Englisch oder französisch?

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  Kaltes und vor allem nasses Wetter war ich gewohnt. Was mich erwartete, nachdem ich aus dem Flieger stieg, war etwas anderes. Hatte ich genug Pullover eingepackt, so richtig warme? Alles, was ich dabei hatte, passte in einen großen Wanderrucksack und darunter war keine dicke Jacke, denn die lag in eine der Kisten, bei meinen Eltern. Hatte die Klimatabelle nicht was von elf Grad gesagt? Ich zog die Übergangsjacke etwas enger an mich. Sobald ich in der ersten Unterkunft angekommen war, würde ich einen Laden mit dicken Jacken aufsuchen.

  Es bleib kaum Zeit mir einen Überblick zu verschaffen, denn ein nett wirkender Mann hielt ein Schild mit meinem Namen in die Höhe. Die Agentur, die sich um das Visum kümmerte, war so freundlich, die erste Anlaufstelle zu klären. Ein kleines Gasthaus, ein Stück außerhalb von Quebec. Es gab Arbeit in der Bewirtung der Gäste, so wie anfallende Tätigkeiten auf dem Hof. Was ich bei der ganzen Sache nicht bedachte, in Quebec sprach man französisch. Und genau das sprach ich nicht. Das würde heiter werden.

  »Keine Sorge kleine Miss, wir haben sicher noch eine Jacke für dich und auch mit der Sprache brauchst du dir keine Sorgen machen.« Armand Fortier, stellte sich als mein erster Chef heraus, der gemeinsam mit seiner Frau Thérèse das Gasthaus führte. In der Wintersaison beherbergten sie Wintersportler, in den Sommermonaten wanderfreudige Touristen, die meist aus den USA kamen und daher sprachen sie zu meiner Erleichterung englisch. Ich war gewiss nicht die Erste, deren französisch quasi nicht existierte.

  »Ich bin ehrlich erleichtert. Ich hatte einen kurzen Moment Sorge, keiner würde mich verstehen.« Mein Blick war auf die vorbeiziehenden Landschaften gerichtet. Die Weiten, das Grün. Kein Vergleich zu London und dem Großstadtdschungel, aus dem ich kam.

  »Tourismus ist unser Hauptgeschäft. Davon abgesehen, lieben die Menschen hier diesen britischen Akzent.« Er schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln. Es gab nur zwei Optionen für uns Briten. Entweder man mochte den Akzent, oder man hasste ihn. »Ist es in London wärmer?«

  Smalltalk. Leider nicht meine Paradedisziplin. Sicher wirkte ich auf einige wie die aufgeweckte kecken Blondine. Ehrlicherweise war ich genau das nicht. Ich tat mir schwer mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen und meine sozialen Akkus waren nicht die größten.

  »Ein paar Grad«, antwortete ich daher knapp und packte die Hände unter meine Oberschenkel, in der Hoffnung, dass sie dann langsam auftauten.

  »In ein paar Wochen hast du dich daran gewöhnt und dir wird London bei ihrer Rückkehr wie die Karibik vorkommen«, scherzte Armand und war nah dran sich für diesen Witz auf den Schenkel zu klopfen. Dass sich London niemals wie die Karibik anfühlen würde, behielt ich doch lieber für mich.

  »Ist denn schon viel los?« Es war die leise Hoffnung, dass wenige Touristen da waren und ich die Zeit hatte, mich in die Abläufe einzufinden.

  »Die Saison beginnt erst. Neben dir haben wir noch einen jungen Mann für die Vorsaison aufgenommen. Bis zur Hauptsaison wirst du sicher schon weitergezogen sein.«

  Die Agentur kümmerte sich nur um die erste Stelle. Im weiteren Verlauf war man mehr oder weniger auf sich gestellt. Sie stellte einem Adressen zur Verfügung, so entschied man selbst über das Tempo und seine Ziele auf der Tour. Armand lag gar nicht so falsch. Ich würde nicht lange in Quebec bleiben. Das Ende meiner Reise war Vancouver und damit verbunden ein kleiner Urlaubsabstecher zum Lake Louis.

  Wenn ich an diesem Punkt meiner Reise gewusst hätte, dass ich Vancouver nicht erreichen würde, wäre ich sicher aus dem fahrenden Wagen gesprungen und gelaufen, so weit ich konnte. Aber nichts ahnend fuhr Armand mich meinem Unglück entgegen. Der Weg führte hinaus aus Quebec und damit in ländlicheres Gebiet. Nicht direkt einen Supermarkt oder eine Shoppingmeile zu erreichen, störte mich gar nicht. Normalerweise. Denn immer noch fürchtete ich, die falschen Sachen eingepackt zu haben. Le Massif de Charlevoix lag ein wenig außerhalb von Quebec City und ebenso das Gasthaus von Armand und Thérèse. Warum mir da nicht schon aufgefallen ist, dass es sich um französisch Kanada handelte, war mir schleierhaft und schob es auf den Rotwein.

  Je mehr Natur sich zeigte, um so sicher wurde ich mir, dass ich abschalten würde. Ein Blick auf mein Telefon. Am Flughafen hatte ich mir eine Prepaidkarte besorgt, um meinen Eltern und Ebony Bescheid zu geben, dass ich wohlbehalten Kanada erreicht hatte. Wie spät war es? Ich warf einen Blick auf die Uhr im Wagen, bezweifelte, dass diese stimmte. Denn laut ihr wäre es fünf Uhr morgens. Mein Telefon sagte etwas anderes. Ich versuchte kurz zu rechnen.

  »Es ist zwölf Uhr, Mittag.« Dann schenkte mir Armand ein aufmunterndes Lächeln.

  »Danke.« Fünf Stunden vor. Sobald ich empfang hatte, würde ich ihnen schreiben. Ebony wartete sicher schon auf Bilder. Der Kerl, in dem Laden für die Telefonkarten meinte, es könne einen Tag dauern, bis die Nummer aktiviert werde. Ich stellte mich daher darauf ein, ihr erst in den kommenden Tagen welche zu senden.

   Das Gasthaus lag rund eine Stunde Autofahrt von Quebec City entfernt, was für Armand normal schien. Wenn man aus einer Großstadt kam, dann wirkten diese Entfernungen einschüchternd. Aber hatte ich mich nicht genau deswegen für Kanada entschieden? Weil nicht mehr alles direkt vor der Tür war? Ich lehnte mich in dem Sitz des Pick-ups zurück und ließ meinen Blick über die Natur schweifen. Hoffte, einen Elch zu Gesicht zu bekommen. Armand schien Verständnis zu haben, dass ich all das auf mich wirken ließ. Es war meine erste Reise, außerhalb von Großbritannien.

  Das Chalet, wie ich bei der Ankunft lernte, bestand aus einem großen Herrenhaus und einem weiteren Anbau. Daneben eine Stallung für Pferde und ein Bootshaus mit einigen Kanus, um im angrenzenden Sankt Lorenz Strom zu paddeln, wenn man es sich zutraute. Im Anbau war ein Zimmer für mich reserviert. In den Sommer- und Wintermonaten teilten es sich die Chaletmädchen. In der Nebensaison war es möglich, es allein zu bewohnen. Die Anzahl der Gäste im Haus war gering. Die meisten waren Backpacker, wie ich oder Wandertouristen. Das atemberaubendste war jedoch die Aussicht. Hinter dem Haupthaus hatte man einen Blick auf den Fluss. Drehte man sich einmal um, sah man die Berge, gesäumt von satten grünen Bäumen. Das nächste Chalet schien weit entfernt. Man hörte nichts, außer den Gesang der Vögel und das Rascheln der Blätter. Wie war es möglich, dass ein Ort so leise war?

  Viel Zeit blieb mir nicht, diese Eindrücke aufzusaugen, wie ein Schwamm, denn Armand bat mich, ihm zu folgen. Im Herrenhaus erwartete uns seine Frau Thérèse, die nicht verbergen konnte, das französisch ihre Muttersprache war.

  Im Kamin des geräumigen Wohnzimmers brannte ein Feuer und ich wünschte mir nichts sehnlicher, wie mich daran zu wärmen. Erst jetzt wurden mir meine kalten Finger und Füße wieder bewusst.

  »Sie braucht eine dickere Jacke.« Armand lächelte entschuldigend und ich stellte mir die Frage, wie ich darauf gekommen war, diese nicht zu benötigen.

  »Das ist kein Problem.« Sie legte ihren Arm um meine Schuler und führte mich an das Feuer heran. »Aber erst mal lassen wir dich auftauen. Setz dich, ich mache dir einen Tee.« Ehe ich mich versah, drückte sie mich an den Schultern in einen Sessel am Feuer und verschwand. In Richtung Küche, wie ich vermutete.

  »Kyle müsste auch gleich von seinen Besorgungen zurück sein, dann zeigt er dir das wichtigste.«

  Kyle war entweder ihr Sohn, oder der junge Mann, von dem Armand im Wagen sprach. »Ich muss noch zu einem anderen Chalet, wir sehen uns zum Abendessen«. Er schritt schon durch die Tür, durch die wir zuvor gekommen waren. Das einzige Geräusch in diesem großen Raum war das Knistern des Holzes im Kamin. Ich sah zum Feuer, wie es um die Scheite tänzelte. Etwa 3.000 Meilen lagen zwischen Wes und mir. Wann würde die Entfernung ausreichen, um ihn zu vergessen? Ein weiteres Mal war ich einen Blick auf mein Telefon, hoffte darauf, Empfang zu haben.

  »Wenn du das W-Lanpasswort brauchst, ich kenne es.«

  Erschrocken zuckte ich zusammen und ließ mein Mobiltelefon auf den weichen Teppich fallen. Ich hatte nicht mitbekommen, dass jemand in den Raum gekommen war.

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