leisen „Tschau" von meinem Vater. Danach machte ich mich auf den Weg zum Supermarkt. Wie zu erwarten, kam keine Antwort von ihm. Er redete ja eh kaum mit mir, außer es ging um Alkohol oder seine Drogen.
Ja, mein Vater nahm auch Drogen. Damit hatte er angefangen, als meine Mutter uns vor zwölf Jahren verließ. Einen Grund dafür hatte sie uns damals nicht gegeben, aber mein Vater meinte, es sei meine Schuld gewesen.
Er behauptet, dass ich ein Schaden von einem Unfall sei, der nicht mehr repariert werden könnte. Seitdem er diesen Satz zu mir gesagt hatte, musste ich jeden Tag daran denken. Diese Wunde, die er mir damit verpasste, wird wohl niemals verheilen.Draußen angekommen, zog ich erst einmal die frische Luft Spaniens in mir auf. Heute war das perfekte Wetter, nach meiner Meinung. Nicht zu warm, aber auch nicht zu kalt waren genau das perfekte Zwischendrin. Leichte Sonnenstrahlen berührten meine Haut und ließen meine schlechte Laune von gerade eben etwas aufhellen. Die frische Luft hatte ich definitiv nötig gehabt, um meinen Kopf wieder etwas freier zu bekommen, da ich noch ziemlich müde von der Arbeit war.
Außerdem musste ich auch nicht Angst haben, dass mein Vater wieder gemein zu mir sein könnte.
Draußen hatte ich Ruhe von ihm und seinen ständigen Befehlen oder Aggressionsanfällen.
Es war eine kleine Pause, die ich für mich nehmen konnte, um kurz meinen hässlichen Alltag zu vergessen.
Auch wenn das Wetter mehr als nur schlecht wäre, würde ich lieber nach draußen gehen, als mit meinem Vater zu viel Zeit unter einem Dach zu verbringen.
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Brennende Seelen
Romance**ABGESCHLOSSEN** Aría ist 20 Jahre alt und lebt mit ihrem Vater in einer kleinen Wohnung. Auf dem Weg in ein besseres Leben trifft sie immer wieder auf den mysteriösen Hadrian. Was sie nicht weiß: Er ist auf einer Mission. Beide kämpfen für ihren...