Karaoke und schiefe Töne

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War es Kyles Art, mich zu inspirieren? Oder steckte mehr dahinter. Wie in diesem winzigen Augenblick, als sein Daumen über meine Lippe strich? Eines wusste ich längst: Kyle war mein Untergang und ich war nicht in der Lage mich ihm zu entziehen. Ich genoss seine Nähe, die Aufmerksamkeit, aber vor allem sein Verständnis. Etwas, was mir bei Wes fehlte. Unschlüssig stand ich vor dem Spiegel, betrachtete mich darin. War da was zwischen uns? War das Mädchen aus London sein Typ? Gott, ich klang wie eine verrückte Version der vierzehnjährigen Ebony, die sich für ein Konzert ihrer Lieblingsband fertig machte. Und nicht wie ich selbst.

Ich atmete tief durch, ehe ich nach meinem Telefon griff, es dann aber wieder auf das Bett warf, den Parker überstreifte und auf den Flur hinaustrat. Ich brauchte es nicht. Kyle lehnte längst an seiner Tür, sah grinsend zu mir auf, ehe er sich von selbiger abstieß. »Wie immer überpünktlich.«

»Warum betonst du es immer so?« Ich trat nach ihm durch die Tür hinaus in die frische kühle Nachtluft. »Das klingt bei dir immer, wie ein Wunder.«

»Vielleicht bist du ja eines.« Er stieß leicht gegen mich, ehe er auflachte. Unter unseren Schuhen knirschte der Kies bei jedem Schritt. Es war Sonntag und damit Karaoke Nacht im Luc. Eine Qual für meine Ohren und sicher auch für Kyles. Wenn es schon in der Nebensaison so lief, war ich gespannt, was hier in der Hauptsaison los war. Und wie viele Backpacker dann im Luc eskalierten. Denn genau so konnte man die Karaoke Abende dort bezeichnen. Es war voller als sonst, das Bier floss in Strömen und die Lautstärke war kaum auszahlten. Das Luc war für uns in rund zwanzig Minuten zu Fuß zu erreichen. In den ersten Abenden hatte ich mir nahezu in die Hose gemacht, aus Sorge einem Bären zu begegnen. Da dies bisher nicht der Fall war, schwand diese immer weiter.

»Singst du heute einen wundervollen Song deiner Lieblingsband für mich?« Er legte seinen Arm um meine Schultern, als wir näherkamen.

»Auf keinen Fall, Luc will noch ein bisschen was verdienen.«

»Schlimmer als die drei Mädchen vom letzten Mal, kann es nicht sein. Du triffst zwar auch nicht alle Töne, aber keinen so schrill wie die.« Er rollte mit den Augen. Ich erinnerte mich, wage an diese Mädchen. Eine von ihnen hatte ein Auge auf Kyle geworfen, der sie gekonnt ignorierte. Seitdem versuchte sie, immer mal wieder, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Aber Kyle war wie eine Mauer aus Stahl, absolut undurchdringlich. Er sah sie immer nur fragend an, als würde er kein Wort verstehen, obwohl sie gutes Englisch sprach. Ich wäre nicht mal verwundert, wenn er den Satz leider verstehe ich dich nicht in irgendeiner anderen Sprache kennen würde.

»Sagt der Möchtegernsänger hier neben mir. Als wäre er voll der Profi.«

»Ich stecke voller Geheimnisse, Prinzessin.«

»Nur weil du ein paar mehr Töne triffst?«, forderte ich ihn heraus. Ich erinnerte mich an die Heimfahrt aus Quebec. Er war leider weit von einem Möchtegernsänger entfernt. Ehrlicherweise musste ich zugeben, dass ich mir seit unserer Fahrt öfter wünschte, er würde singen. Manch mal tat er es, wenn er den Stall ausmistete und sich unbeobachtet fühlte und Pearl verriet nicht, dass ich an der Tür stand und lauschte.

»Du willst mich provozieren, oder?« Er zog die rechte Augenbraue nach oben, ehe er mich kurz näher an sich heranzog. »Du müsstest dann mit sehr viel Konkurrenz klarkommen.«

»Musikalisch? Da singe ich dich unter den Tisch, mit den Spice Girls im Gepäck.«

»Wer hat von musikalischer Konkurrenz gesprochen?«
Bei seinen Worten mussten meine Wangen in Flammen aufgegangen sein. Praktischerweise war es dunkel und kühl, so dass ich die Röte auf die Kälte schieben würde, wenn er es ansprach.

»Wer sagt, dass ich das muss?« Die Worte verließen meinen Mund. Mein Hirn schien ein Eigenleben zu haben und eine Erlaubnis nicht mehr zu brauchen, ehe es dumme Dinge von sich gab. Fehlte nur, dass ich arrogant meinen Pferdeschwanz nach hinten warf und die Nase gen Himmel reckte.

behind the curtainWo Geschichten leben. Entdecke jetzt