Zwischen den Zeitzonen

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  Die ersten Tage waren hart., nicht nur das Aufstehen. Keiner stibitzte sich mehr einen Pancake, wenn ich sie morgens zubereitete. Wir bekamen eine neue Hilfe. Elena, der ich kurz darauf das Frühstück übertrug, während ich mich um die Zimmer kümmerte. Ich zeigte ihr das Luc und saß dennoch die meiste Zeit allein an der Bar.

  »Ist er dein Freund?«, fragte sie mich, als sie sich ein neues Bier holte und mein Telefon kurz vor mir aufleuchtete. Ich wartete noch auf eine Antwort von Kylan. Uns blieben nur zwei Zeitfenster, die bedeuten, dass der jeweils andere sehr früh aufstehen musste. Etwas, was Kylan derzeit nicht schaffte, da sie bis spät in die Nacht im Studio saßen.

  »Ja.«

  »Hübsch. Aber warum macht ihr das hier nicht zusammen?« Sie setzte sich auf den Hocker daneben und sah mich neugierig an. Der Barkeeper stellte mir einen weiteren Whiskey hin.

  »Er ist wieder zuhause, wegen seinem Job.«

  »Cool, dass du das hier dann allein durchziehst.«

  Das war cool? Warum fühlte es sich nur nicht so an?

  »Wie viel Zeitunterschied habt ihr?«

  »Zwölf Stunden.«

  In diesem Moment sah sie mich kurz fassungslos an.

  »Oh, ich dachte du kommst aus England?«

  Ich hatte Elena nie erzählt, woher ich war. Aber mein leichter Akzent verriet mich immer wieder.

  »Bin ich, nur er nicht.« Ich zuckte die Schulter und da erschien schon sein Name auf dem Display. »Entschuldige mich.«

  Ich nahm ab und lief nach draußen.

  »Karaokeabend?«, lachte er und es tat so gut, seine Stimme zu hören. Nicht nur durch die Sprachnachrichten.

  »Ich zeige der Neuen das Luc. Wie ich es von dir gelernt habe.« Ich lehnte mich gegen die Holzwand und zog meine Jacke etwas enger. »Wie lief es heute?«

  »Wir streiten um zwei Songs. Ich mag sie nicht, Nolan liebt sie, Chad ist es egal und Leo meint wir sollen würfeln.« Er rollte die Augen, was ich deutlich aus seinem Ton heraushörte. »Ich hab leider auch nicht so viel Zeit Prinzessin. Ich bring jetzt Blake zu meinen Eltern und werde dann noch mal ins Studio müssen. Aber ich wollte vorher deine Stimme hören.« Seine Worte ließen eine Gänsehaut über meine Rücken laufen, wie einen wohligen Schauer.

  »Jet lag«, seufzte ich.

  »Der trifft den Nagel auf den Kopf.« Kylan wusste sofort, dass ich den Simple Plan Song meinte.  »Oh, das ist es. Ich muss los Prinzessin.« Er drückte mir einen Kuss durch die Leitung.

  »Was auch immer, hab einen schönen Tag, Surferboy.«

  »Schlaf gut und träum von mir.«

  So liefen die meisten unserer wenigen Gespräche ab. Einer von uns musste los, wünschte dem anderen einen schönen Tag und der andere, gute Nacht. Bei unserem letzten Videocall war ich dummerweise eingeschlafen, weil es so spät war. An manchen Tagen reichte es bloß dafür, in einer Text- oder Sprachnachricht guten Morgen und gute Nacht zu wünschen. Erst so wurde uns beiden bewusst, wie weit wir voneinander entfernt waren. Und das zwischen hier und der Realität Welten lagen. Ich schob das Telefon in meine Hosentasche zurück, ehe eine weitere Nachricht einging. Kylan sendete mir ein Foto von sich. Eines auf dem er so breit grinste, dass es mir schon Sorgen machte.

  »Ist alles nicht so einfach, oder?« Elena saß noch am Tresen und drehte ihre Bierflasche in der Hand.

  »Nein, ganz und gar nicht. Vor allem die Zeitverschiebung macht es uns nicht leicht.« Ich setzte mich neben sie und nippte an meinem Whiskey. Wie so vieles, war er fade, nachdem Kylan abreiste. Ich spielte seit ein paar Tagen mit dem Gedanken zurück nach London zu fliegen. Die sieben Stunden Zeitunterschied gaben uns etwas mehr Raum für längere Gespräche. Es wäre so viel leichter. Aber das schlechte Gewissen, jetzt abzureisen blieb. Ich war nicht, wie versprochen weitergezogen. Zwar bot mir eine Freundin von Thérèse einen Job in einem Lokal in Montreal an, doch es hingen zu viele Erinnerungen daran. Erst war da der Gedanke, nach Toronto weiterzuziehen. Doch ohne Kylan erschien selbst das mir vollkommen sinnlos.

behind the curtainWo Geschichten leben. Entdecke jetzt