Begrenzte Zeit

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  Wir saßen auf dem kalten Stein der Aussichtsplattform auf dem Mount Royal. Die Sonne würde bald aufgehen und wenn man Kyles Worten Glauben schenkte, würde es sich lohnen einen Blick auf die Stadt zu werfen. Mein Rücken lehnte an seiner Brust und seine Arme lagen auf meinen Beinen. Vor uns lag Montréal, eine Stadt, die so voller Widersprüche war. Die modernen Wolkenkratzer und dazwischen die alten Gebäude, die mich an Europa erinnerten. So viele Gegensätze und doch so faszinierend.

  Es waren kaum andere Touristen hier, was sicher den frühen Morgenstunden geschuldet war. Bisher war jeder Moment dieses Ausfluges zu schön, zu perfekt, um wahr zu sein. Als wäre ich vor ein paar Tagen in einer anderen Realität aufgewacht. »Irgendwie ist es schwer zu glauben, dass du noch nicht so oft hier warst.« Ich legte meine Hand auf die seine, strich sanft über seine Finger, derweil ich auf die Lichter der Stadt vor uns sah.

  »In Montréal war ich tatsächlich schon ein paarmal. Meine Flüge gehen von hier.« Seine Stimme wurde zum Ende seines Satzes leiser. Das bedeutete, auch sein Rückflug ging von hier aus nach Perth und noch immer traute ich mich nicht, diese eine Frage zu stellen. Die nach dem Wann.

  »Also muss ich mir keine Sorgen machen, das du dich auf dem Flughafen verlaufen wirst?« Mein Herz schmerzte bei den Worten, die es wieder greifbar machten, dass das zwischen uns mit einem Ablaufdatum versehen war.

  »Könnte nur passieren, dass ich in einen anderen Flieger einsteige. Einen nach London?« Er gab mir einen kurzen Kuss auf den Scheitel. »Wobei ich glaube, dass du länger hierbleiben wirst als ich.«

  Damit lag er gar nicht falsch. Mein Visum war für ein Jahr, welches ich ursprünglich grob geplant hatte. Gerade war ich mir aber nicht mal mehr so sicher, ob ich es schaffte. Wir waren nicht näher beieinander, wenn ich hierblieb. Die Zeitzonen würden es uns hier nicht leichter machen und war ich überhaupt in der Lage hierzubleiben, wenn ich alles hier mit ihm in Verbindung brachte?

  »Ich glaube nicht, dass deine Familie erfreut wäre, wenn du nicht zurückkommst.«

  »Familie«, seufzte er wieder einmal. »Die ist weniger mein Problem. Eher die ganzen anderen Verpflichtungen, die ich habe.«

  »Bist du denn nicht glücklich?« Die Frage brannte mir schon so lange unter den Nägeln. Die Schatten, die immer wieder sein Gesicht zeichneten. Die traurige Stimme, mit der er sprach, wenn er von seinem Leben dort sprach.

  »Ich liebe das, was ich tue. Ich liebe meine Jungs und jeden Moment mit ihnen. Aber ich hasse es, dass mir solche Dinge verwehrt bleiben. Ruhige Momente, mit jemanden etwas Besonderes zu teilen. Sicher zu sein, dass das real ist und nicht nur, wegen...« Er seufzte, küsste mich erneute auf den Scheitel.

  »Geld und Fame?« Ich spürte, wie er sich bei meinen Worten verkrampfte. »Bist du eine Surferlegende oder so?« Er hatte schon mal erwähnt, dass die meisten Menschen in seinem Umfeld auf Geld aus waren. Ein Farmersjunge und viel Geld passten nicht. Aber wie viel Ahnung hatte ich schon davon. In meinen Vorstellungen hatten sie eine kleine Farm mit zwei Pferden und einem Känguru, das jeden Morgen vorbeikam. Aber das war nur mein Gedanke.

  »Nicht wirklich.«

  »Das wäre auch schlecht, weil ich tatsächlich auf die ganzen Mädchen in ihren knappen Bikinis eifersüchtig sein müsste.«

  »Nach meinem Wissen brauchst du das ganz sicher nicht.«

  Bei seinen Worten wurden meine Wangen heiß und leuchteten in einem hellen Rotton auf.

  »Du bist wunderschön, Mia.« ein Satz, den er in der letzten Nacht ein paarmal sagte, mit einem Blick, der mein Herz endgültig dazu brachte, ihm zu verfallen. »Und keine Sorge, ich halte von diesen Bikinimädchen nichts. Ich mag Frauen, die mit beiden Beinen im Leben stehen.«

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